Die Arbeit des Künstlers Peter Roehr
Peter Roehr

Wiederholen ohne zu variieren.
Die Arbeit des Künstlers Peter Roehr
Von Nadine Hahn-Rübel
Sechshundert Arbeiten hat der deutsche Künstler Peter Roehr in seiner kurzen Karriere erschaffen. Unter dem Einsatz von Schrifttypen, Kollagen, Film und Tonmaterial formulierte er eine Lesart von Konsumkultur, die zwischen Pop-Art, Minimalismus und Konzeptkunst angesiedelt war. Den Zugang dazu eröffneten ihm vorgefundene Materialien wie Bilder, die er aus Magazinen geschnitten hatte, Bierdeckel und Sequenzen aus Fernsehwerbungen. Roehr fügte daraus hypnotische Werke, die durch Wiederholung ohne Variation geprägt waren. Von seinen Zeitgenossen weitgehend übersehen, wurde Roehrs nachdrückliche Erforschung des Serialitäts-Prinzips erst posthum wiederentdeckt. In Griechenland ist sein Werk noch nie zuvor ausgestellt worden.
Dank seiner Arbeiten, die auf dem Konzept der „unvariierten Wiederholung“ beruhten, gilt der Frankfurter Künstler Peter Roehr (1944–1968) als einer der ersten und konsequentesten Protagonisten der Minimal Art in Deutschland. Um verborgene Qualitäten und Informationen wahrnehmbar werden zu lassen, montierte Roehr identische Gegenstände mehrmals neben- oder hintereinander. Dieses Prinzip wendet Roehr auf Objekte, Fotos, Texte sowie Film- und Tonaufzeichnungen an, woraus sich ein Œuvre ergibt, das sich anhand verschiedener Materialitäten in mehrere Werkgruppen einteilen lässt. Schnell kristallisierte sich für Roehr die Verwendung von industriell hergestellten und seriell produzierten Gegenständen heraus, da diese, im Vergleich zu natürlichen oder selbstgefertigten Materialien, den höchsten Grad an Ähnlichkeit aufweisen.
Um die Anzahl der Wiederholungen in seinen Montagen zu bestimmen, setzte sich Peter Roehr selbst zwei Vorgaben: Einerseits muss es um mehr gehen, als bloß eine Ansammlung gleicher Einzelteile, andererseits darf eine bestimmte Anzahl davon nicht überschritten werden, würden sich die Einzelteile sonst doch einer dominierenden ästhetischen Struktur unterordnen. Um das Ergebnis zu objektivieren und seine eigene Neutralität hervorzuheben, bat Roehr Freund*innen und Kolleg*innen um eine Bestimmung der jeweiligen Wiederholungsanzahl. Dass er den Künstler nicht in der Rolle des kreativen Schöpfers sah, zeigt sich auch in der Verarbeitung von vorgefundenen Materialien. Die Wörter, Sätze oder Absätze, die Roehr in seinen Text-Montagen verarbeitete, entnahm er den unterschiedlichsten Quellen, darunter Schulbücher, Zeitungsanzeigen und Wetterberichte. Durch die Wiederholung des immer gleichen Textstückes löst sich die semantische Ebene auf, die Sätze werden ihres Sinnes entleert. Seine Ton-Montagen verstand Roehr als Hörtexte, bei denen er dem gleichen Prinzip folgte: Fragmente aus schon gesprochenen Rundfunktexten, darunter Werbung, Nachrichten, Moderationen und Jingles.
Für die Werkgruppe der Film-Montagen nutzte Roehr Found Footage, das er auf Anfrage bei einem privaten Filmarchiv sowie von seinem Freund und späteren Galeristen Paul Maenz erhielt. Maenz überließ Roehr eine Kiste mit ungefähr 100 TV-Spots aus den Ländern, in denen er als Creative Director einer Werbeagentur tätig war. Beim Schnitt wurde Roehr von Roland Krell unterstützt, der manche Arbeiten nach Roehrs Anweisungen sogar gänzlich alleine herstellte. Auch durch dieses Vorgehen unterstrich Roehr seine Ablehnung der künstlerischen Autorenposition. Insgesamt entstanden von Juli 1965 bis Herbst 1966 22 Film-Montagen, die auf drei 16-mm-Filmrollen übertragen wurden. Daher rührt die Benennung o.T. (FI-1–3). Zusätzlich erhielt jede Montage trotz anfänglicher Zweifel Roehrs einen eigenen Titel, der als vier-Sekunden-Stück vor die jeweilige Montage geschnitten wurde und aus einem Wort, das die Sequenz inhaltlich beschreibt, sowie der Anzahl der jeweiligen Wiederholungen besteht.
Roehr löst die Sequenz aus ihrem ehemaligen Spannungsbogen heraus und überführt sie in die sukzessive Wiederholung. Durch die visuelle Zuordnung der Themenblöcke Urbanität, Kinematografie und/oder Werbung entstanden Referenzen zum Genre des Materialfilms, bei dem Film über Film als Medium reflektiert, und zum medialen Massenbetrieb. Obwohl Roehr mit den Ton- und Film-Montagen die Wiederholung als grundlegende Strategie der Werbepsychologie entlarvte, verstand er seine Arbeit keinesfalls als Werbekritik, sondern als Zuwendung zu und Auseinandersetzung mit einer, wie er sagt, „modernen Umweltästhetik“. Der Inhalt der einzelnen Filmeinstellungen sei Roehr nebensächlich gewesen, was er durch die Einblendung des folgenden Zitats zu Beginn jeder Filmrolle betont: „Ich verändere Material indem ich es unverändert wiederhole. Die Aussage ist: das Verhalten des Materials zur Häufigkeit seiner Wiederholung“.
Das Archiv des Künstlers befindet sich am MMK und ist online unter
www.archiv-peter-roehr.mmk-frankfurt.de einsehbar.
FREQUENCIES I
Ausstellung 03. März - 21. Mai 2022