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Ausgesprochen ... integriert
Sind wir für Frauen in Führungspositionen bereit?

Die einzige Präsidentschaft-Kandidatin in Kenia 2013, Martha Karua, steht auf der Bühne einer Gebetsversammlung.
Martha Karua, die 2013 die einzige Präsidentschafts-Kandidatin in Kenia war, besuchte kurz vor den Wahlen eine Gebetsversammlung. | Foto (Detail): Thomas Mukoya © picture alliance / Reuters

Deutschland hat seit 2005 eine Kanzlerin. Aber angesichts der Tatsache, dass Ungleichheiten in der Gesellschaft weiterbestehen, stellt Autor Dominic Otiang’a die Frage: Ist Deutschland wirklich so bereit für ein weiteres weibliches Staatsoberhaupt, wie es auf den ersten Blick aussieht?

Von Dominic Otiang’a

Als ich einmal mit vier Freund*innen zusammen ein Interview mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel anschaute, fragte sich eine*r von uns, wie es sich wohl anfühlen mochte, die mächtigste Person in Europa zu sein. Jemand anders fand, sie sei machtlos, da alle sechzehn Ministerpräsident*innen an wichtigen Entscheidungsfindungsprozessen beteiligt werden müssten. Eine dritte Person jedoch wandte sich zu mir um und fragte: „Glaubst du, dass die Menschen in deiner Heimat so weit sind, eine Frau zur Präsidentin zu wählen?“ Es kann gut sein, dass wir auf denselben Bildschirm guckten und unterschiedliche Dinge sahen, wie die Bibel, die unsere subjektiven Ansichten und Werte reflektiert. 
 
Ich hatte keine sofortige Antwort parat – nicht, dass es keine gegeben hätte –, aber während mir viele verschiedene Dinge durch den Kopf gingen, überlegte ich auch, warum die Frage überhaupt gestellt wurde, während ich gleichzeitig im Geist die politische Landschaft meiner Heimat durchging – Frauen in der Politik, politische Systeme – und das alles mit Deutschland verglich. „Naja, ich kann das verstehen, das war vor ein paar Jahrzehnten hier genauso“, antwortete mein Freund auf mein Schweigen.

Solange Männer das Sagen haben

Auch einige Jahre später hoffte ich immer noch, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Es war diese Frage, die mich dazu nötigte, über Geschlechter und Berufe nachzudenken. Und als ich zur Stadtverwaltung in Stuttgart ging und in dem weitläufigen Großraumbüro nur Frauen erblickte, erinnerte ich mich daran, eine von ihnen zu fragen: „Und wo sind die Männer?“ Sie antwortete, dass der einzige Mann im Team gerade Urlaub habe. Sie fügte jedoch hinzu, dass die Situation während ihrer Ausbildung dieselbe gewesen war, mit nur wenigen oder gar keinen Männern. Zu meiner Überraschung war der Chef ein Mann. Ich konnte sein Jackett an der Tür hängen sehen, während seine Schuhe vor Aufregung oder Anspannung auf den Boden tappten.
 
Bei einem Besuch auf der Bank waren die Serviceangestellten ebenfalls alle weiblich. Ein Mann im Anzug saß hinter einer durchsichtigen Wand in einem anderen Raum und die Frau, die mich bediente, musste zwischen ihm und mir hin- und hergehen, bis mein Problem geklärt war. Wenige Tage später verfolgte ich im Fernsehen eine Diskussion darüber, warum manche Frauen für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt werden als Männer. Unterdessen ging mir nach wie vor die Frage im Kopf herum: „Ist deine Heimat für ein weibliches Staatsoberhaupt bereit?“

Raues politisches Gelände 

Jetzt, wo die Grünen in Deutschland eine Kanzlerkandidatin aufgestellt haben, besteht die Chance, dass Deutschland eine zweite Bundeskanzlerin haben wird. Ist das Land bereit dafür? Und hat das irgendetwas mit Bereitsein zu tun oder geht es vielmehr darum, welches Regierungssystem der Öffentlichkeit ermöglicht, sich mehr auf die Ideen einer Partei zu konzentrieren als auf die Politiker*innen? 
 
Als ich einem jungen CDU-Politiker im Fernsehen dabei zusehe, wie er redet, debattiert und sich präsentiert, und den Nachrichtensprecher sagen höre, er sei die Zukunft der konservativen CDU, finde ich es interessant, mir sein Auftreten und seine Karriere in einer konstitutionellen Präsidialrepublik vorzustellen. Er ist höflich, wortgewandt und ernsthaft, aber ich war dennoch überzeugt, dass er den gewissenhaften Frauen und Männern politisch unterlegen wäre, die ich in verschiedenen afrikanischen Ländern, Brasilien und den USA gesehen habe, in denen das politische Gelände rau und hart und das Auftreten wichtiger ist als die politische Partei. In diesen Ländern würde von ihm verlangt, mit Charme und Euphorie die Massen zu bewegen, indem er eine Botschaft der Hoffnung verbreitet oder leeres Gerede von sich gibt. In diesen Ländern, wo er, um erfolgreich sein zu können, Beleidigungen standhalten und unnötige Anschuldigungen wie „taugt nicht dazu, eine öffentliche Toilette zu belegen, geschweige denn ein öffentliches Amt“ abwehren müsste, ist Liebenswürdigkeit als Persönlichkeitszug beinahe garantiert ein Nachteil.  
 
Jetzt, da die Grünen beschlossen haben, Annalena Baerbock als Kandidatin für die Kanzlerschaft aufzustellen, demonstriert das parlamentarische Regierungssystem, wie es dazu beiträgt, die beschriebenen Schmierenkampagnen zu vermeiden. Die Parteien entscheiden sich für eine*n Kandidat*in und die Wahlberechtigten wählen eine Partei auf der Basis der Werte und Ziele, für die sie steht. Damit trifft die Frage, ob das Wahlvolk für einen Mann oder eine Frau bereit ist, ins Leere. Aus diesem Grund hätten Politiker*innen jedes Geschlechts oder aus jeder Gruppe – Mehrheit oder Minderheit – eine Chance, vorausgesetzt, sie werden von ihrer Partei aufgestellt. In konstitutionellen Präsidialrepubliken wie den USA, Brasilien und Kenia absolvieren die Kandidat*innen der Parteien langwierige Wahlkampftouren voller Intrigen, Beleidigungen und Euphorie. Die Männer und Frauen, die in solchen Systemen Erfolg haben, haben dafür wahrscheinlich eher ihrer Persönlichkeit als ihrer politischen Partei zu danken. 
 
Um schließlich die Frage zu beantworten: Die Menschen in meiner Heimat haben bereits weibliche Abgeordnete gewählt – auf dem Land ebenso wie in den großen Städten. Ja, auch sie sind bereit für eine Präsidentin! Ein parlamentarisches Regierungssystem würde das jedoch erleichtern, da es den politischen Parteien die Macht gibt, eine Frau als Kandidatin aufzustellen. 
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Dominic Otiang’a, Aya Jaff, Maximilian Buddenbohm und Margarita Tsomou. Dominic Otiang’a schreibt über sein Leben in Deutschland: Was fällt ihm auf, was ist fremd, wo ergaben sich interessante Einsichten?

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