Arthouse Cinema - Rainer Werner Fassbinder
Angst essen Seele auf: Politischer Raum

Angst essen Seele auf: Politischer Raum
© Goethe-Institut Indonesien

1971 schrieb Rainer Werner Fassbinder mehrere Texte über die Filme von Douglas Sirk, die in „Fernsehen und Film No. 2, Februar 1971“ veröffentlicht wurden. Einer der Filme, über die er sprach, war All That Heaven Allows (1955).
 

Fassbinder beschreibt die Raumkonstruktion zu Beginn des Films, als Sirk Ron Kirby (Rock Hudson) vorstellt, einen jungen Gärtner, der bei Fernaufnahmen zunächst klein aussieht – wie ein Statist – und langsam mithilfe einer Nahaufnahme immer größer wird. Er sitzt neben Cary Scott (Jane Wyman), der verwitweten wohlhabenden Besitzerin des Hauses. Für Fassbinder ist das Aufeinandertreffen zweier Charaktere mit unterschiedlichem Hintergrund ein sowohl simpler als auch erstaunlicher Filmstart, da das Publikum in nur wenigen Minuten nach Beginn des Films die Essenz dessen sehen kann, was im Film besprochen wird.

Drei Jahre später veröffentlichte Fassbinder Angst essen Seele auf (1974). Man kann sagen, dass All That Heaven Allows (ATHA) eine große Inspiration für die Entstehung des Films Angst essen Seele auf (AeSa) war. Beide Filme diskutieren soziale Konflikte, die aus der Liebe zwischen Menschen zweier Altersgruppen entstehen, die weit voneinander entfernt sind. Fassbinder fügt jedoch eine soziale Dimension hinzu, die es bei ATHA nicht gibt, nämlich das Problem der Rasse. Die Handlung des Films ist fast dieselbe, allerdings mit dem Unterschied, dass AeSa die Ehe nicht zur „endgültigen Lösung” oder zum dramatischen Höhepunkt des Glücks für die beiden Paare macht. Die Ehe in ATHA ist etwas, das verfolgt werden muss, um ewiges Glück zu erreichen. In AeSa ist die Ehe der Beginn von Trauer. Der Schauplatz der Geschichte ist München, einige Jahre nach der Tragödie des Münchner Massakers von 1972, bei der 17 Menschen ums Leben kamen. Dieser Vorfall führte zu einer verstärkten Abneigung gegen Einwanderer in Westdeutschland, insbesondere gegen Einwanderer aus dem Nahen Osten.
 
Die Hauptfiguren in AeSa, nämlich El Hedi ben Salem als Ali und Brigitte Mira als Emmi, spielen regelmäßig in Fassbinder-Verfilmungen mit. In einem Gespräch mit Emmi sagt Ali, dass er in Marokko geboren wurde, aber nach Deutschland ging, um zu arbeiten und ein besseres Leben zu führen. Ali ist ein Gastarbeiter, ein Arbeiter aus einem anderen Land, der in den 1950er bis 1970er Jahren infolge der Bemühungen um die Wiederherstellung der Infrastruktur und der Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg nach Westdeutschland kam.

Raum definieren, Assimiliation vermeiden

Das Westdeutschland, das in diesem Film gezeigt wird, ist keine ideale Region für ausländische Arbeiter wie Ali. Westdeutschland ist hier ein von Menschen besiedeltes Gebiet, die überwiegend die Assimilation sowohl subtil als auch offen ablehnen. Die logische Konsequenz eines solchen Umfelds ist, dass ausländische Arbeitnehmer besondere Räume suchen und schaffen, um zu überleben, Kontakte zu knüpfen und ihren Lebensstil zu bewahren. In dem Film wird dieser Raum in Form einer Bar dargestellt, in der sich ausländische Arbeiter treffen, Musik aus ihrer Heimat hören und ihre Muttersprache miteinander sprechen. Infolgedessen wird die Bar zu einer sicheren Zone für Gastarbeiter, nachdem sie tagsüber rassistischen Anfeindungen von der Mehrheit der westdeutschen Bürger ausgesetzt waren. Die Bar selbst gehört einer westdeutschen Frau, die sich nicht für Politik interessiert und ihnen den Barraum überlassen hat.
 
