Kurzgeschichte
Tuning und Tempe

© canstockphoto5060474
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Die Frau aus Java ist bekannt für ihren Tempe. Der von ihr hergestellte Tempe ist schön fest und herzhaft, wird gepriesen und ist begehrt, zu 100 Prozent gemacht aus großen Sojabohnen

In der Zweizimmerwohnung in Campusnähe roch es nach Sojabohnen. Das stechende Aroma wurde von gut verschlossenen Fenstern im Raum gefangen gehalten. Im Winter war es den Bewohnern streng verboten, die Fenster zu öffnen. Falls die Wasserleitungen einfrieren, könnten sie platzen und sogar die Gasleitungen zum Platzen bringen. Die Fenster wären auch schwer zu schließen, wenn sie von Eis blockiert würden. Der Rauch der kochenden Sojabohnen in dem großen Topf verteilte sich im ganzen Raum. Auf Tabletts, die auf dem Esstisch in Reihen angeordnet waren, wurden die bereits gekochten Bohnen getrocknet. Der frisch fertig gewordene, noch warme Tempe, wurde in offenen Schüben gelagert. In der Stube lagen die Plastiktüten für den Tempe auf dem Computertisch, dem Bücherregal und anderem Mobiliar verstreut herum, stapelweise übereinander und nicht an ihrem Platz.

In einer Ecke dieses chaotischen Zimmers packte Mbak Tuning gerade Bücher in einen Karton. Danach nahm sie eine Reihe von verschieden großen Bilderrahmen von der Wand ab, in denen Fotos von Familienausflügen steckten, unter anderem aufgenommen vor dem Cinderella-Schloss im Disneyland Florida, am Tor zu den Universal Studios California und auf einem Schiff unter den Niagarafällen. „Ja, es wird wirklich Zeit für mich, nach Hause zurückzukehren,“ flüsterte Mbak Tun, während sie die Bilderrahmen in den Karton einsortierte, gut eingewickelt in Zeitungspapier. „Warum heimkehren? Wurdest du deportiert?“ scherzte ich an dem Nachmittag, als ich in ihre Wohnung gekommen war, um Tempe zu kaufen.

Die Frau aus Java ist bekannt für ihren Tempe. Der von ihr hergestellte Tempe ist schön fest und herzhaft, wird gepriesen und ist begehrt, zu 100 Prozent gemacht aus großen Sojabohnen. Der Tempe wird in Plastiktüten im Format 18 x 15 cm eingepackt. Der Preis beträgt 3 Dollar pro Packung.

Mbak Tun schüttelte den Kopf. “Mas Din ist doch schon fertig mit seiner Doktorarbeit.” Ich schaute erfreut, als ich das hörte. “Wow, gratuliere!” Aber dann hörte ich die Zurückhaltung in ihrer Stimme, den gezwungen Ton. „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich hierbleiben und das Tempegeschäft weiter ausbauen…“ „Deine Kunden wären sicher froh, wenn du nicht heimkehren würdest. Und ich könnte auch weiter deinen süßscharfen, gebratenen Tempe genießen. Lass es, du brauchst nicht mit zurückzugehen.“
„Ja, wenn Mas Din heimkehrt, muss ich doch mitgehen. Ich habe mein Visum nur bekommen, weil mein Mann ein Studentenvisum hatte. Aber ich bin wirklich traurig, weil ich mein Geschäft hier aufgeben muss, das ganz einträglich ist,“ flüsterte Mbak Tun, während sie sich über die feuchten Augen wischte. Mbak Tun beschreibt sich selbst als eine einfache Frau vom Lande, die ganz ohne Absicht mit Tempe Glück gehabt hat. Als Frau, scherzte sie, hat sie zum ersten Mal Geld für ihre schwere Arbeit verdient, indem sie im Ausland Tempe verkaufte, und das auch noch völlig ungeplant. „Solange wir in der Heimat waren, habe ich mich zum Leben auf das Beamtengehalt meines Mannes verlassen.

Jeden Tag war ich zu Hause, machte sauber, zog die Kinder groß und nahm ab und zu am arisan in meinem Viertel teil. Alles habe ich ohne Murren akzeptiert. Ich dachte, dass mein Leben eben so sein müsste. Aber in Wirklichkeit ist das Leben viel schöner, wenn man etwas zu tun hat und Geld verdient,“ erklärte sie. Vor sechs Jahren kam Mbak Tun mit ihrer Tochter nach Montreal. Sie folgte ihrem Mann, Mas Din, der bereits ein Jahr früher angereist war. Die ersten Monate waren langweilig für sie. Ihr Mann war bis spät in der Nacht auf dem Campus, und ihre Tochter kam erst um vier Uhr nachmittags aus der Schule.

