Bestseller-Übersetzerin
Frau Achlama küsst am besten

Ruth Achlama
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Von Amos Oz bis David Grossman - die Frau, die dafür sorgt, dass wir israelische Bestseller-Autoren auch auf Deutsch lesen können, wuchs in Mannheim auf und versteht sich als Feministin. Wer ist Ruth Achlama?

Ruth Achlama hat ein anstrengendes Jahr hinter sich. Sie hat gearbeitet, „zehn Monate lang, von morgens bis abends, ohne Urlaub“, sagt sie, eine schmächtige Frau mit grauen, kurzen Haaren, in ihrem Wohnzimmer in Tel Aviv, umringt von Büchern. Zwei Regalreihen füllen allein die Werke, die sie übersetzt hat. 72 ist sie mittlerweile, andere sind da längst in Rente. Achlama hingegen hat in den vergangenen 40 Wochen mehr als 1000 Seiten aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt, Satz für Satz, Wort für Wort. Das Ergebnis: „David Ben Gurion - Ein Staat um jeden Preis“ von Tom Segev liegt nun in gekürzter 800-Seiten-Fassung auf Deutsch vor. „Ich habe immer davon geträumt, Segev zu übersetzen“, sagt Achlama. Für sie ist Segev ein Glücksfall - ein Historiker, der auch Geschichtenerzähler ist. Aber vielleicht ist sie auch selbst einer: Israels Nationaldichter Chajim Nachman Bialik hat einmal, vor mehr als hundert Jahren, geschrieben, eine Übersetzung sei wie das Küssen einer Braut durch einen Schleier. Wenn das so ist, dann küsst Frau Achlama am besten. In ihrer Karriere hat sie mehr als 70 Bücher aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen.

Die Übersetzerin hat sie alle schon gehabt, die großen Romanciers und Autoren aus Israel, die in Deutschland seit den frühen Neunzigerjahren regelmäßig auf den Bestsellerlisten landen. Dichtung liegt ihr nicht, sagt sie. Sachbücher kann sie, Belletristik liebt sie.

Allein von Amos Oz sind es bis jetzt elf Bücher, darunter auch der Jahrhundertroman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“. Außerdem: zehn von Meir Schalev, sieben von A. B. Jehoschua, sechs von Yoram Kaniuk und je eines von S. Jizhar, Nir Baram, Jehuda Amichai, Amos Kenan. Wer einen Oz, Schalev oder Kaniuk im Regal hat, hat auch eine Achlama - oftmals ohne es zu wissen. Dazu kommen noch Essaybände wie „Diesen Krieg kann keiner gewinnen“ von David Grossman, Sachbücher und „Kleinzeug“, wie Achlama es nennt, Übersetzungen von Zeitungsbeiträgen oder Reden.

Von Mannheim nach Tel Aviv

Dass sie zur wichtigsten deutschsprachigen Übersetzerin israelischer Literatur avancieren würde, war zunächst nicht ihr Lebensplan: Achlama, 1945 in Quedlinburg geboren, wuchs im Mannheimer Stadtteil Lindenhof auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der nicht mehr als eine Trümmerwüste.

In den Sechzigern studierte sie Jura in Heidelberg. Dort lernte sie auch ihren Mann Abraham kennen, einen Chemiker aus Israel. Dann ging alles schnell: Während ihres Referendariats arbeitete sie unter anderem ein halbes Jahr bei einem Rechtsanwalt in Tel Aviv, 1973 folgte ein Judaistikstudium in Ohio. Ein Jahr später dann, mit Ende 20: Hochzeit, Übertritt zum Judentum, aus Renate wurde Ruth, und die Auswanderung nach Israel.

Heute bezeichnet sie sich als eine jüdische Israelin mit deutschen Wurzeln: „Das man nur eine Identität hat, ist doch Unsinn.“ Damals, Anfang der Siebziger, musste sie Hebräisch erst noch richtig lernen. Achlama arbeitete zunächst als Korrekturleserin bei der 1936 gegründeten deutschsprachigen Zeitung „Israel-Nachrichten“. Die lasen vor allem Jeckes, wie die deutschsprachigen Juden genannt werden. Anschließend studierte sie Bibliothekswissenschaft an der Hebräischen Universität in Jerusalem, arbeitete ein paar Jahre in dem Beruf - erst ab 1979 gab sie sich ganz ihrer Passion hin.

„Achlama hat hebräische Literatur nach Deutschland gebracht“

„Ich gehe beim Übersetzen intuitiv vor“, sagt Achlama. „Ich nehme den Text, lese die erste Seite und dann weiß ich schon, ob ich das Buch ins Deutsche übersetzen will.“ Für Amos Oz ist Ruth Achlama „nicht nur Übersetzerin, sondern führende Mittlerin der neuen hebräischen Literatur auf ihrem Weg in die deutsche Sprache, eine Reise, um deren Schwierigkeiten ich weiß und deren schmerzliche Seiten ich kenne“. Das schrieb Oz bereits 1993 in der Tageszeitung „Jedioth Achronot“ über seine langjährige deutsche Stimme, die für die Übersetzungen seiner Werke 1995 den Paul-Celan-Preis erhielt, eine von vielen Auszeichnungen.

Und Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München, der Oz gerade als ersten Poetik-Gastprofessor für hebräische Literatur an die Isar gebracht hat, sagt: „Achlama hat die hebräische Literatur nach Deutschland gebracht.“

Es gab Zeiten, da war Achlama zwei Jahre im Voraus ausgebucht. Nun aber gebe es keine Backlist mehr, die großen israelischen Autoren sind alle übersetzt. Auch dank Achlama, die immer noch rund 100 Seiten im Monat übersetzt, das sind drei Bücher im Jahr. Lange waren ihre Autoren immer Männer - was sie bedauert.

„Ich bin so feministisch, hatte aber nie eine Frau“, sagt sie. Das hat sich erst jetzt geändert, weil sie „Löwen wecken“ und „Eine Nacht" von dem israelischen Belletristik-Shootingstar Ayelet Gundar-Goshen übersetzt hat. Selbst schreiben will sie aber nicht. „Nie und nimmer“, sagt sie. „Ich fand schon Deutschaufsätze in der Schule eine entsetzliche Qual.“