Julian Nida-Rümelin im Dialog
„Sprache und Kultur sind eng aneinander gebunden“

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (Philosoph, Ludwig-Maximilians-Universität München, Staatsminister für Kultur und Medien a.D.)
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (Philosoph, Ludwig-Maximilians-Universität München, Staatsminister für Kultur und Medien a.D.) | Foto: Stephan Röhl (CC BY-SA 2.0)

Wir feilen daran bis wir ihn abbrechen und fordern ihn trotzdem – den Dialog. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir vom Dialog sprechen? Der Philosoph Julian Nida-Rümelin gibt Antwort. Ein Interview über gute Gründe, falsche Annahmen und die komplexe Sprache der Kunst.

Herr Nida-Rümelin, lassen Sie uns übers Reden reden. Ist dieses Interview ein Dialog?

Nida-Rümelin: Ein etwas künstlicher. Sie stellen Fragen, die Sie sich vorher überlegt haben, und ich gebe Antworten. Normalerweise besteht ein Dialog darin, dass zwei sich austauschen und sich gegenseitig Gründe geben für Überzeugungen.

Was müssten Sie tun, um diesen Dialog im Keim zu ersticken?

Den Eindruck vermitteln, dass es mir nicht darum geht, gute Argumente für eine These zu entwickeln, sondern nur darum, Eindruck zu schinden, Sie einzuschüchtern oder zu manipulieren. In dem Moment ist der Dialog beendet, und es beginnt ein Machtspiel.

Warum führen wir überhaupt Dialoge?

Der humanistische Ansatz, den ich vertrete, rückt unsere Eigenschaft als Menschen in den Mittelpunkt, uns von Gründen leiten zu lassen, sie mitzuteilen und darüber zu reflektieren. Den anderen nicht einfach zu beeinflussen, sondern ihm Gründe dafür zu geben, etwas zu fühlen oder zu denken. Ob das dann eintritt, ist nicht mit im Akt der Verständigung eingeschlossen. Natürlich mag das gewünscht werden, und wenn es passiert, ist das zumindest ein Indiz dafür, dass die Gründe verstanden wurden. Aber im Mittelpunkt steht der Austausch, das Geben und Nehmen von Gründen.

Haben Sie selbst dieses Modell vom Dialog die ganze Zeit im Kopf, wenn sie im Alltag mit jemandem kommunizieren?

Ja, ich glaube schon. Ich bin sowieso der Meinung, dass man zwischen alltäglicher Kommunikation, Philosophie und Wissenschaft nicht kategorisch unterscheiden sollte. Eine Wissenschaft, die sich ganz aus der Lebenswelt entfernt, hängt in der Luft und läuft sofort Gefahr, sich in völlig sinnlosen Spekulationen zu verlieren.

Und deshalb sollten sich auch Nicht-Philosophen mit dem Dialog auseinandersetzen?

Menschen, die Kommunikation ernst nehmen, sollten immer darauf bedacht sein, ihrem Gegenüber gute Gründe zu übermitteln. Und in dem Moment, in dem ich anfange, darüber nachzudenken, was eigentlich gute Gründe sind, ist die alltägliche Lebenswelt schon philosophisch imprägniert.

Dann fangen wir doch an, darüber nachzudenken – was ist denn ein guter Grund?

Tja, jetzt brauche ich Gründe um zu begründen, was ein guter Grund ist. Nein, im Ernst, es ist schwierig, diesen Begriff zu definieren, aber ich kann Ihnen zwei Merkmale von guten Gründen nennen: Erstens orientieren sie sich immer an einer Norm. Sowohl Gründe für Handlungen als auch für Emotionen. Natürlich heißt das nicht, dass alle Emotionen komplett rational und normiert sind, aber, wenn ich auf jemanden wütend bin, kann ich das meistens auch begründen. Die Person muss mindestens etwas falsch gemacht haben aus meiner Sicht. Zweitens sind Gründe in einem bestimmten Sinn immer objektiv. Ein subjektiver Grund ist so ähnlich wie eine subjektive Tatsache. Entweder ist etwas objektiv, dann ist es eine Tatsache oder es ist subjektiv, dann ist es eine Meinung. Und so ist es auch mit Gründen. Wirksam allerdings werden Gründe, indem jemand subjektiv der Überzeugung ist, dass etwas ein guter Grund ist. Also: Gründe sind erstens normativ und zweitens objektiv.

Und bewusst?

Nein, würde ich nicht sagen. Oft wägen wir die Gründe für ein Verhalten nicht bewusst ab. Wer eine Straße überquert, setzt sich nicht erst hin und berechnet die Entfernung von der einen zur anderen Seite und das Risiko, dabei überfahren zu werden. Trotzdem kommen wir in der Regel sicher über die Straße.

Was ist mit dem interkulturellen Dialog? Ändern sich da die Voraussetzungen?

Vor allem sind interkultureller Dialog und Multikulturalität beileibe nichts Neues. Das Athen der Klassik war zum Beispiel mindestens von so viel Aus- und Einwanderung und internationalem Handel geprägt wie heute New York. Was für die Philosophie dabei interessant ist, ist die Frage: Wenn es stimmt, dass Verständigung auch immer ein bestimmtes gemeinsames Hintergrundwissen voraussetzt, wie funktioniert dann die Verständigung zwischen den Kulturen?

