Blaue Frau

Buchcover von Blaue Frau ©   Blaue Frau
Antje Rávik Strubel:  Blaue Frau
Frankfurt am Main:  S. Fischer Verlag 2021, 432 Seiten


Das traumatische Ereignis und die Unmöglichkeit, es in Sprache umzuwandeln, bildet die Grundlage der Erzählung im neuen Roman von Antje Rávik Strubel, Blaue Frau, das neulich mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet wurde.
Im Fall der Hauptfigur Adina, einer jungen Frau, die aus einem tschechischen Dorf nach Berlin zieht, wurzelt das Trauma in ihrer Vergewaltigung durch einen deutschen Kulturmanager während ihrer Praktikumszeit in der Uckermark. In Blaue Frau sind die politische und die existenzielle Dimension des Traumas eng miteinander verbunden: Mit der MeToo-Bewegung synchronisiert, thematisiert die Autorin die Gewalt gegen Frauen, indem sie die Machtmechanismen und das auferlegte Schweigegebot an die Opfer der Gewalt aufzeigt, und zugleich die tieferen Seelenschichten ihrer Figur aufdeckt, einer Frau, die immer auf der Flucht zu sein scheint, jedes Mal den Abstand zwischen ihr und der Welt neu messend.

Die politische Reflexion, die sich im Buch entfaltet, geht allerdings über die feministische Thematik hinaus: Den Stationen von Adinas Irrfahrt durch ein ungastliche Europa folgend (von Tschechien nach Deutschland, und von dort nach Finnland, wo sie in einer Hotelbar schwarzarbeitet), kommen mittels einer sehr präzisen Sprache die Ungleichheiten der heutigen westlichen Klassengesellschaften sowie die Kluft zwischen West- und Osteuropa, ja die Arroganz der Westeuropäer gegenüber den Menschen aus den ehemaligen sozialistischen Staaten zum Vorschein.
Anstelle einer linearen Darstellung der Ereignisse bringt die Autorin die Erzählung durch Rückblicke voran, indem sie die verschiedenen Zeitebenen miteinander montiert und so die Funktion der Erinnerung aufspürt, die das Verdrängte und Vergessene wieder ins Leben ruft. Zugleich werden auf einer zweiten, parallelen Erzählebene, die mit ihren poetischen Fluidität den kalten Strom des Hauptstrangs der Erzählung durchdringt, kurze, im Laufe des Buches sich ausdehnende Episoden als Zwischenkapitel eingeführt, bei denen eine Schriftstellerin (das literarische Alter Ego von Strubel) in der ersten Person von ihren Begegnungen mit der rätselhaften „blauen Frau“ erzählt, dabei die Grenzen des Sprache reflektiert und dadurch hinter dem klaren Umriss der Dinge ihre doppelsinnige Tiefe erscheinen lässt.

Blaue Frau - Antje Rávik Strubel | S. Fischer Verlage


Von Marina Agathangelidou

Marina Agathangelidou, geboren 1984 in Athen, lebt in Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft und literarisches Übersetzen in Athen und promovierte anschließend am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 2006 ist sie als freie Übersetzerin tätig.
 

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