Terézia Mora im Gespräch
Trainingslager Übersetzung

Térézia Mora

Péter Esterházys Erstlingswerk „Ein Produktionsroman“ („Termelési regény“) ist keine einfache Kost. Für seine Übertragung ins Deutsche erhielt Terésia Mora den Übersetzerpreis 2011 der Kunststiftung NRW.

Frau Mora, Sie sind Schriftstellerin und Übersetzerin – wo liegen Ihre Vorlieben?

Nummer eins ist immer das Schreiben. Andererseits macht Übersetzen mehr Spaß. Ich mache kein Yoga und keinen Triathlon sondern übersetze, um fit zu bleiben für das Schreiben. Für das Übersetzen ist es notwendig, dass man sehr genau liest, und wie wir wissen, wird ja Literatur aus anderer Literatur gemacht. Wenn ich ein Buch übersetze, kann ich mich damit besonders eingehend auseinandersetzen.

Das Übersetzen ist also ein Training fürs Romanschreiben?

Natürlich! Man lernt immer von anderen Autoren. Bei meiner ersten Esterházy-Übersetzung Harmonia caelestis war ich eine junge Autorin und stand vor dem zweiten Buch. Da war es sehr segensreich, ein Buch zu übersetzen, das sehr frei und sehr mutig war. Das ist das, was man vor allen Dingen am Anfang einer Schreiblaufbahn als Input braucht.

Sie haben „Ein Produktionsroman“ einmal als das schwierigste, Ihnen aber zugleich liebste Buch von Péter Esterházy bezeichnet. War es Ihr Wunsch, es zu übersetzen?

Ja, so ist es. Der Roman ist lange nicht in der Übersetzung erschienen, er galt als sehr schwierig. Das kann ich, nachdem ich ihn übersetzt habe, nicht wirklich nachvollziehen, denn er ist sehr frenetisch und lustig. Es gab schon zwei gescheiterte Anläufe zur Übersetzung von diesem Roman, die aus verschiedenen Gründen nicht zuende gebracht worden sind. Das hat dazu geführt, dass es ungefähr fünf Jahre gedauert hat, bis endlich ein Erscheinungstermin gefunden wurde. Dadurch hatte ich Zeit, den Roman auch einmal liegen zu lassen und irgendwelche kniffligen Sachen erst später zu lösen.

Esterházy spielt souverän mit „Gasttexten“: Mitunter übernimmt er ganze Kapitel anderer Werke, ohne sie als Zitat kenntlich zu machen. Wie belesen muss eine Esterházy-Übersetzerin sein?

Das ist unmöglich, alle Zitate zu erkennen. Es ist mehr als einmal vorgekommen, dass ich etwas mit Schweiß und Tränen ins Deutsche übersetzt hatte und dann kam der Meister und sagte: „Ach, weißt du, das ist ein Zitat von X und Y“. Die richtige Verfahrensweise ist natürlich, eine bereits existierende deutsche Übersetzung zu nehmen, beziehungsweise, bei Originalwerken, den deutschen Text. Denn sonst gibt es für die Leser keinen Wiedererkennungseffekt.

[Péter Esterházy; © Berlin Verlag] Die Übersetzung entstand also in enger Zusammenarbeit mit Esterházy?

Ja, er liest sehr gut Deutsch und bemerkt sogar Kommafehler. Das ist sehr hilfreich für mich. Wenn man überlegt, dass er mit jedem seiner Übersetzer diese Arbeit macht, muss ich sagen: Chapeau! Er könnte sich ja auch verweigern mit dem Hinweis, dass er etwas neues Künstlerisches machen müsse. Andererseits ist es ja auch in seinem Interesse, dass kein Murks entsteht.

Wie viel Rechercheaufwand ist mit der Übersetzung verbunden? Es geht ja auch darum, historische Zusammenhänge zu rekonstruieren.

Gesegnet sei das Internet! Jetzt kann man bei Verdachtsfällen entsprechend suchen. Und Péter Esterházy gibt auch Auskunft. Beim Produktionsroman etwa hat er parlamentarische Reden von Kálmán Mikszáth aus dem 19. Jahrhundert vermischt mit einer Rede von Mátyás Rákosi, dem Diktator der Fünfzigerjahre in Ungarn. Da steht man natürlich vor dem Problem, dass man die Sprache aus dem 19. Jahrhundert nachvollziehen muss. Nachdem ich nicht mit dieser Sprache aufgewachsen bin, auch nicht als Leserin dieser Texte, musste ich mich da erst einlesen.

Wäre ich gebildeter, dann hätte ich einen kürzeren Weg. Aber das macht nichts, denn ich will nicht effektiv sein beim Übersetzen sondern etwas lernen. Ich könnte auch Krimis übersetzen, das wäre weniger Aufwand. Aber wozu?

Bei dem Grenzübertritt von einer Sprache in die andere müssen auch unkonventionelle Wege beschritten werden, erst recht bei einem Autor wie Péter Esterházy. War es befreiend, sich eigene Wege zu bahnen? Oder hätten Sie lieber mehr Halt gehabt?

Mehr Halt? Um Gottes willen! Das wäre ja nicht so interessant. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und kenne darum die Bereiche, wo sich die Sprachen berühren oder einander decken. Ich weiß genau, wann es absolut keinen Sinn hat, zu versuchen, eine Deckungsgleichheit herzustellen, weil es die Sprachen und ihre Struktur nicht hergeben. Das heißt, ich kann eine reduzierte Lösung anbieten und muss frei genug sein, an einer anderen Stelle etwas dazuzutun, sozusagen als Entschädigung. Und dieses Spiel ist etwas Wunderbares.

Was hat Péter Esterházy zu Ihrer Übersetzung gesagt?

Er hat schon mehrfach betont, dass er mir sehr vertraut. Er sieht, dass ich an einigen Stellen ziemlich mutig vorgegangen bin. Dafür vertraut er mir an Stellen, wo er findet, dass die Lösung nicht so ideal ist, dass es eben nicht besser ging. Und wir verstehen uns einfach. Es geht mir nicht mit allen Autoren so, aber wenn ich einen Esterházy-Satz anschaue, dann weiß ich, was er da macht, und warum er es macht. Es leuchtet mir vollkommen ein, und ich bin auch meistens einverstanden. Und das ist natürlich eine Basis, auf der man sehr, sehr gut arbeiten kann.

Der „Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW“ wird Ihnen zugleich auch für Ihr Lebenswerk verliehen – wie fühlt sich das an mit gerade mal 40 Jahren?

Na ja, die Hälfte des Lebens habe ich ja schon hinter mir. Aber man muss natürlich wissen, dass es wegen der Steuer so formuliert ist.

Wegen der Steuer?

Preisgelder, die nur für ein einziges Werk verliehen werden, sind umsatzsteuerpflichtig und die, die für das Lebenswerk verliehen werden, nicht. Abgesehen davon: Als ich mich um den Preis beworben habe, dachte ich: Wer weiß, was die Zukunft bringt? Werden meine Autoren nochmal etwas Großartiges schreiben? Jetzt habe ich ein ziemlich gutes Buch ziemlich gut übersetzt, jetzt sind die Chancen am höchsten. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
 

Preis und Autorin

Der Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW gehört mit 25.000 Euro zu den höchstdotierten Preisen in diesem Bereich. Terézia Mora wurde 1971 in Ungarn geboren und ist dort zweisprachig aufgewachsen. Seit 1990 lebt sie in Deutschland und hat als Romanautorin ein vielbeachtetes Werk vorgelegt. Es wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis (1999), einem Villa-Massimo-Stipendium (2006) und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (2010).