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Internalisierte Misogynie
Die Frauenfeindlichkeit in uns drin

Viele diverse Spielzeugbarbies vor schwarzem Hintergrund
Auch Barbies hat es lange Zeit an Mehrdimensionalität gefehlt – inzwischen ist das Sortiment allerdings diverser aufgestellt | Foto (Detail): Diane Bondareff © picture alliance / AP Photo

Diskriminierung, das kommt von außen – meinen viele. Dabei verinnerlichen wir alle Misogynie. Woher kommt das?

Von Anna Rosenwasser

Misogynie, also die Abwertung von Frauen und allem Weiblichen, wird gern Männern angelastet. Dabei kommt oft ein Element zu kurz, das eine wesentliche Rolle spielt in einer sexistischen Gesellschaft: Dass jeder Mensch schädliche Rollenbilder verinnerlicht, egal, welches Geschlecht er oder sie hat. Das führt dazu, dass – scheinbar paradoxerweise – Frauen ebenfalls ein frauenfeindliches Weltbild in sich tragen, also die Abwertung von Frauen verinnerlichen: internalisierte Misogynie.

Als Teenagerin gab ich mein gesamtes Taschengeld dafür aus, in die nächstgrößte Stadt zu Konzerten zu pilgern. Die Bands, die ich vergötterte, hatten im Großen und Ganzen zwei gemeinsame Nenner: Ihr Name begann mit „The” und sie bestanden alle aus Männern. Ich sah in dieser Geschlechterverteilung nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Ich brüstete mich damit, nicht diejenigen Musikerinnen zu hören, die als Poptussis abgestempelt wurden. Ich weiß noch, dass ich mir in dieser Rolle gefiel: Ich war anders als die anderen Mädchen.

Das Beispiel ist kein Einzelfall. Viele Mädchen und Frauen wollen ihre Mehrdimensionalität und Individualität betonen, indem sie sich vom gängigen Frauenbild abgrenzen. „Ich bin anders als die anderen Frauen” ist ein Statement, das die eigene Person in ein positives Licht rücken soll; motiviert wird diese Selbstverortung von lobenden Sätzen wie „du bist anders als die anderen Frauen” – die damit, mit oder ohne Intention, „andere Frauen abwerten.”

Wir wachsen auf mit Geschlechterrollen, die nur so strotzen vor abwertenden Frauenbildern: die oberflächliche Tussi, das dümmliche Püppchen, die hässliche Furie. Sind es hingegen positive Rollen, fehlt ihnen oftmals die Tiefe: Eine Prinzessin, die nur verschleppt, gerettet oder wachgeküsst wird, bietet wenig Identifikationspotenzial. Kein Wunder, dass wir uns früher oder später abgrenzen. Denn wer will schon diese Rollen einnehmen?

Die Diskriminierung der eigenen Gruppe

Die meisten Menschen stellen sich Diskriminierung wie Gemeinheiten vor, die von der Mehrheit ausgehen und auf die Minderheit prasseln. Was wir uns beim Begriff der Diskriminierung meist nicht vorstellen, ist, dass die diskriminierte Gruppe selbst dazu beitragen kann. Wenn wir alle in einer Welt aufwachsen, die Frauen meistens in herabwürdigender Weise darstellt, prägt das nicht nur das Frauenbild der Männer. Es prägt auch das Frauenbild der Frauen. Woher sollten Frauen ein positives, mehrdimensionales und bestärkendes Bild ihres Geschlechts haben, wenn ein riesiger Teil der gesellschaftlichen Narrative negativ, eindimensional und entmutigend sind?

Fallbeispiel: Disneyfilme – warum Frauenfiguren so wenig Sprechzeit haben

Sehen wir uns ein Steckenpferd der Populärkultur an: Disneyfilme. Es gibt Statistiken, die die Sprechzeit von männlichen Figuren mit denen der weiblichen Figuren vergleichen. (Und bezeichnenderweise wird so gut wie jede Figur, ob echtes Tier oder Fabelwesen, vergeschlechtlicht.) Dass im Dschungelbuch 98 Prozent der Redezeit von männlichen Figuren bestritten wird, erstaunt nicht sonderlich. Was aber gilt für diejenigen Filme, in denen Frauenfiguren wichtige Rollen haben? Yasmin, die sich in Aladdin gegen Bevormundung wehrt, muss sich gegen 90 Prozent männliche Redezeit behaupten. Ein besonders schlagendes Beispiel ist aber Mulan: Im gleichnamigen Film rettet die Teenagerin quasi ganz China. Und wie viel männliche Redezeit steht dieser Heldinnentat gegenüber? 75 Prozent. Noch besser: doppelt so viel wie Mulan redet ihr kleiner, männlicher Drache. Selbst, wenn eine Disney-Prinzessin ganz China rettet, wird sie verbal von einem nervigen Minidrachen überschattet.

