Installation Bit.Fall

Ludwig Múzeum © Julius Popp

Sa, 18.06.2016 –
Sa, 20.08.2016

18:00 Uhr

Ludwig Múzeum – Kortárs Művészeti Múzeum

Die Installation war bis zum 31.07.2016 vor dem Ludwig Museum zu sehen.

Der in Leipzig lebende Künstler Julius Popp versucht in seinen Installationen technologische Prozesse zu entschlüsseln und sinnlich erfahrbar zu machen. In der zwischen Wissenschaft und Kunst angesiedelten Arbeit bit.fall (2005) wird fallendes Wasser zum Träger von Informationen. Herabfallende Wassertropfen formieren sich zu einem Wasservorhang, auf dem für einen kurzen Augenblick Wörter lesbar sind, bevor sie sich im weiteren Fall wieder auflösen. Die projizierten Wörter selbst kommen aus ungarischen online Nachrichtenportalen. Die Software ist dabei so programmiert, dass sie Wörter auswählt, die nach statistischer Auswertung im Moment der Suche besonders häufig vorkommen. Insofern spiegelt die Arbeit den Zustand der Gesellschaft.

Die Eröffnung fand am 16. Juni um 18 Uhr vor dem Ludwig Museum statt. Bei der Veranstaltung las unter anderen der ungarische Schriftsteller Krisztián Grecsó seine Kurzprosa vor:

Krisztián Grecsó: Bit.Fall

Julius Popp verspricht Ihnen den Augenblick, den Anblick sprudelnder Tropfen der Vergänglichkeit, die Möglichkeit des Dialogs, in dem Sie zu Wort kommen können, denn Sie sehen den WasservorhangIhres eigenen Geredes. Das Augenblick-Wörterbuch des Wassers, die Vergänglichkeit selbst stürzt am Donauufer in die Tiefe. Der Sturz des Bit.Fall, die flüssige Menge der Buchstaben, die vergängliche Rede klingt in einem kleinen Land anders, ihr Echo klingt anders in einer so einsamen Stadt wie Budapest.

Schon die Idee ist die Umkehrung ihrer selbst. Der schöpferische Mensch sträubt sich eigentlich gegen so etwas, der Künstler hasst den Augenblick, das Vergehen, denn es ist einsam und eigensinnig, rechthaberisch und einmalig. Dieses „Jetzt und Sofort“, das erfassen nur die Galerien, die Verlage und Rezipienten, der schaffende Künstler nie. Der Bit.Fall aber ist die Kunst des Augenblicks, ein Gefecht, das Aufblitzen der Klinge, Wühlarbeit, die Wand stürzt ein, ein Klavierspiel von gestern, ein Ringkampf, Sumo. Das Aufspüren des Augenblicks in der Unendlichkeit. Das Fahrrad einer Seele wirdangelehnt an das Fahrrad einer anderen Seele, jetzt liegt das eine unter dem anderen. Stille, dann Streitgeschrei, Fessel, Leine, Spaziergang im ungarischen Morgengrauen, betrunken, eng aneinander geschmiegt gehen wir auf eine Donaubrücke zu.

Ich kann diesen Satz aus Wasser schreiben und er fließt davon. Das ist kein Liebesakt, das ist ein seelisch intensiveres Erlebnis, ein Scheidungsprozess. Nie sind zwei Seelen so dicht beieinander, als wenn sie sich vor Publikum hassen können.

Dann aber wird aus den Worten ein See, eine Badewanne, die Donau. Der Bit.Fall ist wunderbat, das liegt jedoch nicht an der Technik, der Takt, der Rhythmus, in dem die Wassertropfen in der Luft verbleiben, dies ist entscheidend. Die Arbeit von Julius Popp ist vor allem ein Spalt. Ein Leck. Eine Tür ins Trockene. Unser Vergehen öffnet die Wege ins Unendliche. Leute, hierher kann man gelangen, nicht unbedingt aus der Zukunft, auch von dort, aber wichtiger ist es aus dem heute heraus. Diese Installation ist eine Loge, ein Souffleurkasten, so etwas wie ein ausgeschalteter Fernsehapparat: Ichsehe mich selbst darin. Und dem kann man sich nicht entziehen, es geht hier nicht um Auge, Mund, Nase oder den sechsten Sinn, nicht um den Chor all unserer Sinne, das isteher eine Membran, ein Radar, ein Detektor. Ich sehe die Welt hinter dem Vorhang aus Wasser.