Mbak Tun, die normalerweise Besuche machte oder ständig von ihren Verwandten oder Nachbarn besucht wurde, fühlte sich einsam. Mit niemandem konnte sie sich unterhalten, nichts gab es zu tun, niemand kam zu Besuch. „Meine Beschäftigung war, die Flyer vom Supermarkt zu studieren – immer auf der Suche nach preiswertem Essen. Verständlich, denn das Stipendium meines Mannes war sehr knapp bemessen. Einen großen Teil mussten wir für die Miete der Wohnung aufwenden,“ erinnerte sich Mbak Tun. Eines Tages im Winter, hatte Mbak Tun Appetit auf Tempe. Sie hatte es satt, jeden Tag Fleisch, Huhn, Nudeln, Fisch, Käse, Büchsennahrung und Ähnliches zu essen. Ein Freund erzählte ihr, dass man Tempe in der Kooperative der indonesischen Botschaft in Ottawa kaufen könne, 2,5 Stunden Autofahrt entfernt. Mit Glück konnte man Tempe auch in koreanisch-stämmig geführten Asia-Geschäften kaufen.

Mitten im dichtesten Schneetreiben ging Mbak Tun zu so einem Asia-Geschäft und sie hatte Glück, dass noch eine Packung Tempe übrig war. „Der Tempe roch nach Sesamkörnern, und war nicht nach meinem Geschmack,“ berichtete Mbak Tun, die sich daraufhin dazu gezwungen sah, im Internet über die Art und Weise der Herstellung von Tempe zu recherchieren und sich auch Pilzkulturen aus der Heimat zu bestellen. Als die Hefe ankam, machte Mbak Tun voller Herzklopfen ihren Tempe. Sie wusch, legte in Wasser ein, trocknete, verteilte die Hefe und lagerte alles, so wie sie es im Internet gelesen hatte. „Beim ersten Mal gelang mein Tempe nicht. Die Sojabohnen wurden sogar schlecht. Beim zweiten Mal gelang die Hälfte; die andere Hälfte wurde schlecht. Aber es konnte wenigsten etwas davon gebraten werden. Beim nächsten Mal gelang er wieder nicht. Bis ich letztendlich …Gott sei Dank, wann immer ich wollte Tempe essen konnte.“

Zunächst machte sie nur Tempe für den Bedarf der eigenen Familie. Dann brachte sie oseng tempe oder auch kering tempe auf Potluck-Veranstaltungen der indonesischen Gemeinde mit. Dort fragte man sie nach ihrer Telefonnummer und bestellte Tempe und verschiedene Zubereitungen von Tempe. Die Nachricht von Mbak Tuns Fertigkeiten in der Tempeherstellung ging von Mund zu Mund, und zwar unter Asiaten, Vegetariern und Leuten, die sich einfach nur gesünder ernähren wollten. Einige Monate später konnte sich Mbak Tun vor Bestellungen kaum retten. Ihre kleine Wohnung wurde zu einer Tempefabrik. Mas Din hatte die Aufgabe, säckeweise Sojabohnen einzukaufen. Neben der Arbeit an seiner Dissertation sah ich ihn einmal Sojabohnen mit den Händen durchkneten, damit die bereits gekochten Bohnen sich von ihrer Haut lösten, während Mbak Tun Plastiktüten mit einem Zahnstocher perforierte. Zusammen füllten sie dann die Sojabohnen in die Tüten. Der Ertrag dieser Arbeit unterstützte das Familieneinkommen, und sie konnte mit ihren Kindern und ihrem Ehemann auf Reisen gehen. „Außerdem“, sagte Mbak Tun, während sie mit ihren Augen blinzelte, „konnte ich ein Haus und einige Hektar Land in meinem Heimatdorf kaufen. Wenn ich noch ein Jahr hier bleiben könnte, würde ich noch mehr Geld als Betriebskapital ansparen. Aber was soll’s, ich muss halt in die Heimat zurück, was kann ich schon tun?“ Dies sagte sie mit den Händen auf die Hüften gestützt, mit Blick auf all die Sachen, die sie für den Rücktransport noch zusammenräumen musste.

„Ob es wohl jemanden gibt, der mein Geschäft übernehmen möchte?“ fragte sie plötzlich.

„Nachher rufe ich Freunde an“, sagte ich. „Am besten, du gibst vorher einen Kurs.“

“Das Anlernen ist einfach. Das Geschäft läuft schon. Feste Kunden und komplette Gerätschaften sind vorhanden. Wichtig ist der Wille und harte Arbeit“, ergänzte Mbak Tun.

Bevor ich die Wohnung verließ, lud mich Mbak Tun für Freitagabend nächste Woche ein.

