Susanne Gaensheimer im Interview
„Es gibt keine nationale Kultur mehr“

Susanne Gaensheimer
Susanne Gaensheimer | Foto (Ausschnitt): privat

Susanne Gaensheimer, Kuratorin des deutschen Pavillons der Biennale von Venedig 2013 und Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, spricht über ihr Biennale-Konzept und den Sinn nationaler Repräsentation durch Kunst.

Frau Gaensheimer, welches Fazit ziehen Sie, wenn Sie auf die Biennale von Venedig zurückblicken?

Der deutsche Pavillon war in zweierlei Hinsicht ungewöhnlich. Zum einen gab es den Pavillontausch zwischen Deutschland und Frankreich. Das war ein Vorschlag der Auswärtigen Ämter Frankreichs und Deutschlands. Zum zweiten habe ich entschieden, die deutsche Ausstellung international zu besetzen. Eingeladen habe ich Romuald Karmakar, Ai Wei Wei aus China, die indisch-stämmige Künstlerin Dayanita Singh und den Südafrikaner Santu Mofokeng. Die Künstler standen schon fest, als wir mit Christine Macel, der französischen Kuratorin, und Anri Sala, dem französischen Künstler, gemeinsam entschieden haben, den Vorschlag der beiden Außenministerien aufzunehmen und die Pavillons zu tauschen.

Die Pavillons sind Orte der nationalen Repräsentation und damit politische Orte. Es stellt sich somit die Frage, wie sich ein Land zu einem bestimmten Zeitpunkt an diesem Ort durch die Kunst selbst repräsentiert. Meine Entscheidung, Deutschland als ein global vernetztes Land, ein Land der Internationalität zu präsentieren, geht auch zurück auf meine Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief. Der hatte sich in seinen nicht ausgeführten Plänen für den Pavillon 2011 intensiv mit der Frage der nationalen Repräsentation durch Kunst auseinandergesetzt. Hinter diesen Punkt wollte ich nicht mehr zurück.

Darüber hinaus meine ich, dass Deutschland in den letzten zehn, zwanzig Jahren eine enorme Entwicklung hin zur Internationalität gemacht hat, wesentlich stärker als die meisten Länder in Europa. Es ist das Land, in dem die meisten internationalen Künstler leben und arbeiten. Dayanith Singh verlegt alle Bücher bei einem deutschen Verlag, Santu Mofokeng lässt alle seine Arbeiten in einer Berliner Werkstatt drucken, und Ai Wei Wei meint, kein Land sei für seine künstlerische Karriere so wichtig wie Deutschland.

Deutschland international gestalten

Welche Gründe könnte es für diese Entwicklung Deutschlands hin zur Internationalität geben?

Die Gründe liegen im Bemühen der deutschen Kulturpolitik, das Land im Bereich der Kultur und vor allem im Bereich der Bildenden Kunst zu öffnen. Es gibt hier eine Vielzahl von Maßnahmen, zum Beispiel das DAAD-Stipendium in Berlin, durch das Künstler ins Land kommen, die dann auch hier bleiben, hier ihre Kinder in die Schule schicken und so weiter. Und zum anderen positioniert sich Deutschland in der Kulturpolitik, wenn politisch verfolgte Künstler wie beispielsweise Ai Wei Wei hier dauerhaft Zuflucht finden können. Zu nennen wäre auch das Fellowship-Programm der Kulturstiftung des Bundes, durch welches deutsche Museen die Chance haben, ihr Programm internationaler zu gestalten und internationale Kolleginnen und Kollegen an ihre Häuser zu bringen.

Es gibt also ganz deutlich das Anliegen, Deutschland auf dem Gebiet der Kulturpolitik international zu gestalten. Dies hat sicherlich seinen Grund auch darin, dass es in Deutschland nach der Nazi-Zeit notwendig war, einen radikalen Bruch, einen Neuanfang zu wagen, und dies auch deutlich zu machen. Und das gelingt auf dem Gebiet der Kultur sehr gut.

Es ging in also Venedig darum, dieses Potenzial, das wir in Deutschland finden, zu zeigen. Aber es ging auch darum zu signalisieren, dass Europa nicht mehr gemeinsam mit Nordamerika das Zentrum der Moderne ist, sondern ein gleichberechtigter Partner in einem Netzwerk von vielen Zentren auf der ganzen Welt. Die eurozentristische Perspektive auf die Kunst ist heute nur noch eine von vielen Möglichkeiten.

Auf der Basis von Unterschieden Gemeinsames entwickeln

Welchen Sinn hat in diesem Kontext noch die Idee der nationalen Repräsentation mittels Kultur?

Was man im Pavillon deutlich gesehen hat, war ja, dass es durchaus unterschiedliche kulturelle Prägungen gibt. Es geht darum, auf der Basis von Unterschieden etwas Gemeinsames zu entwickeln. Meine Behauptung ist nicht, dass das Nationale sich aufgelöst hat. Man kann am Bemühen auch kleiner und sehr armer Länder, in Venedig sichtbar zu sein, ablesen, wie wichtig es für sie ist, Teil dieses Netzwerks zu sein, und sich dort mittels der Kunst zu repräsentieren. Es wird dann deutlich, dass für manche Länder das Ringen um Selbstbewusstsein im Vordergrund steht, während andere Länder sich anderen Fragen widmen. Ich finde das Konzept der Länderpavillons anachronistisch und zugleich immer noch interessant, da man dort sehen kann, wie unterschiedlich diese Selbstkonzeptionen sind. Man muss dieses Konzept breiter verstehen und davon wegkommen, dass nun irgendwo die besten Künstler eines Landes gezeigt werden würden. Wer ist schon der beste Künstler, das ist ja eine unsinnige Frage!

Kritisiert wurde der deutsche Pavillon übrigens auch nur in der deutschen Presse, während die internationale Presse durchgängig positiv reagiert hat. Und beim Publikum, das den Pavillon mit sehr großem Interesse aufgenommen hat, hat es zu einer Vielzahl von Gesprächen und Reaktionen geführt.
 

Dr. Susanne Gaensheimer ist Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte in München und Hamburg absolvierte sie das Independent Study Programme des Whitney Museum of American Art in New York. Nach der Promotion konzipierte und organisierte sie als freie Kuratorin Ausstellungen und begann anschließend ein wissenschaftliches Volontariat an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. Danach war Susanne Gaensheimer Direktorin am Westfälischen Kunstverein Münster. Von 2001 bis 2008 war sie Sammlungsleiterin und Kuratorin für Gegenwartskunst in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. 2011 kuratierte sie den deutschen Pavillon der 54. Biennale von Venedig, der den Goldenden Löwen erhielt. 2013 kuratierte sie erneut den deutschen Beitrag zur 55. Biennale von Venedig. Darüber hinaus wurde sie Anfang 2012 unter anderem in die Ankaufskommission der Bundesrepublik Deutschland, in das Kuratorium MUMOK Wien sowie in die Turner Prize-Jury 2013 berufen.