Deutsche TV-Krimi-Serien
Mord auf der Mattscheibe

Team von „Kriminaldauerdienst“
Team von „Kriminaldauerdienst“ | © ZDF/Volker Roloff

Jeden Tag wird im deutschen Fernsehen gemordet, ermittelt und überführt – letzteres von Kommissaren ebenso wie von Anwälten, Pfarrern oder Hunden. Der Krimi gehört hierzulande zu den beliebtesten Genres - und ist äußerst facettenreich.

Hauptkommissar Frank Thiel ist alles andere als respekteinflößend: die Haare ungepflegt, in einem T-Shirt des Fußballclubs St. Pauli, steigt er auf sein Fahrrad und fährt hoppelnd über das Kopfsteinpflaster von Münsters Prinzipalmarkt. In der beschaulichen Stadt in Westfalen überführt er zusammen mit dem eitlen und eloquenten Rechtsmediziner Professor Boerne Verbrecher.

Münster statt „Magnum“

Das von Axel Prahl und Jan Josef Liefers dargestellte Ermittlerpaar löst seine Fälle im Tatort, der ältesten und erfolgreichsten deutschen Krimi-Fernsehserie. Da die Folgen häufig in den verschiedenen Regionalprogrammen der ARD wiederholt werden, kommen Tatort-Fans an jedem Tag der Woche auf ihre Kosten.

Zeitgleich gibt es – jeweils nur einen Programmplatz entfernt – weitere Morde, Verdächtigungen und Ermittlungen. Denn der Krimi gehört zu den beliebsteten Genres im deutschen Fernsehen. Während in den Siebziger- und Achtzigerjahren oft amerikanische Serien wie In den Straßen von San Francisco, Kojak oder Columbo gesendet wurden, wird seit rund zwei Jahrzehnten verstärkt in Deutschland produziert und ermittelt: Münster statt Miami Vice, Mord mit Aussicht statt Magnum.

Die Ermittler

Auf den ersten Blick scheint das Genre recht eingeschränkt zu sein: Es geschieht ein (oft kapitales) Verbrechen, das aufgeklärt wird. Doch die zahlreichen Serien haben es in den letzten Jahrzehnten geschafft, die Aufklärung einer Straftat aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu beleuchten.

Ermittelt wird aus der Sicht von Anwälten (Liebling Kreuzberg, Schwurgericht), Pfarrern (Schwarz greift ein), Privatdetektiven (Ein Fall für Zwei, Alles außer Mord), Sekretärinnen im Dienst der Kriminalpolizei (Adelheid und ihre Mörder) und Zollfahndern (Schwarz, Rot, Gold). Der farblose Typ des korrekten Ermittlers (Derrick, Der Alte, Kommissar Stolberg) findet ebenso sein Publikum wie der Tabu-Brecher im Polizei-Dienst (Tatort-Kommissar Horst Schimanski) oder die Action-Helden (SK Babies, Alarm für Cobra 11).

Es gibt Kommissarinnen mit Migrationshintergrund (Doppelter Einsatz), homosexuelle Ermittler (SK Kölsch, Mit Herz und Handschellen), ja: sogar tierische, wie Schäferhund Kommissar Rex oder Kommissar Schimpanski. Und schließlich gingen 1994 gleich drei Serien mit Ermittlerinnen an den Start: Die Kommissarin, Bella Block und Rosa Roth. Selbst die Satire des Genres ist beliebt. So werden in der Serie Mord mit Aussicht, die auf dem Land in der Eifel spielt, Provinz und Krimi gleichermaßen persifliert.

Große Namen

Für die Qualität der TV-Krimis bürgen mitunter große Namen: Der Schriftsteller Jurek Becker etwa hatte seinem Freund Manfred Krug die Serie Liebling Kreuzberg um einen Berliner Anwalt auf den Leib geschrieben. Mit großem Erfolg lief die Serie von 1986 bis 1998.Und der renommierte Regisseur Dominik Graf inszeniert immer wieder Krimis. Mehrere seiner Tatort- und Polizeiruf-110-Folgen wurden bereits mit dem Grimme-Preis, dem wichtigsten deutschen TV-Preis, ausgezeichnet. Deutsche Fernsehsender greifen aber auch gerne auf international erfolgreiche Buchvorlagen zurück. So produziert die ARD die Reihe Donna Leon, und RTL verfilmte in Kommissar Beck die beliebten Krimis des schwedischen Autorenpaars Maj Sjöwahl und Per Wahlöö.

„Harry, hol schon mal den Wagen“

Die Krimis haben sich mit der Zeit stark verändert, so zum Beispiel bei der Beziehung der ermittelnden Kommissare untereinander. Aus dramaturgischen Gründen hat sich schnell das Muster ergeben, dass zwei unterschiedliche Charaktere gemeinsam einen Fall lösen. Typisch für die Hierarchie der alten Garde sind Kriminaloberinspektor Stephan Derrick und sein Assistent mit dem sprechenden Namen Harry Klein. „Harry, hol schon mal den Wagen“: Dieser Satz drückt so prägnant das Gefälle zwischen den beiden aus, dass er sich zum geflügelten Wort in Deutschland entwickelt hat – und das, obwohl er kurioserweise in genau dieser Wortfolge kein einziges Mal in der Serie fiel.

Heute hingegen sind gleichberechtigte Teams auf Verbrecherjagd. Und sie werden immer mehr mit einem Privatleben ausgestattet, das sie auch in Konflikte bringt mit ihrem Job: so zum Beispiel, wenn nahe Verwandte oder Freunde von ihnen Opfer von Verbrechen sind. Damit rückt die Handlung neben dem Verbrechen immer mehr ins Zentrum des Interesses.

Der Krimi als Gesellschaftskritik

Die Spannung, die sich aus einem klassischen Wer-war-es-Fall ergibt, reicht schon lange nicht mehr für einen erfolgreichen Krimi. Viele Fernsehserien greifen in ihrer Handlung gesellschaftliche Konflikte und brisante Themen auf.

Im Tatort sind es beispielsweise der sexuelle Missbrauch gegen Kinder und Sextourismus (Manila, 1998), die Arbeitsbedingungen bei Discountern (Kassensturz, 2009) und Homosexualität im Fußball (Mord in der ersten Liga, 2011). Oder, wie es die Medienwissenschaftlerin Karin Wehn formuliert: „In einigen Fällen dient der Krimi lediglich als Etikett, um Gegenwartsgeschichten zu erzählen.“ So sind die Krimi-Serien im deutschen Fernsehen seit sechs Jahrzehnten immer auch ein Spiegelbild deutscher Befindlichkeiten.