Was passiert, wenn dieser besondere Raum von einer Westdeutschen infiltriert wird, die nicht zu den anderen dazugehört? Diese Frage wird in der ersten Szene dieses Films aufgeworfen. Emmi ist Handarbeiterin. Obwohl ihr Nachname Kurowski - der Name ihres Ex-Mannes - darauf hinweist, dass ihr Mann nicht deutscher Herkunft ist, gehört Emmi trotzdem nicht zu der Gruppe der Gastarbeiter. Emmi wird schief angesehen und erlebt in diesem Moment Entfremdung. Der Film schafft eine Umkehr der Bedingungen, wenn eine Westdeutsche zu einer „Ausländerin“ in ihrem eigenen Land wird. Der größte Teil der Aufnahmen in der Bar zeigt die Szene aus einer mittleren bis langen Distanz. Die Anatomie des Raumes ist vom Eingang bis hin zur Tanzfläche deutlich erkennbar. Emmi sitzt zunächst auf einem Stuhl neben der Tür, ihre Position außerhalb der Menschen an der Bar. Die Tanzfläche ist am weitesten von der Tür entfernt. Als Ali näher kommt und Emmi zum Tanzen auffordert, findet eine Aushandlung des Raumes statt.
 
Als Ali und Emmi die Bar verlassen, sehen wir uns mit einem Westdeutschland konfrontiert, das dem Innenraum der Bar den Rücken kehrt. Die Raumtrennung ist hier nicht auf private und öffentliche Räume ausgerichtet, sondern auf westdeutsche und nicht-westdeutsche Räume, weiße und nicht-weiße Räume. Der Raum hat also politische Konsequenzen im Zusammenhang mit der Rassenhierarchie in Westdeutschland.
 
Emmis Wohnung ist ihr persönlicher Raum. Die Position des privaten Raums ist hier jedoch ein Tauziehen mit den gesellschaftspolitischen Bedingungen. Emmi lebt in einem Haus, das von weißen, westdeutschen Arbeitern bewohnt wird. Als Ali Emmis Wohnung betritt, passiert etwas Ähnliches, wie Emmi es in der Bar erlebt hat. Doch der Widerstand gegen Ali ist offener, vulgärer und erfordert eine politische Lösung, nämlich die Heirat mit Emmi. Doch damit ist das Problem auch nicht behoben.

Der Rahmen in den Filmszenen und die Machtverhältnisse

Neben der gesellschaftspolitischen Position des Raumes müssen wir auch sehen, wie der Raum von Fassbinder umrahmt wird. Wie in der oben erwähnten Szene in der Bar wird für den Großteil der Filmszenen eine mittlere Distanz verwendet, sodass die Personen und der Raum nicht so scharf voneinander getrennt aussehen wie in einer Nahaufnahme. In einigen Teilen scheint der Rahmen nicht der Kamera überlassen zu sein, sondern dem Raum selbst. Beispiele für diese Praxis sind mehrmals zu sehen, beispielsweise in der Szene in der Osteria Italiana, in der Ali und Emmi an der Tür sitzen, in Emmis Haus, als Ali und Emmi am Esstisch sitzen, und am Ende des Films, als Emmi und Ali von Spiegeln eingerahmt werden. Das Rahmen erfolgt durch verschiedene Komponenten im Raum, wie Türrahmen, Fenster und Spiegel.
 
Meiner Meinung nach ist eine derartige Gestaltung mit der Idee verbunden, dass die Position des Raums immer politisch ist. Die Praxis des Rahmens in Filmen ist immer eng mit Machtverhältnissen verbunden. Im Kontext des Raums in diesem Film bleibt die Kontrolle über den Raum dem Raum selbst überlassen. Fassbinder scheint betonen zu wollen, dass die Figuren im Film immer die Kontrolle über die Politik des Raums haben, sowohl öffentlich als auch privat. Egal wie sehr sie es auch versuchen, der Raum wird immer ein politisches Schlachtfeld sein. Diese Hilflosigkeit hinterlässt bei AeSa einen bitteren Beigeschmack.
 
In einem Satz im selben Artikel beschreibt Fassbinder den Douglas Sirk-Film kurz: „Dies ist das Problem, das in Douglas Sirks Filmen aufgeworfen wird. Menschen, die nicht alleine, aber auch nicht zusammen leben können. Deshalb sind seine Filme so verzweifelt.” Ich denke, der gleiche Satz gilt auch für Fassbinders Werke, insbesondere für Angst essen Seele auf.
 

Autor

Afrian Purnama
© Afrian Purnama
Afrian Purnama wurde in Jakarta geboren. Er studierte an der Bina Nusantara Universität mit Schwerpunkt Informatik. Als Mitglied des Forum Lenteng ist er einer der Kuratoren und Forscher des Kultursinema-Programms, das jährlich auf dem Arkipel - Jakarta International Documentary & Experimental Film Festival stattfindet. Er ist auch einer der Macher des Spielfilms Golden Memories - Petite Histoire of Indonesian Cinema, der beim Dokumentarfilmfestival 2018 (FFD) in Yogyakarta gezeigt wurde. Afrian ist nicht nur freiberuflicher Autor, sondern seit 2015 auch Redakteur bei Jurnal Footage (Jurnalfootage.net). Seit 2013 ist er einer der Kuratoren des Arkipel - Jakarta International Documentary & Experimental Film Festival.

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