Es ist schwer, ein Spalt zu sein. Kann schwer sein.

Aus der persönlichen Gegenwart kann man nicht in die allgemeine Gegenwart hindurchblicken, einfach nur so. Mit dem Sein kann man nicht wie mit einem Hula-Hopp-Reifen tanzen, nicht nur, weil es so etwas nicht gibt, das Sein ist keine Hure, es gibt sich nicht einfach so hin. Möglich ist nur ein persönliches Schweben, das gesellschaftliche Sein liegt als zu Wassertropfen zusammengepresste Eindrücke irgendwo auf dem Grund der Donau, zusammengeflossen mit den übrigen Worten, wäre da nicht Popp, der Wahrheit daraus hervortropfen lässt.

Wir Rezipienten weisen im Moment der Wahrnehmung die Wortbilder des Wassers zurück. Wir werden alle zu Judas, stoßen die Schöpfung von uns ab. Das ist mehr als ein Aha-Erlebnis. Wir wagen zu behaupten, dass wir auch zuvor schon gewusst haben, was los ist. Wir haben gewusst, wie das zeitgenössische Sein aussieht, wir leben doch darin, den Moment der Wahrheit haben wir auch bislang schon durch die Poren unserer Haut gespürt. Die Wasserwand lässt unsin dem Glauben, sie tut so, als könnten wir tatsächlich einen Dialog mit ihr führen, als wäre sie ein Teil des geahnten Erlebens. Sie lässt uns Witterung aufnehmen. Das ist hier möglich. Die Zeit fühlen, mit Blicken, die erscheinen und sich gleich schon wieder auflösen. Der Gestank kommt nicht aus der Richtung, aus der es zieht.

Den Namen Nietzsches hat meiner Meinung nach nicht Gott mit seinen Fingerspitzen auf den Dunst des Wasserspiegels gezeichnet, sondern Popp.

Sobald wir geboren sind, beginnt die Verdauung. Die Worte des Wassers werden zu dem, was sie eigentlich zähmen wollten. Der Dompteur wird wild wie dasin Gefangenschaft liegende Sein.

Das Bild des Wortes ist wie ein Spiegel, der sich im Spiegel spiegelt. Die von uns geschaffene Ewigkeit infiziert uns neu, das zersetzte Vergehen zersetzt den Zersetzer. Und dennoch wird die Welt nicht aus ihren Angeln gehoben, das war schon ewig so, das Wort ist immer auseinander geflossen, wir aber sitzen mit unsern alternden Körpern am Ufer, warten auf niemanden, ertragen nur, wie die Donau vor sich hinfließt. Das ist nicht schlecht, auf das Vergehen zu warten ist nicht schlecht, besser als das Warten auf die Hoffnung. Wir haben den Satz destilliert und eingekocht wie die Maische.

Aber bitte nicht traurig werden, es kommt noch schlimmer. Oder besser. Bis dahin… Früher oder später öffnet das Geschäft für Künstlerbedarf.

(Aus dem Ungarischen übertragen von Wilhelm Droste)


Bilder von der Eröffnung:

  • Alexandra Szalay-Bobrovniczky, Vize-Oberbürgermeisterin © LuMu
    Alexandra Szalay-Bobrovniczky, Vize-Oberbürgermeisterin
  • Julia Fabényi, Direktorin des Ludwig Museums © LuMu
    Julia Fabényi, Direktorin des Ludwig Museums
  • bit.fall - Eötvös © Goethe-Institut
    bit.fall - Eötvös
  • Michael Müller-Verweyen, Leiter des Goethe-Institut Budapest © LuMu
    Michael Müller-Verweyen, Leiter des Goethe-Institut Budapest
  • Judit Hammerstein, Generaldirektorin des Balassi-Instituts © LuMu
    Judit Hammerstein, Generaldirektorin des Balassi-Instituts
  • bit.fall - Publikum © LuMu
    bit.fall - Publikum
  • Krisztián Grecsó, Schriftsteller © LuMu
    Krisztián Grecsó, Schriftsteller

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