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30 Jahre Städtepartnerschaft
Berlin-Budapest

Budapester Straße in Berlin
Die Budapester Straße in Berlin verläuft zwischen Tiergarten und Charlottenburg. Der V. Bezirk in Budapest ist seit 1998 Partnerbezirk des Bezirks Charlottenburg. | Adobe Stock

Am 28. August 1992 unterzeichneten Berlin und Budapest eine Rahmenvereinbarung, die zu einem umfangreichen Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den beiden Städten in den Bereichen Stadtverwaltung, Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Sport, Jugendschutz und Bildung geführt hat. Die historischen und kulturellen Beziehungen reichen natürlich viel weiter zurück. György Dalos, der renommierte ungarische Schriftsteller und Historiker, der in Berlin lebt, reflektiert darauf in seinem Artikel.

Von György Dalos

Ich hatte – um dieses kurze Nachsinnen mit einem persönlichen Erlebnis einzuleiten – während meiner Laufbahn nicht mit einem Berlin, sondern mit drei Versionen dieser Stadt zu tun. In den Studienjahren bin ich als Rucksacktourist in Ost-Berlin herumgekommen – mit einem „roten“ Reisepass, dessen Gültigkeit nicht weiter als bis zur paar Jahre zuvor errichteten Berliner Mauer reichte. Nach 1976 konnte ich dank der gelockerten ungarischen Reisebestimmungen im Besitz eines „braunen“ Passes West-Berlin erblicken und durfte dort 1984/85 zwei Jahre als Stipendiat verbringen. In der schon wiedervereinigten Stadt Berlin habe ich nach dem Mauerfall vier Jahre lang das Haus Ungarn geleitet und lebe seither hier, bin also im geografischen Sinne wieder im „Osten“ zu verorten. Ins ehemalige Ost-Berlin war ich mit Malév oder Interflug vom Budapester Flughafen Ferihegy geflogen, bis ich dann 1979 wegen meiner freundschaftlichen Verbindungen zu dortigen Oppositionellen und Schriftsteller*innen aus dem Staatsgebiet der DDR ausgewiesen wurde. Schönefeld ist für mich zehn Jahre lang Sperrzone geblieben. Während dieser Zeit sind meine ersten deutschsprachigen Bücher in West-Berlin erschienen, und wenn ich mit meinem Verleger persönlich in Kontakt treten wollte, war das nur über Umwege von München oder Stuttgart aus möglich, mit Flügen von Air France oder British Airways, die in Tegel landeten. Nach der „Wende“ konnte ich einige Male auch von Tempelhof nach Budapest starten, und heute fliegen mich die Billigflieger vom BER zwischen den beiden Hauptstädten hin und her.

Der Kalte Krieg führte auf mehreren Kontinenten zur Spaltung einst vereinter Länder – man denke nur an die „Verdoppelung“ von Korea und Vietnam. Die neuen Staatsgrenzen wurden in diesen Fällen sozusagen mit dem Lineal gezogen, und dabei wurden die natürlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die gemeinsame Sprache und die gemeinsamen kulturellen Traditionen wie auch das Schicksal der getrennten Familien vollkommen außer Acht gelassen. Überdies brachte die Teilung Deutschlands 1949 eine kartografische Absurdität hervor: die übriggelassene Westhälfte der ehemaligen deutschen Hauptstadt mitten in der DDR. Die Fläche West-Berlins (480 km²) war etwas größer als die Ost-Berlins (403 km²) und fast so groß wie die von Budapest (525 km²). Nach dem Mauerbau übertraf die Einwohnerzahl von West-Berlin (2,2 Millionen) die von Ost-Berlin (1,2 Millionen) fast um das Doppelte. In der halben Stadt, die laut der beharrlich repetierten offiziellen ostdeutschen Auffassung „kein Bestandteil der Bundesrepublik“ gewesen sei, begann in den 1960er Jahren eine rasante wirtschaftliche Entwicklung. Bald wurde West-Berlin – vielleicht auch als Gegenreaktion auf die Mauer – zu einem der geistigen Zentren Europas. Viele prominente Persönlichkeiten lebten und arbeiteten hier für längere oder kürzere Zeit, beispielsweise David Bowie, Witold Gombrowicz, Krzysztof Penderecki, John Cage, Jim Jarmusch und György Ligeti – die Anziehungskraft West-Berlins hat übrigens vielleicht Letzterer am trefflichsten definiert: „… ein surrealistischer Käfig: Die, die drinnen sind, sind frei.“

Bald hat das ungarische Geistesleben im Zuge einer langsamen Liberalisierung den Reiz dieser besonderen Stadt für sich entdeckt. Bereits im Januar 1968 beklagte die Stasi in einem streng geheimen Bericht, dass das Budapester Universitätstheater (Egyetemi Színpad) und anschließend das Operettentheater (Operettszínház) Gastauftritte in der „verbotenen Stadt“ gehabt, die Freie Universität und die Budapester ELTE-Universität eine Vereinbarung über Studierendenaustausch getroffen, die Musikhochschulen der beiden Städte über gemeinsame Programme verhandelt hatten, und bald auch ungarische Filme auf der Berlinale aufgetaucht waren. Im Rahmen des „Berliner Künstlerprogramms“ tat sich dann in den Siebzigern ein neues Feld für das geistige Zusammenleben beider Städte auf. Eine ganze Reihe ungarischer Schriftsteller*innen, darunter György Konrád, Péter Esterházy, Péter Nádas, Magda Szabó und Imre Kertész, konnten für längere Zeit in West-Berlin leben und arbeiten – die meisten von ihnen begründeten von hier aus ihr internationales Renommee.

Mit angemessener Bescheidenheit könnte man behaupten, dass die Abriegelung durch die Mauer in einem winzig kleinen Maße, aber auch durch diese kulturelle Präsenz gelockert wurde, wenngleich die Grenzöffnung von 1989 die eigentliche Bresche in dieses monströse Bauwerk schlug. Mit dem Zusammenbruch der DDR konnte nicht nur die gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte Realität werden, sondern auch die zwei Teile der vierzig Jahre zuvor auseinandergerissenen Stadt fanden wieder zueinander und funktionieren seit mehr als dreißig Jahren als organisches Ganzes. Der logische Höhepunkt dieses Prozesses war das Abkommen über die Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Budapest im Jahre 1992, unterzeichnet von Eberhard Diepgen und Gábor Demszky.

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