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Interview
Karoline Herfurth: "Unser Ideal ist ein Kinderkörper, an dem übergroße Brüste hängen"

Wunderschön
Karoline Herfurth weiß um die Wirkung von Bildern. (Szene aus "Wunderschön") | © Warner Bros. Pictures Germany, Foto: Peter Hartwig

Karoline Herfurth wird seit Jahren für ihr Schauspiel ausgezeichnet und hat mit "Wunderschön" den bislang erfolgreichsten deutschen Film 2022 ins Kino gebracht. Darin spielt sie nicht nur eine zweifache Mutter, die mit ihrem Körper hadert, sie hat auch am Drehbuch mitgeschrieben und Regie geführt. Dass noch immer so viele Frauen mit ihrem Körper nicht zufrieden sind, beschäftigt Herfurth intensiv. Sie möchte den Ursachen gerne auf den Grund kommen – und dann auch etwas daran ändern.

ZEITmagazin Online: In Ihrem Film Wunderschön verwenden Sie den verstörenden Begriff "Mami Makeover": Junge Frauen, die gerade erst ein Kind bekommen haben, denken über eine Operation nach, weil sie sich nach der Geburt hier zu dick, dort zu schlaff, in der Vagina zu weit finden. Bitte: Gibt es das tatsächlich?

Karoline Herfurth: Ja, sicher. Das Team und ich haben zu der ganzen Palette solcher Eingriffe recherchiert: Brust straffen, Hautfalten abnähen, Fett absaugen, Vagina verengen. Der Körper der Frau soll möglichst schnell wieder in die Form eines Davor gebracht werden – womöglich in eine angeblich bessere Form. Ich habe sogar von Angeboten gelesen, solche Eingriffe direkt unter der Geburt vorzunehmen.

ZEITmagazin Online: Warum beschäftigt Sie der Umgang von Frauen mit ihrem Körper so sehr?

Herfurth: Der Optimierungsdruck auf Körper begleitet mich als Thema schon sehr lange. Ich bin damit groß geworden. Die Aufforderung, meinen Körper zu verbessern oder in ein bestimmtes Ideal zu bringen, kenne ich, seit ich neun oder zehn Jahre alt bin. Als junges Mädchen, als Pubertierende, war es für mich total normal, mit dem eigenen Körper zu hadern. Zeitschriften, Werbung, Freundinnen, die Peergruppen, es drehte sich sehr viel ums Aussehen.

ZEITmagazin Online: Mit 15 wurden Sie dann für den Film entdeckt.

Herfurth: Ja, aber ich glaube, dass es nicht nur ein Problem meiner Branche ist, sondern jede betrifft: Ausgerechnet in dieser empfindlichen Zeit als Jugendliche, wo sich alles verändert und entwickelt, werden wir mit Optimierungsgedanken konfrontiert und glauben, uns intensiv mit unserem Körper beschäftigen zu müssen. Ich habe selbst sehr viel Zeit verschwendet mit dem Versuch, meinen Körper in ein bestimmtes Ideal einzupassen. Ich habe Stunden damit verbracht, Sport zu treiben oder meine Oberschenkel mit irgendwelchen Rollen zu bearbeiten, weil es der Cellulite Abhilfe verschaffen sollte. Ich habe mit Ernährung, Kalorienzählen und Diäten viel Energie und Kraft verschwendet. Bis ich angefangen habe, mich zu fragen, was mir das eigentlich bringt und was ich dadurch verpasse.

ZEITmagazin Online: Wie haben Sie das gemerkt?

Herfurth: Einer der größten Faktoren war, Nora Tschirner kennenzulernen. 2016, auf der Pressetour für unseren ersten gemeinsamen Film, SMS für dich, ist sie mit einer ganz anderen Einstellung und Haltung an die Pressearbeit herangegangen, als ich es kannte. Sie wollte diese Bilder von coolen, hübschen, erfolgreichen Frauen nicht mehr bedienen, die typischen Posen nicht mehr einnehmen. Sie wollte einen anderen Inhalt – überhaupt einen Inhalt. Dieser Gedanke war mir neu, und ich fragte mich, was das eigentlich für Inhalte sind, mit denen ich mich beschäftigen möchte, und was mir wirklich Spaß macht. Wenn ich mir Shootings von früher angucke, bin ich auf den Fotos schon sehr damit beschäftigt, in meinen Posen sexy oder schön sein zu müssen. Zu einem Umdenken hat auch beigetragen, dass ich mit 23 angefangen hatte, Soziologie zu studieren. Die strukturellen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen und die ökonomischen Abhängigkeiten begleiteten mich seitdem auch theoretisch. Als die Diskussion um Körperbilder und Abhängigkeiten vor allem durch #MeToo so viel breiter wurde, war ich total erleichtert. Emilia Schüle Eine der Protagonistinnen in Herfurths Film arbeitet als Model (Emilia Schüle) und entwickelt eine Magersucht. | © Warner Bros. Home Entertainment ZEITmagazin Online: Körper und Körperbildstörungen sind immer wieder Thema Ihrer Arbeit. In Vincent will Meer spielten Sie eine Magersüchtige. Auch in Wunderschön ist eine der fünf Protagonistinnen magersüchtig. Welches Problem manifestiert sich Ihrer Meinung nach in dieser Krankheit?

