Fern von hier. Sämtliche Erzählungen

Fern von hier. Sämtliche Erzählungen ©   Fern von hier. Sämtliche Erzählungen
Adelheid Duvanel:
Fern von hier. Sämtliche Erzählungen
Zürich:  Limmat Verlag, 2021, 792 Seiten.


Es ist zweifellos eins der wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres in der deutschsprachigen literarischen Welt: Die Veröffentlichung sämtlicher Erzählungen der Schweizerin Adelheid Duvanel (1936-1996) vom Limmat-Verlag in Zürich bringt den literarischen Schatz dieser so besonderen Autorin zum Vorschein, die zu Lebzeiten nicht die Resonanz fand, die sie verdiente, und nach ihrem Tod in Vergessenheit geriet. Der schöne Band enthält alle schon publizierten Erzählbände der Autorin sowie die Erzählungen, die Duvanel in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht hatte, und wird durch zwei aufschlussreiche Texte der Herausgeberin des Bandes Elsbeth Dangel-Pelloquin und der Autorin Friederike Kretzen abgerundet.
Die kurzen bis sehr kurzen (2 bis 6 Seiten langen) Erzählungen Duvanels, einer Autorin die sich ausschließlich der kurzen Form gewidmet hatte, stellen jedes Mal eine ganze Welt in Miniatur vor; eine Welt, die, auch wenn sie jeden Bereich der wahrnehmbaren Realität zu umfassen und zugleich in einen Schleier der Absurdität gehüllt zu sein scheint, zutiefst menschlich bleibt. Eine Reihe von einsamen, empfindsamen und fragilen Figuren zieht durch die Seiten des Buches: Frauen mit Kindern und Frauen ohne Kinder, Künstler, Büroangestellte, Verliebte, Drogensüchtige, Träumer, Außenseiter. Die Kunst der Verdichtung, des lakonischen Ausdrucks und der Anspielung beherrschend und eine außerordentliche Beobachtungsgabe und Feinfühligkeit besitzend, zeichnet Duvanel die psychischen Porträts ihrer Figuren, als würde sie die Steine eines Mosaiks miteinander verbinden. Wort für Wort bildet die Autorin ihre Geschichten auf: mit einer ausgewogenen poetischen Sprache, mit Nüchternheit, subtilem Humor und einem scharfen Auge für die kleinen, winzigen Details, die die Personen und die Dinge anders beleuchten und die zum Schaffen einer reizenden Atmosphäre beitragen. Mit kleinen, kaum merklichen aber bedeutsamen Details bringt Duvanel auch die Handlung der Erzählungen voran und hält dabei für die Leser*innen von einem Satz auf den anderen ständige Überraschungen bereit. Obwohl sie oft – und zurecht – mit Kafkas oder Robert Walsers Ästhetik verglichen wurde, hat Adelheid Duvanels Prosa ihren eigenen, einzigartigen Stil und verdient es, entdeckt, gelesen und übersetzt zu werden.

Limmat Verlag


Von Marina Agathangelidou
Marina Agathangelidou, geboren 1984 in Athen, lebt in Berlin. Sie studierte Theaterwissenschaft und literarisches Übersetzen in Athen und promovierte anschließend am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit 2006 ist sie als freie Übersetzerin tätig.

 

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