Digitale Elite
„Deutsche Internetunternehmen spielen in einer provinziellen Liga“

Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Michael Haller
Der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Michael Haller | Foto (Ausschnitt): © Kreuzkam/HMS

In den USA dehnt die digitale Elite ihren Einfluss auf die politische Bühne aus. Im Interview spricht Medienwissenschaftler Michael Haller über die Folgen dieses neuen Machtanspruchs und erklärt, warum die Verhältnisse in Deutschland etwas anders gelagert sind.

Herr Haller, Jeff Bezos, der Gründer des Internet-Versandhandels Amazon, hat die US-amerikanische Tageszeitung „Washington Post“ gekauft. Hat er hehre Ziele, will er den Journalismus retten?

Das glaube ich nicht. Sein Hauptinteresse ist eher, mehr Geltung in der kulturellen Welt zu gewinnen. Noch ist er da absolut bedeutungslos und möchte sich stärker profilieren.

Bei Google glaubt man, dass Technologie per se gut ist, Facebook macht es sich zum Ziel, die ganze Menschheit miteinander zu verbinden. Der Techno-Utopismus im Silicon Valley ist sehr stark ausgeprägt. Ist es da nicht einfach nur logisch, dass diese Unternehmen auch nach politischer Macht streben?

Verschiedene Medien und USA-Korrespondenten vertreten diese These. Ich teile sie nicht. Denn die institutionelle Politik im klassischen Sinn hat für die Big Player des Internets nur eine operative Bedeutung. Die großen Internetunternehmer denken doch eher in Kategorien von Marktstärke, also Einfluss und Macht, und nun auch Reputation. Mit der Washington Post schleicht sich Bezos in die Sphäre der Politik ein und wertet damit auch sein Amazon-Geschäft kulturell auf.

Andere Mentalität und Reichweite in Deutschland

Jeff Bezos ist nicht der Einzige, der sich Gedanken über seinen politischen Einfluss macht. Auch die Bücher des Google-Vorsitzenden Eric Schmidt oder der Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg lesen sich wie politische Agenden. Woher kommt auf einmal dieser Anspruch der digitalen Elite?

Der Politikbegriff in den USA ist ein anderer als in Europa: Es geht den Unternehmern in der Rolle des Autors um Rechtfertigung ihrer Marktmacht. Diese Unternehmer haben einen ungeheuren Einfluss durch ihre Dienste und Produkte erlangt, sie sind Global Player geworden und haben deshalb den Drang, sich gesellschaftspolitisch als geistreich und weitsichtig auszuweisen, und ihre großartigen Marketing-Slogans mit „Content“ zu füllen. Sie freuen sich, endlich von der intellektuellen Welt zur Kenntnis genommen zu werden.

Gibt es ähnliche Bestrebungen, den eigenen Einfluss zu politisieren, auch bei deutschen Internetunternehmern?

Die deutschen Internetunternehmen spielen in einer anderen, einer provinziellen Liga. Unsere deutschsprachigen Social-Media-Plattformen – ehemals StudiVZ und heute etwa Xing – hatten und haben eine im Vergleich mit englischsprachigen Portalen viel zu geringe Reichweite. Sie sind vom globalen Geschäft abgeschnitten. Deshalb konnten sich bei uns auch nie derart einflussreiche Big Player entfalten wie in den USA. Zudem ist die Mentalität eine andere: In den USA haben die Menschen praktisch keine Probleme, ihre Persönlichkeitsrechte durchlöchern zu lassen, wenn sich damit ein kommerzielles Geschäft verbindet, und man subjektiv das Gefühl eines persönlichen Nutzens hat. Diese Skrupellosigkeit, mit der zum Beispiel Facebook seine Mitglieder animiert, fortdauernd möglichst viel Traffic zu erzeugen, damit deren Profil für die Vermarktung noch besser erkennbar wird, zeigen deutsche Plattformen nicht – zum Glück, möchte man anfügen.

Keine gesellschaftlich relevanten Ideen

Woran liegt das?

In Europa haben wir noch immer einen gewissen Respekt vor der Integrität des Einzelnen, vor der Idee des sich selbst bestimmenden Individuums. Die US-amerikanische Gesellschaft zeigt demgegenüber mehr und mehr eine Art Schizophrenie: Zum einen feiert sie das Leitbild der Freiheitsrechte und führt unter diesem Banner sogar blutige Kämpfe und Kriege. Auf der anderen Seite schätzen es sehr viele Amerikaner, dass sie über die digitalen Medien den ganzen Tag überwacht, dass sie gleichsam bei der Hand genommen und de facto bevormundet werden wie kleine Kinder. Sie finden das schön, weil sie glauben, dass es ihnen einen Vorteil in Form von Erleichterungen bringe.

Gibt es denn überhaupt große Ideen aus den Reihen der Internetunternehmer? Wissen sie manches besser als die Politiker?

Weiterführende, auf das Gemeinwohl gerichtete gesellschaftspolitische Ideen sehe ich dort keine. Die meisten Buchpublikationen dieser Milliardäre verströmen neben Selbstgefälligkeiten trotz Ghostwriter viel heiße Luft. Ihre guten Ideen zielen letztlich darauf ab, deren Geschäftsmodelle gegen den Gesetzgeber oder andere Gegner zu verteidigen – oder weiter auszubauen und zu expandieren. Zum Beispiel, indem Facebook den Konkurrenten WhatsApp schluckt. Würde der Staat versuchen, solche Monopolbildungen zu begrenzen, würden all die Zuckerbergs und Bezos ihre Kunden für den heiligen Krieg gegen den Staat mobilisieren. Und den Kampf vermutlich im Namen der Freiheit gewinnen.
 

Michael Haller, Jahrgang 1945, war bis September 2010 Professor für „Allgemeine und Spezielle Journalistik“ am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Der Herausgeber der journalistischen Fachzeitschrift „Message“ arbeitete jahrelang für diverse Redaktionen, unter anderem für „Der Spiegel“ und „Die Zeit“.