Alternative Stadtführungen in Budapest
Der Reiz des Lokalen

Der Reiz des Lokalen_Magazin
Torstein | Foto: Milorad Krstič

Seit einigen Jahren gibt es auch in Budapest alternative Stadtführungen, die mehr versprechen als die traditionellen Busrundfahrten mit den üblichen Sehenswürdigkeiten wie Parlament und Basilika. Die meisten dieser alternativen Programme bieten das Erlebnis des „Lokalen” als Besonderheit an, und fast alle sind auch für Rundgänge nach individuellen Wünschen offen.

Der Reiz der alternativen Touren besteht unter anderem darin, dass sie von jungen Menschen organisiert und geführt werden, die im allgemeinen keine professionellen Fremdenführer, sondern Kunsthistoriker und Journalisten sind, selbst gerne flanieren und neugierig die Geheimnisse der Stadt hinter den Haustüren und Werkstattauslagen erkunden. Die Routen sind sorgfältig geplant, stets spürt man ihr gut fundiertes Wissen über die Umgebung, und für die selbsternannten Fremdenführer sind ein gewisses Bürgerbewusstsein, die Liebe zur Stadt und das verantwortliche Nachdenken über deren Zukunft kennzeichnend. Überdies wird das Ganze vom typischen Reiz der Initiative von unten umfangen. So findet denn die Idee des „go global, think local” auch in Ungarn immer mehr Anhänger – vor allem natürlich unter jungen Intellektuellen.

Thematische Touren
Die Touren des „Zentrums für zeitgenössische Architektur” (Kortárs Építészeti Központ) führen zu Bauten, die sonst für Touristen nicht zugänglich sind. Zu den Führungen in kleinen Gruppen sollte man sich rechtzeitig anmelden, da die wenigen freien Plätze innerhalb von Stunden besetzt werden. Versuchen sollte man es jedoch, da man sonst nie die Möglichkeit bekommt, einen Blick in die Stationen der seit Jahren im Bau befindlichen U-Bahnlinie 4 zu werfen, den seit Jahrzehnten seiner Sanierung entgegenharrenden „Burggartenbazar” (Várkert Bazár) zu besichtigen, der noch in den 1960er und 1970er Jahren ein beliebter Ort für Rockkonzerte war, wegen des desolaten Zustands der Bausubstanz nunmehr aber seit drei Jahrzehnten gesperrt ist, oder in das geheime Kellersystem der Bierbrauerei in Kőbánya. Die Führungen sind leider nur auf Ungarisch, doch auch so kann eine Tour, eventuell mit einem einheimischen Begleiter, spannend sein.
Bei UniqueBudapest ist das Angebot an Stadtführungen nach architektonischen Stilen (z. B. Jugendstil oder „Retro”, d. h. sozialistischer Realismus) zusammengestellt, manche der Programme führen in besondere Stadtviertel (jüdisches Viertel, Innenstadt). Zu Franz Liszts 200. Geburtstag bieten die Organisatoren Touren an, die an den Spuren des Komponisten in der ungarischen Hauptstadt entlangführen.
Geheime Gärten, besondere Fassadenornamente und andere versteckte Wunder sollte man mit Imagine Budapest erkunden: die hier angebotenen Touren führen nicht nur in die Pester Innenstadt, sondern auch zum „Tabán” genannten Fuß des Hügels, auf dem der Burgpalast thront, und an dessen Abhängen einst Wein gekeltert wurde. Liebhaber von Thermalbädern kommen bei einer Tour auf ihre Kosten, die am rechten Donauufer, am Gellért-, Rudas- und Rácz-Bad entlangführt und mit einer Heilwasserverkostung verbunden ist. Die Tour der Superlative hingegen führt von den ältesten Graffiti der Stadt zu ihrer größten Skulptur im öffentlichen Raum.
Die Touren von Budapest Underguide erkunden die Stadt im Zeichen spezieller Themen und Subkulturen. Der Spaziergang „Budapest schwul und lesbisch” führt je nach Tageszeit in Restaurants, Bars, Klubs oder Bäder. Die „Delikatessentour” geht vom bekanntesten Gemüse- und Obstmarkt der Stadt, der Großen Markthalle, aus und führt über eine „Ruinenkneipe” zu einem Fleischer. Man kann sich aber auch für konkrete Einkaufstouren anmelden, und wer auf echt „coole“ Erlebnisse scharf ist, kann in einem VW Samba aus den 1950er Jahren starten.

Soziokulturelles Budapest

Es gibt inzwischen auch Mikrounternehmen, die auf einen bestimmten Stadtteil spezialisiert sind. So kann man mit Budapest Beyond Sightseeing den VIII. Bezirk, das Budapester „Harlem” erkunden. Bis Anfang des dritten Jahrtausends war hier das Rotlichtviertel der Stadt angesiedelt, und es gibt hier bis heute ethnisch geschlossene Gegenden mit Bewohnern in unsäglichem Elend. All das bildet den schärfsten Kontrast zum innerstädtischen Teil des Bezirks innerhalb des Großen Rings, dem sogenannten „Palastviertel” mit seinen eklektischen Wohnpalästen und dem Ungarischen Nationalmuseum. Auf den Touren von Budapest Beyond Sightseeing eröffnen sich einem nicht nur Straßen und Bauwerke, sondern man bekommt auch Zutritt zu ihrem Innenleben. Die „soziokulturelle” Tour z. B. endet in der Wohnung einer Romafamilie, und sie wird sowohl von Touristen als auch von Einheimischen gerne gebucht.

Auf Rädern und auf Wasser

Eine Stadt, in der Jahr für Jahr um die dreißigtausend Begeisterte an der Fahrraddemo „Critical Mass” teilnehmen, bietet natürlich auch Stadtrundfahrten auf Zweirädern an. Am spannendsten scheint das Angebot von Cruise All Night: Die Touren starten erst, wenn der Stoßverkehr am Nachmittag und am frühen Abend vorbei ist, und sie führen unter anderem auch zu surrealen Orten wie dem Epreskert (’Erdbeergarten’), dem rund um die Uhr geöffneten Atelier der Kunstakademie.
Im Kanusport ist Ungarn eine Großmacht: Unique Budapest bietet auch Entdeckungstouren mit dem Kanadier an, und zwar by night! Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Angebote zur Stadtbesichtigung Budapests in den letzten Jahren erfreulich ausgeweitet haben. Da es aber um eine Dienstleistung im Frühstadium ihrer Entwicklung geht, wächst das Angebot vermutlich von Monat zu Monat weiter. Man sollte sich also gründlich informieren, bevor man nach Budapest aufbricht.