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Interview mit Róbert Csősz
"... der Übersetzer muss letztendlich aus dem Text verschwinden, er muss sich beseitigen ..."

Róbert Csősz
Róbert Csősz

Den Übersetzer Róbert Csősz haben wir danach gefragt, mit welchen Herausforderungen ihn seine Arbeit konfrontiert, wie er dabei sich selbst und wie er das literarische Werk begreift, das er in einer anderen Sprache wieder zu beleben sucht.
 

Wie sind Sie mit den Romanen von Volker Kutscher in Berührung gekommen, und wie wurden Sie dann die "ungarische Synchronstimme" von Kutscher?
 
Eigentlich ganz zufällig. Zuerst ist mir 2013 in einem deutschen Buchladen Die Akte Vaterland, der vierte Band der Kutscher-Serie in die Hände geraten. Zu der Zeit lebte ich in Potsdam und verbrachte ziemlich viel Zeit in Berlin. So fand ich das im Roman nachgebildete Welt Berlins der 1920-30-er Jahre besonders aufregend. Ich habe den Roman an einem Nachmittag zu Ende gelesen, dann habe ich mir schnell das erste Band der Serie Der nasse Fisch (Tisztázatlan bűnügy) besorgt.
 
Ich war der Hoffnung, dass die Krimis von Kutscher auch für ungarische Leser interessant sein könnten, und so habe ich mit dieser Idee den Verlag General Press aufgesucht, mit dem ich schon früher an Übersetzungen zusammengearbeitet hatte. Zum Glück, sah auch die Leitung des Verlags ein Potential in einer solchen "Berlin noir" Krimiserie, und so konnte ich schon wenig später mit der Übersetzung anfangen.
 
Die Gereon-Rath Geschichten spielen in dem Berlin des vergangenen Jahrhunderts. Finden Sie dann oft solche Begriffe oder Beschreibungen in den Romanen, was eine kleine Recherche in Hinblick auf die ungarische Übersetzung benötigt?
 
Da in diesen Romanen neben Gereon Rath das damalige Berlin die eigentliche (oder vielmehr die wirkliche?) Hauptrolle spielt, liegt ein besonders starker Schwerpunkt in den genauen und detaillierten Beschreibungen des zeitgenössischen Großstadtlebens, das als Kulisse für die Geschichten dient. Meines Erachtens wurden die Romane in erster Linie gerade durch diese genaue und detaillierte Zeitschilderung in Deutschland so erfolgreich. Daraus folgt natürlich, dass der Übersetzer oft kleineren oder größeren Recherchen nachgehen muss, um diese im Roman geschilderte Welt auch auf Ungarisch authentisch wiedergeben zu können. Diese Recherchen sind manchmal ganz einfache Fragen, zum Beispiel, wie die Uniforme der Polizisten von damals gewesen waren. Ein anderes Mal beanspruchen sie jedoch zusammengesetztere Nachforschungen, wenn etwa ergründet werden soll, was genau die sogenannten Ringvereine waren, die die gut organisierte Berliner Unterwelt bestimmt hatten, und wie sie genau funktionierten. Dabei muss man sich mit zeitgenössischen oder mit typisch Berliner Ausdrücken, sozusagen, mit der damaligen Gaunersprache auseinandersetzten. Nur ein Beispiel: Im Kutscher-Text gibt es mehrere Synonyme für das Wort Polizist. Dafür muss man als Übersetzter ungarische Entsprechungen finden, aber so, dass diese sowohl dem zeitgenössischen deutschen (Berliner) als auch dem ungarischen (Budapester) Sprachgebrauch entsprechen. Bevor man also entscheidet, ob man das Wort "fakabát" als Synonym benutzt, muss man nachgehen, ob dieses Wort bereits in den 20er Jahren gebraucht wurde, was für Gesellschaftsschichten es gebraucht hatten, welche Konnotationen es damals hatte, und so weiter.
 
Was fesselt Sie am meisten in der Figur von Gereon-Rath und in seinen Geschichten?
 
Gereon Rath ist eigentlich ein missglückter hard-boiler Polizeidetektiv, der im Gegensatz zu den klassischen Detektiven nur selten mit der Situation umgehen kann, bei seinen Ermittlungen begeht er Fehler auf Fehler, er wird ständig von Zweifeln geplagt, gleichzeitig ist er aber auch ein ziemlich skrupelloser Typ: er trinkt, nimmt Drogen, verwickelt sich in Prügeleien, sucht Streit, überdies ermordet er mehrere Menschen.
 
