Bibliotheken als Begegnungsorte
Wichtig trotz Internet

Bibliothek des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin
Bibliothek des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin | Foto (Ausschnitt): © Humboldt-Universität zu Berlin/Matthias Heyde

Bibliotheken verlieren auch im digitalen Zeitalter nichts von ihrer Anziehungskraft für ihre Nutzer. Sie sind mehr denn je als angenehmer, inspirierender und kommunikativer Ort zum Lernen und Forschen gefragt.

Während die Bibliothek in den vergangenen Jahrhunderten der einzige Ort war, an dem man Zugang zu bedeutenden Quellen für die Forschung hatte, läuft der Zugriff auf Informationen heute zunehmend – und in den Naturwissenschaften fast ausschließlich – über das Internet. Doch auch wenn Forscher und Studenten bequem vom heimischen Schreibtisch aus auf das gesammelte Wissen zugreifen können, sind die wissenschaftlichen Bibliotheken voller als je zuvor.

„Die Arbeitsplätze in der neuen Bibliothek des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin sind beispielsweise so begehrt, dass man dort Parkscheiben für belegte Plätze ausgeben muss“, erklärt Petra Hauke, Mitglied der Sektion Education & Training im Weltverband der Bibliotheken (IFLA) und Lehrbeauftragte am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Berliner Humboldt-Universität. „Wenn der Nutzer nicht innerhalb einer bestimmten Zeit an seinen Arbeitsplatz zurückkommt, dann räumen die Bibliotheksmitarbeiter seine Sachen weg, um Platz für andere Nutzer zu schaffen.“

Anregend, attraktiv und abgeschieden

Auch – oder gerade – im Zeitalter der Digitalisierung bleibt der Ort Bibliothek attraktiv: als inspirierender Raum. „Die neue Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin wurde von Anfang an überrannt – allerdings nicht nur von Philologen, sondern auch von sehr vielen Juristen, die sich ihre Gesetzestexte selbst mitbrachten“, ergänzt Petra Hauke. Sie waren nicht an den Beständen der Bibliothek interessiert, sondern ‚nur‘ an dem schönen, anregenden Raum.“

Und auch jenseits von spektakulären Neubauten werden Bibliotheken als Orte wahrgenommen, an denen man sich wohlfühlt und keinen kommerziellen und sonstigen Verführungen und Ablenkungen ausgesetzt ist.

Reale Begegnung und Kommunikation

Aber nicht nur der Raum selbst inspiriert die Bibliotheksbesucher, sondern auch die Nähe zu anderen, zu Gleichgesinnten, die konzentriert arbeiten oder sich austauschen möchten. „Der Bedarf nach Begegnung wird umso größer, je mehr die Menschen vereinzelt vor ihren Computern sitzen“, sagt Hauke.

Für Hauke zeigt sich zum Beispiel auch die Entwicklung zum „Konferenz-Tourismus“ deutlich: „Als die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten aufkamen, dachten viele, dass Konferenzreisen nun nicht mehr erforderlich seien. Das Gegenteil ist der Fall: Immer mehr Konferenzen werden angeboten und gut besucht – und auch dort findet der wichtigste Austausch nicht unbedingt über die Präsentationen statt, sondern in den Pausen beim Kaffee.“

Nutzer- statt Bestandsorientierung

Immer mehr wissenschaftliche Bibliotheken reagieren auf diesen offenbar zunehmenden Bedarf. Ein Beispiel ist die Bibliothek der Universität Konstanz, die ihre naturwissenschaftliche Teilbibliothek im Jahr 2011 umgestaltet hat. Dafür wurden zunächst die Bedürfnisse der Studenten und Forscher evaluiert.

„Das Ergebnis war: Die Wissenschaftler brauchen vor allem den direkten elektronischen Zugang zu Datenbanken und Zeitschriften und nur ab und zu einmal etwas aus dem gedruckten Bestand in der naturwissenschaftlichen Bibliothek“, erklärt Oliver Kohl-Frey, der stellvertretende Direktor der Universitätsbibliothek Konstanz. „Die Studierenden aber benötigen neben dem Zugang zu gedruckten und elektronischen Beständen vor allem Einzelarbeitsplätze und Gruppenarbeitsbereiche mit einer zeitgemäßen Infrastruktur.“

In Abstimmung mit den betroffenen Fachbereichen wurden dann Printbestände von Zeitschriften ausgesondert, die mittlerweile über die Nationallizenzen elektronisch verfügbar sind. „Allein dadurch konnten wir etwa 32.000 Bände verkaufen, verschenken beziehungsweise makulieren“, sagt Kohl-Frey, „und haben so Platz für eine Umgestaltung der naturwissenschaftlichen Teilbibliothek gewonnen.“

Platz für Arbeit und Erholung

Neben weiteren Einzelarbeitsplätzen wurde auch ein neuer Gruppenarbeitsbereich mit Tischen und Bürostühlen geschaffen. „Innerhalb weniger Stunden wurde er von Studierenden mit großer Selbstverständlichkeit in Beschlag genommen. Seitdem ist er im Schnitt zu 75 Prozent ausgelastet – und zu Spitzenzeiten voll belegt. Dabei stellen die Studierenden die Tische nach Belieben so zusammen, wie sie sie brauchen“, sagt Oliver Kohl-Frey.

Doch ein moderner Lernort bietet auch Raum für informelles Lernen und zur Erholung. „So ist eine abgeschirmte Leseecke mit freundlichen Sofas eingerichtet worden und es gibt einen neuen Getränkeautomaten. Zudem haben wir weitere Ruheliegen angeschafft, auf denen natürlich nicht nur geschlafen wird.“ In Konstanz hat man so in kurzer Zeit die Aufenthaltsqualität für die Nutzer deutlich gesteigert. „Und unser Beispiel zeigt, dass man dafür keinen strahlenden Neubau und kein riesiges Investitionsvolumen braucht.“