Das mag jetzt lustig bis harmlos anmuten. Und doch stellt sich die Frage, wie diese Formen der Repräsentation nicht nur das Frauenbild der Männer, sondern eben auch die verinnerlichte Frauenfeindlichkeit von Frauen prägen. Wenn wir es gewohnt sind, dass selbst die weiblichen Heldinnen unserer Kinderfilme kaum einen Viertel Redezeit erhalten: Wie empfinden wir dann erst Frauen, die es wagen, die Hälfte der Redezeit einzunehmen? Geschweige denn mehr? Das Klischee, dass Frauen zu viel reden und dabei wenig zu sagen haben, hält sich stur in unseren Köpfen. Kein Wunder: Wenn wir Frauenfiguren kaum reden hören, fühlen wir uns schnell aufdringlich und „zu viel”, wenn wir Raum einnehmen.

Nicht nur die Redezeit kolportiert Frauenbilder. Dafür müssen wir uns lediglich die Schurkinnen ansehen. Die bösen Frauen – nicht nur bei Disney – sind als solche durch klar gezeichnete Merkmale markiert. Oft haben sie tiefe Stimmen, manchmal sind sie dick, gelegentlich haben sie kurze Haare. Man denke etwa an Ursula aus Arielle, die Meerjungfrau. Kurz: Böse Frauen, das sind oftmals hässliche Frauen. Hässlich, das ist alles, was nicht schlank, jung und harmlos ist. Wir verinnerlichen diese bösen Frauenbilder gemeinsam mit dem Schönheitsbild. Die Taille einer „guten” Prinzessin ist etwa so umfangreich wie ihre Redezeit.

Zu stark geschminkt, zu körperbetont – die engen Grenzen der Femininität

Frauen wird also durch medial geprägte Bilder sehr genau beigebracht, wie wir aussehen müssen, nach einem eng gefassten Katalog, was alles als „feminin” gilt. Gleichzeitig gibt es ungeschriebene Gesetze, ab wann die Femininität zu feminin wird. Zu stark geschminkte Frauen gelten als verzweifelt. Tragen Frauen zu körperbetonte Outfits, müssen sie sich anhören, sie seien zu leicht zu haben. Unsere Sprache kennt ganz viele Wörter dafür, was eine Frau alles falsch machen kann beim Frausein: Schlampen. Flittchen, Nutte, Tussi, Hexe, Kampflesbe. Diese Narrative prägen Frauen, die diesen dauerkritischen Blick auf sich und ihre Geschlechtsgenossinnen verinnerlichen und reproduzieren.

Das Fiese an internalisierter Misogynie ist, dass sie sich nicht unbedingt wie Diskriminierung anfühlt. Nicht einmal wie ein Gemeinheit. Verinnerlichter Frauenhass kommt vielen Menschen vor wie eine individuelle Meinung einer Einzelperson. Man merkt ihr nicht leicht an, dass sie System hat. Sodass Frauen oft selbst zu ihrer Unterdrückung beitragen. Obacht: Sie stehen nicht in der Hauptverantwortung. Aber sie reproduzieren ihre eigene Abwertung, eine Trickmühle des Sexismus’.

Verinnerlichte Frauenfeindlichkeit kommt im Doppelpack mit fehlender Solidarität. Dort liegt der Schlüssel für das Problem: internalisierte Misogynie wird ent-lernt mit dem Lernen von weiblicher Solidarität. Mit einem Auffächern der weiblichen und menschlichen Vielfalt. Mit Repräsentation und Normalisierung von ganz unterschiedlichen Weisen, eine Frau zu sein. Das schärft zugleich die Sinne. Und stärkt für den nächsten Kampf gegen Drachen.
 

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