Hans Jürgen Syberberg
Syberberg und Wagner

Montage: Wagner und Syberberg

Hans Jürgen Syberberg zählt zu den umstrittensten Chronisten der deutschen Kulturgeschichte – nicht zuletzt wegen des Einflusses Richard Wagners auf die Arbeitsweise des deutschen Filmemachers und Künstlers.

Hans Jürgen Syberberg und Richard Wagner – die beiden Namen stehen für eine künstlerische Tradition, von der sich der ästhetische und politische Diskurs im Neuen Deutschen Film der Siebzigerjahre um Volker Schlöndorff, Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder zu distanzieren versuchte.

Ausgangspunkt dieser Bemühungen war das Jahr 1945 – als die Kunst Wagners aufgrund der Vereinnahmung durch Adolf Hitler an der „Kulturbörse unter Null“ gehandelt wurde, wie es der Literaturwissenschaftler Hans Mayer ausdrückte. Syberberg und der Neue Deutsche Film versuchten sich – jeder auf seine Weise – an der Vergangenheitsbewältigung und einer Aufarbeitung der NS-Zeit.

Eine „Deutsche Trilogie“

Während sich der Neue Deutsche Film in der kritischsten Phase der terroristischen Aktivitäten der RAF (Rote-Armee-Fraktion) mit der Wirklichkeitsabbildung in der Bundesrepublik nach 1945 beschäftigt, stellt dieses Referenzjahr in Syberbergs Beschäftigung mit der deutschen Geschichte weniger eine historische Zäsur dar, sondern wird durch einen kulturellen Verlust gekennzeichnet. In seinem Essay Die Kunst als Rettung aus der deutschen Misere schrieb er 1978: „Deutschland wurde seelisch enterbt und enteignet. (…) den verfluchten Hauptstrang ihres Wesens haben sie den Nazis kampflos zugeschoben, ihn mit dem Fluch des Faschismus belegt“. Diese Leerstelle versuchte Syberberg mit seiner sogenannten „Deutschen Trilogie“ – bestehend aus Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König (1972), Karl May (1974) und Hitler, ein Film aus Deutschland (1977) – sowie dem fünfstündigen Interviewporträt Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914–1975 (1975) für sich zu reklamieren. Er betrachtete sich als Erbfolger einer romantischen, deutschen Kulturtradition, die er durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten und Hitlers unverhohlene Begeisterung für die Motivgeschichte Richard Wagners in Misskredit gebracht sah.

Die Welt als Kunstwerk

Diese Bezugnahme Syberbergs wollte die deutsche Kritik der Siebzigerjahre als Absage an die Moderne verstehen. Die Faszination für Wagner ist ein wiederkehrendes Thema der Trilogie, obwohl der Komponist in den Filmen nur indirekt – etwa als Bindeglied zwischen dem Märchenkönig Ludwig und Hitler, die beide zu den Förderern des Hauses Wagners gehörten, oder durch den Einsatz seiner Musik in Karl May – vorkommt. Syberbergs Konzept, historische Figuren wie Ludwig II, Adolf Hitler oder Karl May als Mythen der Neuzeit zu interpretieren, findet ein unausgesprochenes Vorbild in der Anmaßung Wagners, die nordische Nibelungensaga als Wiege der deutschen Kultur vereinnahmt zu haben.

Wagners Prinzip der Verwandlung der Welt in ein Kunstwerk, dem sein Hang zum Kitsch und zur formalen Überhöhung zugrunde lag, stellte Syberberg mit seiner Trilogie ein dichtes Zitatwerk aus Bildern, Texten, Musik und historischen Begebenheiten entgegen. Er spielte mit dem mythischen Zeichensystem, das den falschen Wagner-Kult umgab, um den Namen Wagner vom Missbrauch durch die Nationalsozialisten reinzuwaschen. „Hitler kann nur mit Richard Wagner geschlagen werden“, hat Syberberg über Hitler, ein Film aus Deutschland gesagt.

