Film Auf der anderen Seite

Auf der anderen Seite (c) Filmproduktion

Do, 13.10.2016

Goethe-Institut Ghana

Fatih Akin-Reihe

Regie: Fatih Akin, Farbe, 120 Min., 2006/07

Fürsorglich kümmert sich Nejat um seinen alten, herzkranken Vater: ein Witwer namens Ali Aksu (Tuncel Kurtiz), der in Bremen als Taxifahrer gearbeitet hat, seinen Sohn allein großziehen mußte, und der auf seine alten Tag noch einmal so etwas wie eine Familie haben will. Deshalb holt er eine türkische Prostituierte, Yeter Ötztürk (Nursel Köse), aus dem Rotlichtbezirk Bremens ins Haus. Aber Yeter zeigt sich nicht immer gefügig, und einmal, in einer plötzlichen Aufwallung seiner patriarchal polternden Natur schlägt Ali zu, was zu einem unglücklichen Sturz und dem Tod Yeters führt.

Ali wird verhaftet und in die Türkei abgeschoben. Nejat wendet sich von seinem Vater ab, und weil er erfahren hat, dass Yeter mit dem Geld, das sie als Prostituierte verdiente, ihre Tochter Ayten (Nurgül Yeşilçay) in Istanbul unterstützte, fährt er dort hin, übernimmt eine deutsche Buchhandlung, und sucht nach Ayten. Die aber, eine kämpferische politische Aktivistin, ist in der Gegenrichtung unterwegs, reist, auf der Flucht vor der türkischen Polizei, illegal nach Deutschland ein.

Die Erzählung wechselt von einer Figur zur nächsten, springt dabei in der Zeit immer wieder zurück, was eine multiperspektvische rondellartige Storyform ergibt, ähnlich wie in Kurosawas RASHOMON, und begleitet nun Aytens Schicksal: die Begegnung mit der jungen engagierten deutschen Studentin Lotte Staub (Patrycia Ziolkowska), aus der sich eine Liebesgeschichte ergibt, und ein heftiger Streit mit Lottes eifersüchtiger, gluckenhafter Mutter (Hanna Schygulla), Verhaftung durch die deutschen Asylbehörden, Abschiebung in ein türkisches Frauengefängnis. Schließlich siedelt die Geschichte nach Istanbul um, wo Lotte - wieder ein tragischer, eher zufälliger Tod – erschossen wird, und ihre trauernde Mutter, das Engagement der Tochter übernehmend, auf Nejat trifft.

Der Film durchquert große Themen (Immigration und Asylrecht, Prostitution und Familienrekonstruktion, Tod und Verwandlung), gewinnt seine Stärke aber in seiner Portraitzeichnung. Die Charaktere werden wunderbar präzise konturiert: die Knorrigkeit des Vater, der kämpferischen Elan der Aktivistin, die kontemplative Ruhe des Germanistikprofessors. Besonders schön: die Küchenszene, in der Hanna Schygulla einen Kirschkuchen belegt, und der jungen Türkin – auf die sie eifersüchtig ist, weil sie ihr die Tochter wegnimmt – eine Lektion verpassen will und sich dabei aus ihrer Lethargie hervorschälen muss.

In „Auf der anderen Seite“ bringt Akin seine sanfte, kontemplative, feminine Seite zur Geltung. Kein Zufall, dass sich die entscheidenden Szenen in Küchen abspielen (ein früher Entwurf hieß „Soul Kitchen“), und dass die beiden Mutter-Figuren herausragen: die türkische wird als Hure-und-Heilige-Gestalt gezeichnet, und die deutsche als eine Mama-Glucke, die aus ihrer Verschlossenheit erlöst werden kann. Da darf man gespannt sein, wie Akin die „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie abschließen und den Teufel portraitieren wird.

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