Herfurth: Sie ist Symptom für ein Riesenphänomen. Frauen, die kein gutes Verhältnis zu ihrem Körper haben, sind keine Einzelfälle. Es ist ein gesellschaftliches Problem. Sie versuchen, einem Schönheitsideal zu entsprechen, nach dem Frauen klein und möglichst schmal zu sein haben. Unser Ideal ist ein Kinderkörper, an dem übergroße Brüste hängen. Dieses Körperideal entspricht der Vorstellung von dem Raum, den Frauen in unserer Gesellschaft idealerweise einnehmen sollen: möglichst wenig, möglichst kontrolliert.

ZEITmagazin Online: In Wunderschön zeigen Sie in der Rolle einer jungen Mutter Ihren eigenen Körper. Gab es Reaktionen darauf, dass Sie entschieden haben, sich mit diesem leichten Bauch zu zeigen?

Herfurth: Die Sonja aus dem Film hat erst vor acht Monaten ein Kind bekommen. Diesen Körper hatte ich nicht zur Verfügung. Damit wir authentisch und realistisch von einer Frau nach der Geburt erzählen können, musste ich ihn erst herstellen: Ich habe zehn Kilo zugenommen, und den Bauch mussten wir mit künstlicher Haut nachbauen. Die Reaktionen bestanden meist darin, mir zu sagen, wie mutig es sei, mich so zu zeigen – so "hässlich". Das finde ich spannend. Mit den Kilos, die ich zugenommen habe, und diesem Bauch sehe ich aus wie eine ganz normale Frau, die vor kurzem ein Kind zur Welt gebracht hat. Dass das schon als "mutig" bezeichnet wird oder sogar als "hässlich", fand ich enorm. Dabei war das ganz herzlich und lieb gemeint. Dass man Anerkennung dafür bekommt, sich zu zeigen wie eine normale Frau, belegt doch, wie weit wir von der Wahrnehmung von echten Körpern entfernt sind.

ZEITmagazin Online: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum ausgerechnet Frauen so sehr mit Ihrem Äußeren hadern?

Herfurth: Ich glaube, es hat mit dem gesellschaftlichen Mindset unserer Breitengrade zu tun. Viele denken, dass in meiner Branche – und in dem Beruf der Schauspielerin erst recht – das Problem besonders groß ist, weil der Fokus so stark auf dem Körper liegt. Tatsächlich glaube ich aber, dass es ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist und mit der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zusammenhängt. Man darf nicht vergessen, dass es nicht lange her ist, dass eine Frau erst durch die Heirat mit einem Mann abgesichert war. Ihre Lebensgrundlage hing davon ab, dass sie jemandem gefällt. Männern zu gefallen ist nach wie vor ein großes Leitmotiv. Das ist gewissermaßen unser Erbe. Der ökonomische Druck hat heute nachgelassen, aber der körperliche ist nach wie vor da. Wir Frauen haben es uns zur Gewohnheit gemacht, uns dem Male Gaze, dem männlichen Blick, anzupassen. Wir haben ihn verinnerlicht. Ich glaube sogar, dass der Druck noch ausgefeilter geworden ist: Heute geht es hauptsächlich darum, sexy zu sein – fuckable zu bleiben, um dieses furchtbare Wort zu benutzen.

ZEITmagazin Online: Woran machen Sie das fest?

Herfurth: Ein Beispiel: Ich habe letztens gelesen, dass einem kleinen Mädchen im Hort gesagt wurde, dass es doch unter dem Rock eine lange Unterhose anziehen solle. Denn wenn es auf einen Baum klettern oder an einer Stange baumeln wolle, könne es sonst sein, dass es sich Blicken aussetzt. Das ist doch ein interessanter Widerspruch, dass nicht die Blicke in Frage gestellt werden, sondern die kleinen Mädchen sich was anziehen sollen.
Später wird dieses Mädchen dann vielleicht an einer Bushaltestelle sitzen und die riesigen Unterwäschewerbeplakate sehen, auf denen sehr schmal bekleidete Frauen ihren Körper zur Schau stellen und dabei ganz unschuldig gucken. Ich frage mich dann immer, was das für eine Welt ist, die sich diesem kleinen Mädchen präsentiert: Es darf beim Klettern den Schlüpper nicht zeigen, aber für erwachsene oder halberwachsene Frauen scheint genau das die Aufgabe zu sein: Blicke zu provozieren. Das veranschaulicht meiner Meinung nach, wo wir stehen: Wir finden diese Denkweise normal und akzeptieren oder tolerieren die Rollenverteilung und die Übergriffe.

ZEITmagazin Online: Wie werden schon den Jüngsten tradierte Rollenbilder weitergegeben?