Und wie funktioniert sie?

Was die Verständigung erschwert, ist vor allem das grundsätzliche Problem der Unbestimmtheit der Übersetzung: Wir können nie zu 100 Prozent wissen, ob ein Ausdruck in einer anderen Sprache auch dieselbe Bedeutung hat, wie in unserer. Deshalb ist zum Beispiel die Praxis des Goethe-Instituts, also der Zugang zu Kultur über die Beherrschung der Sprache, ein sinnvoller erster Schritt für einen interkulturellen Dialog. Sprache und Kultur sind sehr eng aneinander gebunden.

In dem Begriff „Dialog“ steckt zwar „Logos“, das Wort, aber kann ein Dialog nicht auch wortlos funktionieren?

Im Prinzip ja. In manchen Fällen kann zum Beispiel ein entsetzter Gesichtsausdruck vor etwas warnen. Wenn er absichtlich gemacht wurde.

Und wenn ich mich zufällig erschrecke?

Dann zählt es nicht, denn es war keine Absicht dahinter, etwas mitzuteilen. Aber wenn Sie die Hand nach einem Gegenstand ausstrecken, um darauf hinzuweisen, dass Sie ihn gern hätten, dann ist das eine Form der Verständigung. Übrigens eine, die sehr gut funktionieren kann, wenn man auf Urlaubsreise in einem Land ist, dessen Sprache man nicht spricht.

Was ist mit Kunst? Die spricht ja auch nicht in Worten.

Die Kunst, ich rede jetzt von der Bildenden Kunst oder der Filmkunst und nehme die Belletristik aus, ist deshalb faszinierend für uns, weil sie eine Form der Verständigung ist, die sich sprachlich nicht ohne Verluste wiedergeben lässt. Man kann die Sprache der Kunst aber lernen. Nicht, indem man das in eine Alltagssprache übersetzt, aber durch genaues Hinschauen, durch Austausch mit anderen. Früher verstanden die Menschen sehr gut, was die Künstler, die die Kirchenfenster gestaltet hatten, ihnen mitteilen wollten, welche Geschichten da erzählt wurden. Das war für die Allgemeinheit verständlich, nicht nur für Kunstexperten. In der modernen Kunst jedoch führten ständige Innovationsschübe dazu, dass alles in unterschiedliche Schulen und Richtungen auseinanderbrach, die sich zum Teil spinnefeind waren. So entstanden gleichzeitig ganz viele unterschiedliche Sprachen der Kunst. Mit der Folge, dass die Lesbarkeit eingeschränkt wurde und nur noch kleine Expertengruppen Zugang dazu hatten. Die große Mehrheit stand verständnislos davor. Aufgabe der Kunstpraxis und der Kulturpolitik ist es, Brücken für den Dialog zwischen Kunst und Menschen zu schlagen. Natürlich nicht, in dem man alles in Volkshochschulkurse verpackt, bloß nicht. Aber indem man versucht, Kunst für ein breites Publikum lesbar zu machen.

Was ist dann der Auftrag einer Kulturinstitution wie dem Goethe-Institut?

Es kann sich auf keinen Fall nur auf Sprachkurse beschränken, so wichtig die auch sind. Man muss die spezifische Entwicklung der verschiedenen Kunstbereiche und die kulturelle Entwicklung eines Landes im Ausland verständlich und zugänglich machen. Nicht nur, was die Belletristik angeht, sondern auch im Bereich der Musik, der Bildenden Kunst. Da spielen die Kulturinstitute eine große Rolle, nicht nur das Goethe-Institut, auch die Institute der anderen Länder. Ich würde nicht dafür plädieren, sie in einem gemeinsamen europäischen Kulturinstitut aufzulösen, denn wir haben diese große sprachliche und kulturelle Vielfalt in Europa, und die müssen wir auch in all ihren Facetten sichtbar machen.

Also hat man als Kulturinstitut auch einen internationalen Bildungsauftrag, einen Dialogauftrag?

Absolut. Das ist vielleicht der Hauptauftrag überhaupt.

Warum klären sie in der Vortragsreihe „Der Dialog“ eigentlich den Begriff des Dialogs durch eine Reihe von Monologen?

Zuhören zu können, sich eine Argumentation am Stück anhören, das ist auch wichtiger Bestandteil einer Verständigung. Dialog muss nicht heißen, dass man sich permanent gegenseitig ins Wort fällt, wie das in Talkshows gern gemacht wird, und dass man kein Argument richtig zu Ende führt. Oder gerade dann, wenn es spannend wird, abbricht, weil man den Zuschauern so viel Nachdenken nicht zumuten möchte. Also, einen Vortrag kann man auch als Beitrag zum Dialog verstehen, zumal ja hinterher auch diskutiert wird und das Gehörte in weiteren Gesprächen nachwirkt.
 

Der 1954 in München geborene Julian Nida-Rümelin ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprecher des Münchner Kompetenzzentrums Ethik der LMU und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. Von 1998 bis 2000 war er Kulturreferent der Stadt München und 2001/2002 Kulturstaatsminister in der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen sowie der Europäischen Akademie der Wissenschaften und war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie.