Arthouse Cinema - Rainer Werner Fassbinder
Katzelmacher: Fassbinders ästhetische Entscheidungen und politische Ansichten

Katzelmacher: Fassbinders ästhetische Entscheidungen und politische Ansichten
© Goethe-Institut Indonesien

Katzelmacher ist Rainer Werner Fassbinders zweiter Spielfilm, der 1969 erschien. Noch in Schwarz-Weiß wie sein erster Film, Liebe ist kälter als der Tod, der im selben Jahr erschien, eröffnet Katzelmacher mit einer Reihe von Szenen, die die Hauptfiguren des Films zeigen. Sie leben in Sorge, aber auch mit einem gewissen Misstrauen gegeneinander.
 

Helga und Maries „Wert“ als Frauen beruht ausschließlich auf den Handlungen ihrer Partner. Leider sind Paul und Erich nichts anderes als Männer mit latentem Machismo, die Beziehungsgewalt normalisieren und ihre Partnerinnen als sexuelle Objekte und Parasiten betrachten, die entfernt werden müssen. Dann ist da noch Peter, der auf Kosten seiner Partnerin Elisabeth lebt, die hart arbeitet. Währenddessen ist Rosy eine Frau, der sich die männlichen Charaktere in Katzelmacher anvertrauen, wenn sie in ihrem Stolz als Männer verletzt werden. Gunda, Rosys Vermieterin, scheint mit ihren eigenen persönlichen Konflikten zu kämpfen, die hin und wieder in Erscheinung treten. Franz, der keine Partnerin hat, kanalisiert seine zerbrechlichen Gefühle auf Rosy und ihre transaktionale, sexuelle Beziehung. Alle deutschen männlichen Charaktere in Katzelmacher befinden sich in einer Krise mit ihrer eigenen Männlichkeit. Die weiblichen Charaktere hingegen werden als wettbewerbsfähige Charaktere dargestellt, die es lieben, über das Unglück anderer zu reden und sich darüber zu freuen. Die Interaktionen dieser neun Figuren ist eine ganz alltägliche, normale Begebenheit, bis eines Tages Jorgos, ein griechischer Gastarbeiter, eintrifft.

Angst vor dem Unruhestifter

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten Deutschland und Österreich Ende der 1950er Jahre die Zeit des Wirtschaftswunders, das sie zu den stärksten Volkswirtschaften Europas machte. Gastarbeiter, unter anderem aus Griechenland, kamen nach Deutschland, um dort ihr Glück zu versuchen. Katzelmacher porträtiert Stereotypen und Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft gegenüber den Gastarbeitern. Der Begriff Katzelmacher bedeutet Unruhestifter in der deutsch-bayerischen Gesellschaft. Jorgos, der griechische Gastarbeiter, wird als Neuling dargestellt, der die deutsche Sprache nur mittelmäßig beherrscht, in Unterhaltungen mit anderen stottert und dessen Anwesenheit per se die Stabilität seiner Umgebung zerstören kann. Die deutschen Männer fühlen sich von Jorgos eingeschüchtert. Während sie wirtschaftliche Schwierigkeiten haben oder auf Kosten ihr­er Partnerinnen leben, kann Jorgos die Miete für sein Zimmer in Elisabeths Wohnung vollständig und im Voraus bezahlen. Hinzu kommt noch, dass Jorgos laut Gerüchten einen größeren Penis als die deutschen Männer hat.

Sozialkritisches Experiment mit melodramatischem Ansatz

Katzelmacher thematisiert Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in den 1960er Jahren, als viele Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Fassbinders Kritik und sein humorvoll-ironischer Blick auf die deutsche Mittelschicht nach dem Zweiten Weltkrieg wird in Katzelmacher durch einen melodramatischen Ansatz gezeigt. Dieser Stil in Fassbinders Werken wurde von Douglas Sirk oder dem sogenannten Sirkschen Melodram beeinflusst. Die gleiche Methode verwendet Fassbinder auch in seinen späteren Filmen. Einer davon ist Angst essen Seele auf (1974), der die Stimmung der deutschen Gemeinschaft gegenüber einem marokkanischen Gastarbeiter erneut thematisiert. Beide Filme stützen sich auf den melodramatischen Erzählstil, um ihre Kritik an deutschen Faschisten zu vermitteln. Obwohl noch nicht so prominent sichtbar wie in Angst essen Seele auf, begann Fassbinder bereits in Katzelmatcher sein sozialkritisches Experiment mit melodramatischem Ansatz.

Die Zuschauer brauchen nicht viel Zeit, um zu erkennen, dass die Sprache in Katzelmacher stark von Jean-Luc Godards Filmen beeinflusst wurde. Der Karrierebeginn von Fassbinder kam nur ein Jahrzehnt nach dem von Godard. Beide gelten als Pioniere der Filmbewegungen ihres jeweiligen Landes, Fassbinder mit der Generation Neuer Deutscher Film und Godard mit der Nouvelle Vague, der „Neuen Welle“ des französischen Films. Die Sprache der Nouvelle Vague, die Rainer Werner Fassbinder bei der Produktion von Katzelmacher inspirierte, war eine Strategie, mit kleinen Produktionsbudgets umzugehen und gleichzeitig das technische Establishment in der Filmproduktion abzulehnen.

Jede Szene in Katzelmacher wurde mit einer statischen Kamera aufgenommen, was wiederum bedeutet, dass die Bewegungen der Figuren auf dem Bildschirm nicht verfolgt werden müssen. Die Kamera befindet sich immer auf Augenhöhe mit den Filmfiguren. Die Aufnahmen, die von Long-Take-Medium-Shots, Medium-Long-Shots und Nahaufnahmen dominiert werden, lässt es aussehen, als wären die Charaktere in einem engen Raum gefangen, ohne die Freiheit zu atmen und sich frei zu bewegen. Die Kamera bewegt sich in Katzelmacher nur dreimal mit der gleichen Technik:  sie begleitet zwei Charaktere, die zu Fuß nebeneinander laufen und über Rechtfertigungen sprechen, um sich besser zu fühlen, und zeigt sie dabei von vorne.

Vom Theater: Gerade ausreichend für die Bedürfnisse

Bevor Katzelmacher zu einem Spielfilm wurde, war es ursprünglich ein Theater-Drehbuch. Rainer Werner Fassbinder ist ein Regisseur des Neuen Deutschen Films mit Theaterhintergrund. Es ist nicht verwunderlich, dass das Publikum in Katzelmacher und den nachfolgenden Filmen Fassbinders eine Manifestation von Theaterstandards findet: beginnend mit der Aufnahme eines einzelnen Bildes von der Vorderseite in jeder Szene, den klaren Dialogen, die scharfen Äußerungen, bis hin zu dem Bewusstsein, Kompositionen vor der Kamera anzuordnen.

Bertolt Brechts episches Theaterkonzept, das die Form und den Stil von Fassbinders nachfolgenden Filmen beeinflusst hat, ist auch in Katzelmacher zu spüren. Das Theaterkonzept Brechts lehnt die Illusion des Theaters ab, die darauf abzielt, dem Publikum eine kathartische Erfahrung zu präsentieren, indem es sich auf die Emotionen der Hauptfiguren einlässt. Im Gegenteil, nach Ansicht von Brecht sollte das Theater auf Distanz zum Publikum gehen und ihm das Bewusstsein geben, dass das, was es genießt, eine Darstellung ist. Mit dieser Distanz hat das Publikum Raum, seine Perspektiven zu hinterfragen, persönliche Reaktionen zu empfinden und sogar die Darstellung selbst zu kritisieren.

Die offensichtlichste Anwendung von Brechts epischem Theaterkonzept in Katzelmacher ist die Verwendung vieler Charaktere und vereinfachter Einstellungen, ohne den Versuch, so realistisch wie möglich zu sein. In Katzelmacher gibt es nicht viele Bilder, die die Umgebung eines Ortes, eines Gebäudes oder eines städtischen Kontextes zeigen. Die Zuschauer wissen nur, dass die Charaktere in einem Wohnkomplex leben. Der Rest, jede Szene, spielt sich auf der Seite eines Gebäudes, in einem Raum, in einer Wohnung, unter einer Treppe und in einem Café ab. Die in Katzelmacher verwendeten Requisiten zeigen auch minimale künstlerische Arbeit, die immer nur gerade ausreichend für die Bedürfnisse der einzelnen Szene ausgelegt ist. Wenn in dem Film ein Schlafzimmerhintergrund erforderlich ist, sieht man nur eine Matratze auf dem Bildschirm. Bei einer Frühstücksszene werden nur der Esstisch und die Stühle entsprechend der Anzahl der Filmfiguren angezeigt. Wenn es eine Szene gibt, in der Kleidung verpackt wird, ist das einzige verfügbare Objekt im Raum ein Kleiderschrank.

Katzelmacher ist möglicherweise nicht das beste Werk, wenn es um Fassbinders Filmografie als einer der Pioniere des Neuen Deutschen Films geht. Dennoch war Katzelmacher zu Beginn von Fassbinders Karriere ein wichtiges Werk, das später zur Grundlage für die Filmsprache seinen nachfolgenden Filmen wurde. Durch Katzelmacher konnten die Zuschauer mit der Lektüre von Fassbinders Autorenschaft als Regisseur beginnen - nicht nur über die Ästhetik des Films, der von Jean-Luc Godard, Bertolt Brecht und Douglas Sirk beeinflusst wurde, sondern auch über seine gesellschaftspolitischen Ansichten als Kritik an der deutschen Gesellschaft.
 

autorin

Ayu Diah Cempaka
© Ayu Diah Cempaka
Ayu Diah Cempaka war von 2015 bis 2019 Teil des Programmteams beim Yogyakarta Documentary Film Festival (FFD). 2017 startete Ayu mit Cinema Poetica ein Filmkritik-Workshop-Programm bei FFD. Sie selbst nahm 2016 an einem Workshop zum Thema Filmkritik teil, der vom Salamindanaw Film Festival & Yamagata International Documentary Film Festival veranstaltet wurde. Seit 2016 veranstaltet Ayu mit ihren Kolleg*innen in Denpasar Cinecoda, ein Programm, bei dem Filme vorgeführt und diskutiert werden.

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