Conversation & Film screening
Dramas from a divided Europe

Brexit Shorts
© The Guardian

„Wir haben dafür gestimmt, Europa zu verlassen, aber eigentlich wollten wir England verlassen.“ Diese ernüchternde Aussage macht die Schauspielerin Kristin Scott Thomas in dem Kurzfilm Time to Leave, und sie passte gut zu der Veranstaltung, die am 26. März am Goethe-Institut London stattfand.

Der von David Hare geschriebene Kurzfilm mit Thomas in der Hauptrolle, ist Teil der Serie The Brexit Shorts, einer Reihe fiktiver Monologe, die The Guardian und das Headlong Theatre in Auftrag gegeben hatten. Das Goethe-Institut London zeigte eine Auswahl der Filme, darunter den Monolog eines unzufriedenen walisischen Milcherzeugers, einer britischen Brexit-Befürworterin mit indischen Wurzeln, welche die aktuelle Einwanderungspolitik kritisiert, und einer Mutter aus Nordirland, die nur zu gut weiß was es bedeutet, in einem geteilten Land zu leben.
 

Von Alexandra Genova

Der Abend fand im Rahmen der vom Goethe-Institut London initiierten Veranstaltungsreihe Europe Actually statt, die sich der Frage nach einer „gemeinsamen europäischen Identität” widmet. Die Serie The Brexit Shorts (die im Juni 2017 online veröffentlicht wurde) hatte zwar versucht, einen tieferen Einblick in die britische Einstellung zum Brexit zu geben. Doch wenn die Serie heute geschrieben würde, wäre die nachdenkliche Besonnenheit der Monologe wohl mit leichter Panik unterlegt. Die politische Lähmung, die Westminster gerade im Griff hält, war auch im Veranstaltungssaal spürbar: Das Publikum konnte keine schlüssigen Antworten auf die Fragen finden, warum das Vereinigte Königreich für den Austritt gestimmt hatte oder was ein Brexit für die Zukunft der Europäischen Union bedeuten könnte.
 

Die Neandertaler sind ausgestorben, weil es ihnen nicht gelang, in größeren Gemeinschaften zu leben. Das bedeutet, wir überleben heute, weil wir fähig sind, größere Gemeinschaften zu bilden.

Auf die Filmvorführung folgte eine Podiumsdiskussion mit Amy Hodge, Kuratorin der Serie und stellvertretende Leiterin des Headlong Theatre, mit der französischen Autorin Noémi Lefebvre, deren Kurzfilm We are We ebenfalls auf dem Programm stand, und dem deutschen Dramaturgen Marius von Mayenburg, dessen neues Drehbuch – geschrieben aus der Sicht eines Neandertalers – zuvor dem Publikum vorgelesen worden war. Mayenburg erklärte, ein Dokumentarfilm habe ihn zu dem Drehbuch inspiriert. Darin wurde erwähnt, dass die Neandertaler ausgestorben seien, weil „es ihnen nicht gelang, in größeren Gemeinschaften zu leben. Das bedeutet, wir überleben heute, weil wir fähig sind, größere Gemeinschaften zu bilden. Das ist eine zutiefst menschliche Fähigkeit – Trennungen und die Errichtung kleinerer Gemeinschaften sind das glatte Gegenteil davon.“

Das Stück wurde für eine neue Serie geschrieben, die The European Project heißt und im Herbst 2019 ausgestrahlt wird. Sie wurde ebenfalls von The Guardian und dem Headlong Theatre koproduziert und besteht aus fünf Filmen, die in Frankreich, Deutschland, Irland, Schweden und Polen gedreht wurden. Autorinnen und Autoren schrieben in ihrer Landessprache, auch die Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen in den Filmen ihre Muttersprache. Die Filme befassen sich mit der besonderen Beziehung dieser Länder zur EU. Durch einen fiktiven Handlungsverlauf zeigen sie, wie Wirtschaft und Politik sich auf individueller Ebene auswirken.
 

Identität ist ja fließend: wir können englisch, britisch und europäisch sein.

In der anschließenden Diskussion befasste man sich intensiv mit einwanderungspolitischen und wirtschaftlichen Fragen. Dabei drehte sich das Gespräch wiederholt um den Begriff der Identität. Eine Zuschauerin wies darauf hin, dass das Vereinigte Königreich schon immer „anders“ gewesen sei, mit seiner Insel-Mentalität und dem Desinteresse an anderen Sprachen. Eine Französin aus London meinte, „sobald man versucht, eine Identität zu definieren, gibt man den Rechten eine Chance. Diese Vorstellung, ‚Wir sind wir, die sind die’. Aber Identität ist ja fließend: wir können englisch, britisch und europäisch sein.“

Eine andere Person fragte, ob das Team auf seiner Europa-Tour mit The Brexit Shorts so etwas wie eine gemeinsame europäische Identität wahrgenommen habe. Jess Gormley, Redakteurin für Kunst und Kultur bei The Guardian, antwortete: „Es ist traurig, aber die Briten haben wahrscheinlich am wenigsten Sinn für eine europäische Identität. Das europäische Publikum hatte angemerkt, dass wir in den Filmen nicht über Europa sprechen, sondern nur über uns selbst.“ Mayenburg hielt dagegen, dass er als Deutscher, der in Deutschland aufgewachsen ist, nationale Identität immer „eher als eine Belastung“ empfunden habe. „Wenn man älter wird, denkt man: Ich bin Deutscher, ok, das ist schlecht. Aber ich bin auch Europäer. Diese andere Vision zu haben, ein Projekt, von dem man ein Teil ist, das ist etwas Wunderbares.“
Dramas of a Divided Europe 2 © Goethe-Institut London

Während die Serie The Brexit Shorts versuchte, einen Querschnitt durch verschiedene Meinungen zu geben, war die Perspektive der Podiumsgäste eher begrenzt, wie aus dem Publikum angemerkt wurde. Eine Frau befand, dass das Podium „nichts anderes als die EU“ kenne und dass es nützlich gewesen wäre, auch eine andere Generation zu Wort kommen zu lassen. Ihr Beitrag erinnerte an die Gegensätze, die zwangsläufig bei jeder Diskussion um den Brexit auftauchen, so wie ‚alt gegen jung’ oder ‚London gegen den Rest des Vereinigten Königreichs’.

Die Beiträge des europäischen Podiums und des internationalen Publikums verdeutlichten aufs Neue, was manchmal vielleicht vergessen wird: Jedes europäische Land hat seine eigene Beziehung zur EU und seine eigenen Gründe für die Mitgliedschaft. Und obwohl die Diskussion und auch die Filme selbst zu keinem eindeutigen Ergebnis führten, zeigen Veranstaltungen wie diese, dass kulturelles Engagement sich lohnt – besonders wenn es um Themen geht, die so generationsprägend sind wie der Brexit. 

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