„Ich veranstalte eine Feier, die gleichzeitig auch eine Abschiedsparty ist und auf der auch ein yasinan stattfinden wird. Nicht vergessen, ja…“

„Und wie steht es mit dem Kurs?“

„Je eher desto besser, damit ihr mir beim Packen und Ausmisten helfen könnt. Ok? Die Wohnung muss gereinigt sein, bevor wir nach Hause fahren.“

“Geht klar. Vor dem yasinan wird deine Wohnung schon aufgeräumt sein und nicht mehr nach Sojabohnen riechen, “ versprach ich.

„Meinen Stammkunden habe ich schon mitgeteilt, dass dies die letzte Woche ist, in der ich Tempe mache. Oh je, ich denke daran, was ich zu Hause machen werde. Ich kann doch nicht tatenlos rumsitzen…“ Mbak Tun kratzte sich nervös am Kopf.

Zwei Tage später kamen wir zu acht – sechs Frauen und zwei Männer – in Mbak Tuns Wohnung, um von ihr die Tempeherstellung zu lernen und ihr auch gleichzeitig beim Packen zu helfen. Unserer Meinung nach war die Tempeherstellung wirklich nicht schwierig. Und obwohl dem so war, wollte nur Asih das Geschäft übernehmen. Asih war die Einzige, die noch keine Kinder hatte. Die anderen, wenn auch nicht abgeneigt, hatten noch kleine Kinder, die von den Eltern beaufsichtigt und großgezogen werden mussten, da sie – anders als in Indonesien – keine Haushaltshilfen hatten. Mbak Tun versprach, Asih den Topf und die großen Tabletts zu vermachen. Sie gab Asih auch die Telefonnummern der Stammkunden. Wie versprochen, war die Wohnung von Mbak Tun zwei Tage vor der Heimkehr am Abend des yasinan frei von Sojabohnengeruch. Die Sachen, die nicht mitgenommen werden konnten, waren bereits weitergegeben oder weggeworfen worden. Alle anderen Sachen waren bereits akkurat in Koffern und Kartons verstaut. Für die Feier an diesem Abend waren sämtliche Essutensilien, wie Teller, Löffel, Gläser und Schüsseln aus Plastik. Die Feier wurde mit einer gemeinsamen Rezitation der Koransure Yasin begonnen. Danach sprach Mas Din ein paar Worte des Dankes und des Abschieds. Bevor er seine Rede beendete, nahm Mas Din Mbak Tun, die neben ihm saß, in den Arm:

„In Wirklichkeit hat meine Frau den Doktortitel verdient. Sie hat so viele Opfer gebracht, um mir zum Erfolg zu helfen. Sie war es, die den gesamten Haushalt geregelt hat, mir beim Bücher- und Kleidungskaufen geholfen hat, uns das Reisen ermöglichte und ein Haus in der Heimat mit ihrem Geld gekauft hat, das vom Tempeverkauf stammt. Vielen Dank, Tuning.“

Dann küsste Mas Din seine Frau auf die Stirn und beide luden die Gäste zu einem ganz besonderen Abendessen ein: scharfer Eintopf vom Ziegenkopf à la Doktor Din. Und natürlich auch verschiedene Arten von Tempezubereitungen: bacem, mendoan, oseng-oseng, sambal goreng tempe kering, sambal tumpang und tempe buncis bersantan nach Mbak Tunings Rezeptur.

„Ich habe schon tempe kering zum Mitnehmen für dich und all die Freunde vorbereitet, die beim Aufräumen der Wohnung geholfen haben. Ohne eure Hilfe würde die Wohnung heute Abend noch wie eine Tempefabrik aussehen…“

„Bist du jetzt entschlossen und hast dich mit der Heimkehr arrangiert?“ fragte ich.

„Nachdem ich es mir noch einmal hin und her überlegt habe, ist es richtig, dass ich zusammen mit meinem Mann nach Hause fahre. Was soll ich denn sonst machen? Ich würde hier ja auch allein wohnen, und das möchte ich nicht.“

Nach Mbak Tuns Rückkehr in die Heimat, konnte ich nicht mehr regelmäßig Tempe essen. Sie dagegen gab in einer E-Mail damit an, dass sie wann auch immer und wie auch immer zubereiteten Tempe essen konnte, ohne dafür einen Finger krumm machen zu müssen. „Aber mein Körper wird immer steifer, da ich nichts zu tun habe. Den ganzen Tag bin ich im Haus, gehe manchmal zum arisan, warte darauf, dass mein Mann von der Arbeit kommt. Ich denke zunehmend darüber nach, wieder in ein Business einzusteigen. Ich bin schon süchtig danach, Geld zu verdienen, “ schrieb sie per E-Mail. Aber einige Monate später beantwortete Mbak Tun meine E-Mails nicht mehr. Sie hatte einmal erzählt, dass sie in ein recht weit von ihrem Haus entferntes Internetcafé gehen muss, um E-Mails schreiben zu können.