Im Ausland wurde Syberberg für seine Filme gefeiert. Henri Langlois von der Cinémathèque Française nannte ihn einen „Murnau des zeitgenössischen Films“ und die linke Tageszeitung Libération schrieb über Karl May anerkennend: „Die deutsche Romantik – vom Nazismus befreit“. Doch Hitler, ein Film aus Deutschland sollte zum endgültigen Bruch mit der deutschen Kritik führen.

Der böse Geist des Nationalsozialismus

Syberberg erhob die künstlerische Konzeption Wagners, seine Faszination für Mythen, die Idee eines Gesamtkunstwerks, mit seinem Abschlussfilm zum Leitmotiv der Trilogie. Mit einer Spielzeit von sieben Stunden war Hitler (zeit-)aufwendiger als jede Bühnen-Inszenierung, gleichzeitig kulminierten in seinem Opus Magnum die vielen disparaten Stilmittel, die Syberberg in den ersten beiden Teilen erprobt hatte. Wie in einem Kaleidoskop fügten sich Fragmente aus vorgetragenen Texten, Puppentheater, Dokumentation, Spiel- und Musikfilm, Originalreden und Radioeinspielungen, Rückprojektionen und Doppelbelichtungen zu einer surrealen Albtraumlandschaft, die sich jeder rationalen Bildmontage widersetzte. Wenn sich der Schauspieler Heinz Schubert mit einer Adolf Hitler-Maske verkleidet aus dem Grab Richard Wagners erhebt, wird die Absicht hinter Syberbergs ausschweifender Inszenierung deutlich. Wagners Bayreuth, das verlorene Paradies, soll endgültig vom bösen Geist des Nationalsozialismus exorziert werden.

Schöpferischer Irrationalismus

Syberberg hat diesen ausufernden Gestaltungswillen aus Traumgespinsten, Privatmythologien und Phantasmagorien bei Ludwig II, Karl May, Friedrich Wilhelm Nietzsche und eben Richard Wagner gefunden. Er nannte diese Geisteshaltung mehrfach einen „schöpferischen Irrationalismus“. Adolf Hitler war Beschmutzer dieser Traditionslinie – Syberberg verstand sich gewissermaßen als Korrektiv. Er wollte die Idee einer „nationalen Identität“, für die das Werk Wagners seiner Ansicht nach eintrat, nicht durch einen falschen Propheten verunglimpft wissen. Die Parsifal-Verfilmung von 1982, mit dem seine Erkundungen des wagnerischen Wesens einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, setzt die Arbeitsweise der Hitler-Demontage fort. Der Film machte sich erneut alle verfügbaren Medien und Künste zu eigen, um die Oper zum Kino hin zu öffnen – und umgekehrt.

Gesamtkunstwerke und verlorene Paradiese

Syberberg, der seine ersten filmischen Erfahrungen beim Dreh von Bühnenproben an Bertolt Brechts Berliner Ensemble machte, empfindet weder das Theater noch das Kino als erfüllende künstlerische Form. Seine Deutschland-Filme waren eine kontinuierliche Verfeinerung von Wagners Vorstellung eines „Gesamtkunstwerks“: eine Synästhetisie aus „Vorgefundenem zu etwas Drittem, Optisch-Akustischem, vielleicht zu Riechendem, Tastendem, Schmeckendem“, wie er in seinem Buch zur Parsifal-Verfilmung anmerkte. Vielleicht ist es nur folgerichtig, dass Syberberg erst die Künste hinter sich lassen musste, um sein persönlichstes Gesamtkunstwerk zu erschaffen. Heute lebt er auf einem Gutshof im mecklenburgischen Nossendorf, den er schrittweise restauriert. Die Fortschritte sind täglich über Webcams auf seiner Website zu verfolgen, nebst Tagebucheinträgen und Bildergalerien. Der Hof hatte bis zum Zweiten Weltkrieg seinen Eltern gehört, nach dem Mauerfall erstritt er ihn sich zurück. Wenigstens dieses verlorene Paradies konnte Syberberg behaupten.