Film Jahrgang 45 & Stars

Jahrgang 45 © DEFA-Stiftung Thomas Plenert

Mi, 23.10.2019

19:00 Uhr

Wir eröffnen unsere Jürgen-Böttcher-Reihe mit Jahrgang 45, seinem einzigen Spielfilm. Eine Geschichte über Liebe, Unentschlossenheit, Suche und ziellosem Herumstreifen – leicht und atmosphärisch, doch fest verankert in der Realität Ostberlins Mitte der 1960er Jahre.
Stars, Böttchers erster von mehreren Kurzfilmen über Frauen am Arbeitsplatz, geht dem Hauptfilm voraus. Beide Filme werden eingeführt von Franziska Nössig, King’s College London
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Jahrgang 45
 
Al (Alfred) und Li (Lisa) sind noch nicht lange verheiratet, aber irgendwie kommen sie nicht mehr miteinander aus und haben die Scheidung eingereicht. Während Li weiterhin zur Arbeit geht – sie arbeitet als Krankenschwester - , hat sich Al ein paar Tage Urlaub von seinem Job als Automechaniker genommen. Nun kann er Zeit mit seinem Nachbarn Mogul verbringen, durch die Stadt ziehen, Freunde treffen, mit einer früheren Freundin neu anbändeln, seine Mutter besuchen. Im Gegensatz zu Li, die ihre Routine beibehält und anscheinend weiß, was sie vom Leben will, braucht Al offensichtlich Zeit und Raum, um herauszufinden, was in seinem Leben fehlt.
 
Als er begann, Filme zu machen, sagte Böttcher, tat er dies mit dem Ziel, einmal Spielfilme zu drehen. Aber er sah seine Dokumentarfilmarbeit als wichtige Vorbereitung auf dieses Vorhaben. Als Bewunderer der neorealistischen Filme von de Sica, Rossellini und Visconti wollte er Filme machen, die die harte Realität des täglichen Lebens widerspiegeln. Zwar mögen die Verhältnisse in Jahrgang 45 nicht allzu hart erscheinen. Aber die geschilderten Schwierigkeiten erscheinen doch real und nachvollziehbar, nicht nur weil es, wie der Titel suggeriert, die Schwierigkeiten die von vielen in jener Nachkriegsgeneration waren, die Mitte der 1960er Jahre zwanzig wurden. Als und Lis Probleme wirken vor allem auch authentisch, weil sie in eine Erzählung eingebettet sind, die sich wie selbstverständlich von Szene zu Szene bewegt, mehr beobachtet als inszeniert wirkt und sich in der sommerlichen Atmosphäre der Parks, Plätze und Straßen des damaligen Ostberlins entfaltet.
 
Jahrgang 45 blieb Böttchers einziger Spielfilm. Der von ihm angestrebte Realismus sowohl im Inhalt als auch bei dessen stilistischer Umsetzung war genau das, was auf die Ablehnung der zuständigen DDR-Behörden stieß. Eine Kritik lautete, der Film verkörpere die “Heroisierung des Abseitigen”. So wurde der Film im Stadium des Rohschnitts verboten und erst 1990 fertigestellt und uraufgeführt. Nach dem Verbot kehrte Böttcher zurück zum Dokumentarfilm. Eine, in seinen Worten,  “fast verrückte Idee vom künftigen Film” und seine Malerei halfen ihm, den Schlag zu überstehen und weiterhin kreativ zu bleiben.  
 
Jahrgang 45 (Born in ’45), DDR 1966 / 1990, s/w, DCP (35mm), 91 Min. Mit englischen Untertiteln.
Regie: Jürgen Böttcher. Buch: Klaus Poche, Jürgen Poche. Kamera: Roland Gräf. Musik: Matthias Suschke, Wolf Biermann (Lieder). Mit Monika Hildebrand, Rolf Römer, Paul Eichbaum, Holger Mahlich, Gesine Rosenberg, Walter Stolp, Werner Kanitz, Ingo Koster, Anita Okon, Ruth Kommerell, Richard Rückheim, Ralf Winkler alias A. R. Penck.
 


Stars
 
Böttchers erster Film, in dem er Frauen bei der Arbeit zeigt, ist das Gruppenportrait einer Frauenbrigade in der NARVA Glühbirnenfabrik in Berlin, wo die Arbeiterinnen mehr als 30.000 Wolframdrahte (Wendeln) pro Monat prüfen müssen. Wir sehen den Frauen bei ihrer anstrengenden Arbeit zu, wir hören sie schwatzen, scherzen und werden Zeugen einer Diskussion darüber, ob es besser ist, nach der Geburt eines Kindes zurück zur Arbeit zu kommen oder zuhause zu bleiben.  
 
Stars, DDR 1963, s/w, DCP (35mm), 20 Min. Mit englischen Untertiteln.
Regie: Jürgen Böttcher.


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Mit einer Einführung von Franziska Nössig, King's College London.

Franziska Nössig unterrichtet im German Department am King’s College London, wo sie Anfang des Jahres über Jürgen Böttcher promovierte. Sie hat zu Böttchers Experimentalfilm-Trilogie "Verwandlungen" veröffentlicht und seine Filme u.a. bei der Deutschen Botschaft in London und der Weimarer Kunstgesellschaft vorgestellt.
 

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