Mit einem Wort, Rath ist nicht der Prototyp eines sympathischen Musterpolizisten, doch gerade dadurch ist er wie gemacht, um den Leser in die pulsierende Welt von Berlin zwischen den beiden Weltkriegen einzuführen. Man kann also sagen, dass gar nicht die Person oder die Charakterzüge der Hauptfigur selbst die Geschichten so interessant machen, sondern wie der Leser durch diesen Detektiv das Berlin der 20er Jahre kennen lernt. Und natürlich sind auch die Verbrechen, die er gut oder schlecht aufklärt, interessant genug, um die Bände in die Hand zu nehmen. Im ersten Teil geht es um russische Emigranten in Berlin, um Nazigruppen, die sich damals erst zu organisieren begannen, und um einen Eisenbahngoldtransport. Das ist die Kulisse, um die sich die Ereignisse verwickeln. In dem zweiten Teil dann kann man einen Serienmörder verfolgen, was uns einen Einblick hinter die Kulissen der Filmwelt der 20er Jahre gewährt. In dem dritten Band, der auf Ungarisch erst in Vorbereitung ist, sorgt das Erscheinen eines Gangsters aus New York für verschiedene Komplikationen, die der Polizei, Rath und ebenso der Berliner Unterwelt eine Herausforderung bedeuten.
 
Inwieweit ist ein Werk, das man aus einer fremden Sprache übersetzt, Ihrer Meinung nach das Spiegelbild und inwieweit eher die "Um- oder Neuschreibung" des Originals?
 
Eigentlich beides. Im idealen Fall "widerspiegelt" die Übersetzung so gut wie möglich und in jeder möglichen Hinsicht das Originalwerk, sie ist im klassischen Sinne dem Original treu. Dazu muss jedoch der Übersetzer oftmals sozusagen den Originaltext neuschreiben, damit die Fremdheit des Originaltextes den ungarischen Leser nicht stört. Der Übersetzer muss grundsätzlich das übersetzten, was dort steht, aber nicht immer mit den gleichen Worten, die im Originaltext vorkommen. Kurzum, aus "guten Tag" wird im ungarischen Text nicht in jedem Fall "jó napot".
 
Was halten Sie für die größte Herausforderung des literarischen Übersetzens?
 
Eben diese Diskrepanz: als Übersetzer den Originaltext auf Ungarisch neu zu gestalten, zudem so, dass der ungarische Leser den übersetzten Roman nicht als einen fremden Text empfindet. Oder genauer formuliert: er soll sich nur an den Textstellen befremden, sich nur dort Gedanken machen, wo sich auch ein deutscher Leser sich befremdet oder sich Gedanken macht. Der Übersetzer muss daher zuerst "ausgangssprachlich" den Originaltext und dessen "Funktionen" verstehen, er muss ihre Logik aufdecken, und dann einen ungarischen Text schaffen, der genauso funktioniert wie das Original, der genau dieselbe Wirkung auf den Leser machen wird wie das Original, nur eben auf Ungarisch. Mit einem Wort, der Übersetzer muss letztendlich aus dem Text verschwinden, er muss sich beseitigen, aber nicht auf einer mechanischen Weise, sondern als Endprodukt seiner hermeneutischen, interpretatorischen Arbeit.
 
Wie können Sie bei einer Übersetzung das Problem der Diskrepanz zwischen der deutschen und der ungarischen Sprache überbrücken?
 
Kurz formuliert könnte ich sagen: mit viel Arbeit. Literarische Übersetzung ist äußert zeitaufwendig, denn wie es aus dem bisher Gesagten folgt, bedeutet sie nicht nur ein mechanisches, maschinelles Übersetzen, sondern Interpretation, eine permanente Suche nach Lösungen, das Auswählen der bestmöglichen Lösung unter den vielen. Dazu muss man aber viel Lesen, in meinem Fall deutsche und ungarische Texte gleichermaßen.
 
Die Verschiedenheit der deutschen und der ungarischen Sprache erschwert tatsächlich die Arbeit, trotzdem glaube ich, dass es noch größere sprachliche und kulturelle Herausforderungen bei anderen Sprachpaaren gibt (zum Beispiel bei einer Übersetzung eines japanischen Romans). Grundsätzlich gilt, dass ein "gesunder" ungarischer Text entsteht, so, dass in den Fällen, wo die Diskrepanz zwischen den beiden Sprachen zu groß ist, immer die Ungarische Sprache den Vorrang hat. Natürlich bringt das viel Denken, Suchen und Experimentieren mit sich. Literarische Übersetzung ist ein Herumbasteln, ein bisschen, wie etwa ein spannendes Puzzlespiel.

© Goethe-Institut Ungarn

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