Herfurth:
Es wird immer noch sehr – oder sogar immer mehr – eingeteilt: Das ist weiblich, das ist männlich. In den Spielwarenabteilungen stehen für Jungs Traktoren und für Mädchen Puppen – damit sie schon mal lernen, was später ihre Aufgabe wird. Es gibt Klamottenabteilungen für Jungs und für Mädchen. Warum gibt es nicht einfach Klamotten für Kinder? Solche Rollenbilder müssen wir noch mehr hinterfragen und aufbrechen. Wirklich enorm finde ich, wie stark Formate für Kinder, Bücher oder Hörspiele, auch das Ideal in Bezug auf die Körperlichkeiten völlig selbstverständlich transportieren. In einem Hörspiel wie Die drei Ausrufezeichen überlegen Mädchen, dass sie heute beim Essen richtig reinhauen können, weil sie sich heute richtig doll bewegt haben. Ich kann es gar nicht fassen, dass das in Kinderformaten ohne Widerspruch durchgeht.
Dilara Aylin Ziem Dilara Aylin Ziem | © Warner Bros. Home Entertainment ZEITmagazin Online: Sie arbeiten selbst in einer Branche, in der es um Bilder von Körpern geht. Wie erklären Sie sich, dass sich Rollenklischees so hartnäckig halten?

Herfurth: Ein bestehendes Konstrukt in Frage zu stellen, kostet viel Kraft und Mut. Es bedeutet Widerstand aus den engsten Kreisen, weil man natürlich auch die Menschen in seinem Umfeld in Frage stellt, sogar seinen Partner. Das ist für alle Beteiligten ein schmerzhafter Prozess. Wenn man Leuten Privilegien abspricht oder eine andere Verteilung von Ressourcen fordert, birgt das außerdem die Gefahr, dass man den sozialen Zusammenhalt verliert. Meistens ist es einfacher, sich auf die Seite des Privilegierten zu stellen, in der Hoffnung, diese soziale Umarmung nicht zu verlieren.

ZEITmagazin Online: Wie selbstverständlich werden in der Filmbranche der Körper und sein Bild manipuliert?

Herfurth:
Eine Bearbeitung ist natürlich selbstverständlich. Beim Film kann man in der Nachbearbeitung Filter über ein Bild legen, und man hat künstliches Licht zur Verfügung, um Körperpartien hervorzuheben oder zu kaschieren. Stärker als beim Filmen ist es aber eigentlich, wenn Fotos von mir gemacht werden. Und noch immer sitzen Frauen eine oder anderthalb Stunden in der Maske und Männer nur zehn Minuten.

ZEITmagazin Online: Warum werden Frauen so viel aufwändiger zurechtgemacht?

Herfurth:
Warum schminken sich Frauen überhaupt und Männer nicht? Das ist nicht nur in der Filmbranche so, sondern überall: Für den öffentlichen Auftritt wird das Äußere der Frauen verändert, das der Männer viel weniger. Verstehen Sie mich nicht falsch – natürlich gibt es am Schmücken und Schminken auch lustvolle und schöne Komponenten. Die Frage ist die der Motivation: Will ich mich damit einem äußeren Ideal anpassen, oder geht es um eine Beziehung zu mir selbst.

ZEITmagazin Online: Was würden Sie gerne in Ihrer Branche verändern?

Herfurth:
Ich wünsche mir mehr See!

ZEITmagazin Online: Mehr See?

Herfurth:
Das öffentliche Bild von Körpern, also das Bild von Körpern, das meine Branche im Kino aber auch andere Branchen in der Öffentlichkeit mitbestimmen, unterscheidet sich noch immer stark von der Realität. Wenn ich jetzt im Sommer an den See oder ins Freibad gehe, sehe ich die unterschiedlichsten Körperformen. Niemand ist frei von sogenannten Problemzonen, die es natürlich nicht gibt. Niemand entspricht dem erschaffenen Ideal – oder höchst selten. Es gibt jede Form, jedes Alter, jede Hautfarbe. Wenn sich das öffentliche Körperbild noch mehr an das anpasst, was am See stattfindet, dann, glaube ich, können wir uns alle noch viel mehr entspannen.

Der Film "Wunderschön" läuft in Deutschland noch immer im Kino und ist seit August auch auf DVD und als Stream erhältlich.

Der Film Wunderschön wird im Rahmen des SEHENSWERT Festivals am 6. und 15. Oktober im Művész mozi aufgeführt.

 
Karoline Herfurth wurde 1984 in Ostberlin geboren und wuchs in einer Patchworkfamilie auf. Mit 15 wurde sie fürs Kino entdeckt ("Crazy", 2000), international bekannt wurde sie durch die Literaturverfilmung "Das Parfum" (2006). Sie erhielt Preise für anspruchsvolle Rollen wie "Im Winter ein Jahr" (2008) und "Vincent will Meer" (2010) und spielte ebenso erfolgreich in zahlreichen Komödien mit ("Fack ju Göhte", 2013 und 2015). 2016 führte sie in dem Liebesfilm "SMS für dich" das erste Mal Regie. "Wunderschön" ist ihre dritte Regiearbeit. Für den Episodenfilm um fünf Frauen, die in unterschiedlichen Lebensphasen mitihrem Körper hadern, schrieb Herfurth am Drehbuch mit.

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