Deutsche Literatur in Ungarn
„Bücher, über die man spricht“

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Jutta Gehrig, Goethe-Institut, Gábor Csordás, Leiter des Jelenkor Verlags; György Dalos, ungarisch-deutscher Schriftsteller und Historiker; Christoph Hassenzahl, Suhrkamp Verlag (Rechte und Lizenzen); Ursula Kanyó, Goethe-Institut | Foto: Alonia Elizalde

Leipzig verwandelte sich im März wieder für vier Tage in die Hauptstadt der Literatur. 175.000 Besucher kamen zu Deutschlands zweitgrößter Buchmesse – so viele wie nie zuvor. Beim Podiumsgespräch „Bücher, über die man in Ungarn spricht“ diskutierten Gábor Csordás, Leiter des ungarischen Jelenkor-Verlags, György Dalos, ungarisch-deutscher Schriftsteller, Christoph Hassenzahl, zuständig für Rechte und Lizenzen bei Suhrkamp und Ursula Kanyó, Leiterin der Bibliothek am Goethe-Institut Budapest. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jutta Gehrig, Institutsleiterin am Goethe-Institut Budapest.

"Bücher, über die man spricht"

„Anfang der 90er Jahre herrschte großer Nachholbedarf an westdeutscher Literatur,, erklärt Kanyó. „Es hat einen regelrechten Hunger danach gegeben.“ Um diese Entwicklung zu fördern, entschied sich das Goethe-Institut Budapest 1998, "Bücher, über die man spricht" heraus zu geben. 2003 schlossen sich andere Goethe-Institute in Mittelosteuropa an. Zweimal im Jahr – jeweils nach der Leipziger sowie der Frankfurter Buchmesse – wird darin neue deutschsprachige Belletristik und Sachliteratur vorgestellt. Mittels Rezensionen aus deutschsprachigen Medien werden so Entwicklungen und Tendenzen auf dem deutschen Buchmarkt widergespiegelt sowie Impulse in die Literaturszenen der Länder gesendet. In zehn Jahren wurden 610 Bücher vorgestellt. „Unsere große Stärke ist es, dass wir das Lesepublikum in Ungarn kennen und wissen, woran es interessiert ist“, sagt Kanyó.Hat die Auswahl der Titel tatsächlich einen Einfluss auf die Veröffentlichungen auf dem ungarischen Markt? „Das ist schwer messbar“, so Kanyó. „Allerdings werden gerade die vorgestellten Titel in der Bibliothek der Goethe-Institute stark nachgefragt.“

Einen Hinweis auf die Wirkung der Publikation gibt außerdem die Anzahl der übersetzten Werke: Bisher wurden unter anderen 52 Bücher ins Ungarische, außerdem 76 Bücher ins Polnische, 71 Bücher ins Tschechische sowie 37 ins Slowenische übersetzt – eine erstaunliche Anzahl. Hassenzahl bestätigt die Zahlen auch für den gesamten Markt. „Die Übersetzungen ins Ungarische schwanken zwischen drei und fünf Prozent aller Übersetzungen aus dem Deutschen in eine Fremdsprache, sind jedoch stark abhängig vom persönlichen Engagement der Verleger.“ Nachdem Ungarn 1999 Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, stieg die Anzahl von etwa sechs Übersetzungen pro Jahr auf über 100. Heute haben sich die übersetzten Werke auf etwa 20 pro Jahr eingependelt.

Viel gelesen werden in Ungarn vor allem Werke, in denen Erfahrungen während einer Diktatur und die Fortschreibung dieser Lebenserfahrung in den Neunzigerjahren eine Rolle spielen. Auch die Neukonstitution der Gesellschaft zur DDR- und Wendezeit sei von großem Interesse, so Hassenzahl. Beliebte deutschsprachige Autoren seien laut Csordás unter anderen Ingo Schulze, Herta Müller, Terézia Mora und Christina Viragh, aber auch die Klassiker der 1920er Jahre allen voran Heinrich und Thomas Mann. Literatur aus Österreich werde aufgrund der gemeinsamen Geschichte immer noch besonders viel übersetzt. Gehrig merkt außerdem an, dass auch ungarische Autoren auf dem deutschen Markt präsent seien, so Péter Nádas, der 2012 zusammen mit seiner Übersetzerin Christina Viragh mit dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet, sowie Péter Esterházy, der unter anderem von Terézia Mora übersetzt wurde, und der Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz. 

„Wenn das Buch keine Zukunft hat, dann liegt das nicht an den Büchern, sondern an der Zukunft.“

Die literarischen Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn sind lebendig. Dennoch bleibt das Übersetzen und Verlegen deutschsprachiger Belletristik in Ungarn ein schwieriges Geschäft. Warum?„In einem Land mit 10 Mio. Einwohnern ist das Verlegen von Belletristik generell nur mit Subventionen möglich“, sagt Dalos und Hassenzahl ergänzt: „Der Medienwandel auf allen Märken bewirkt zunehmend die Verdrängung des Buches durch schneller konsumierbare Medien.“ Csordás teilt diese Einschätzung und bestätigt, dass es die Veröffentlichungen, die es nicht unter die Bestseller schafften, sehr schwer hätten, den Weg zum Leser zu finden. Die Schere zwischen den wenigen Bestsellern und den vielen wenig beachteten Titeln wird immer größer. In vielen Fällen bleiben die Auflagen unter 1.000 Stück. Es muss eine der Kernaufgaben der Verlage in den nächsten Jahren sein, für eine breite Lesekultur zu sorgen. Denn, so Dalos: „Wenn das Buch keine Zukunft hat, dann liegt das nicht an den Büchern, sondern an der Zukunft“.