Im Menschen muss alles herrlich sein

Im Menschen muss alles herrlich sein ©   Im Menschen muss alles herrlich sein
Sasha Marianna Salzmann:  Im Menschen muss alles herrlich sein
Berlin: Suhrkamp Verlag, 2021, 384 Seiten.



Den unübertragbaren Charakter der Erfahrung, sei sie historisch oder privat, thematisiert die 1985 in Wolgograd der ehemaligen Sowjetunion geborene Sasha Marianna Salzmann in ihrem neuen, zweiten Roman Im Menschen muss alles herrlich sein. Das Buch erschien im letzten Herbst, vier Jahre nach ihrem besonders erfolgreichen Romandebüt Außer sich – ein Debüt, dass auf der Short List für den Deutschen Buchpreis stand und bisher in 16 Sprachen, unter anderem ins Griechische (Patakis-Verlag, 2021, übers. v. Giota Lagoudakou) übersetzt wurde. Wie bei Außer sich schöpft Salzmann auch bei dem vorliegenden Roman ihren Stoff einerseits aus dem reichhaltigen Reservoir der sowjetischen und postsowjetischen Jahre und andererseits aus einer Gegenwart, die sich den vorgeschriebenen, überlieferten Normen der Vergangenheit widersetzt und ihre fluide, stürmische, nicht einzuordnende Natur manifestiert.
Die Lebensgeschichten von vier Frauen, die sich über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten entfalten, von den 70er Jahren bis 2015, stehen im Zentrum der Romanhandlung und überschneiden sich: Es geht um Lena und ihre Tochter Edi sowie um Tatjana und ihre Tochter Nina. Die Mütter haben den Zerfall der Sowjetunion miterlebt und sind schließlich nach Deutschland gezogen, wo sie im Elend einer dürftigen Existenz versinken, innerhalb der Grenzen ihrer nationalen Gemeinschaft verharrend, während ihre Töchter bemüht sind, sich selbst zu definieren, indem sie das Konzept der Herkunft an sich infrage stellen und sich gegen die Fetischisierung der Vergangenheit seitens ihrer Eltern und weiterer Verwandten auflehnen. Salzmann inszeniert einen Generationenkonflikt und geht dabei über die Bipolarität von Nostalgie und Antinostalgie hinaus, indem sie nüchtern, eindringlich und voller Empathie alle Perspektiven zum Vorschein bringt und dadurch die Vielseitigkeit ihres Erzählblickes bestätigt. Das fließende, galoppierende Erzählen, die Meisterung des heterogenen Stoffs, der sich über verschiedene Raumzeitzonen erstreckt, und die Schärfe der Beobachtung zählen ebenfalls zu den Stärken des Romans, wie auch die lebhaften, prägnanten Dialoge, die der langjährigen Erfahrung von Salzmann als Theaterautor:in zu verdanken sind. 


Im Menschen muss alles herrlich sein. Buch von Sasha Marianna Salzmann (Suhrkamp Verlag)

Titel von Sasha Marianna Salzmann in der Bibliothek des Goethe-Instituts Athen.


Von Marina Agathangelidou
Marina Agathangelidou, geboren 1984 in Athen, lebt in Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft und literarisches Übersetzen in Athen und promovierte anschließend am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 2006 ist sie als freie Übersetzerin tätig.


 

Top