Außerdem hoffte ich, dass sie wohl durch irgend eine neue Aktivität zu beschäftig war. Auch vergaß ich schon ihren Tempe, da der Tempe aus Asihs Herstellung genauso lecker war wie der von Mbak Tun. Bis zu dem Zeitpunkt, als Marni, die aus Yogya stammt, zum Sommerkurs nach Montreal kam und mich anrief. Sie sagte, dass sie Mitbringsel von Mbak Tun für mich hätte. Sie schickte mir eine Batiktischdecke, rempeyek belut und keripik tempe, die knusprig und herzhaft waren. In einem beigelegtem Brief schrieb Mbak Tun: „Jetzt ist mein Körper nicht mehr steif. Jeden Morgen inspiziere ich die Becken mit den Welsen und mit den Aalen. Später, wenn du auch in die Heimat zurückkommst, versprich mir, bei meinem Haus vorbeizuschauen. Ich werde dich mit mangut lele verwöhnen und dir knusprige Aale mitgeben. Aber ich habe auch den Tempe nicht einfach so vergessen, die Speise, die mir die Motivation zum eigenen Gelderwerb verschafft hat. Mit Hilfe von einigen Frauen von hier stelle ich Tempe-Chips in den verschiedensten Geschmacksrichtungen her. Eine davon ist Käse und schwarzer Pfeffer, die ich dir mitgeschickt habe. Ich bin mir sicher, dass die Leute dort Tempe-Chips und knusprigen Aal mögen. Wärst du bereit, meine Zwischenhändlerin zu werden?“ Ich war mir sicher, dass Mbak Tun das Angebot ernst gemeint hatte. Aber naja, ich werde ihr die Antwort einfach über Marni zukommen lassen, und dabei Räucherlachs und Bagel –zwei Speisen, die sie vermisst – mitschicken.

Glossar:
arisan regelmäßige Zusammenkünfte von indonesischen Frauen, bei denen vor allem soziale Kontakte gepflegt werden. Dabei wird aber auch in eine Art Lotterie eingezahlt, bei der jede auch genau einmal die Gewinnerin ist. Bei akutem Geldbedarf wird das Geld auch ohne Verlosung direkt zugesprochen – also in der Funktion wie eine Art Kredit

bacem (tempe) mit Palmzucker zubereiteter Tempe

keripik tempe Tempe-Chips

mangut lele Wels in Kokosnusssauce

mas javanische Anrede für einen Mann

mbak javanische Anrede für eine Frau

mendoan mit Panade versehener, dünn geschnittener Tempe, der so kurz frittiert wird, dass er noch nicht ganz durch ist.

oseng(-oseng) tempe in der Pfanne kurz gebratener Tempe, meist mit Bohnen kombiniert Potluck Veranstaltungen, zu denen jeder zumeist selbstgekochtes Essen mitbringt, das mit allen Anwesenden geteilt wird.

rempeyek belut knusprige Aale in Panade

sambal goreng tempe kering scharfer, durchgebratener Tempe, oft mit Erdnüssen und kleinen Trockenfischen kombiniert

sambal tumpang scharfer Tempe, bereits leicht fermentiert, oft mit Chili und Kokosnussmilch zubereitet

tempe (oft fälschlicherweise außerhalb Indonesiens als „tempeh“ geschrieben) Sojabohnen, die – anders als bei der Tofuherstellung- nicht zerkleinert, sondern durch einen Pilz in einer Art Camembertprozess zu einem ca. 2-3 cm hohen Quader fermentiert werden

tempe buncis bersantan Tempe mit Langbohnen in Kokosnusssauce Tun Kurzform von Tunings Namen

yasinan Gebet mit gemeinsamen Lesen der 36. Sure des Korans (Sure Yasin), die Trost spenden und Hoffnung auf Gottes Gnade bringen soll.
 

Ida Ahdiah, geboren l963, ist eine ehemalige Journalistin. Heute arbeitet sie als Romanautorin. Ihre Kurzgeschichten wurden in Dutzenden von überregionalen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Im Jahr 1995 erschien Wartawan Cilik (Der kleine Journalist), ein Kinderroman. Im Jahr 2010 wurde ihr Buch, Teman Empat Musim (Freund der Vier Jahreszeiten), für den Khatulistiwa Literaturpreis nominiert. Außerdem schreibt sie Sachbücher über Familie und Kindererziehung.
 


 

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