Texte für die Zukunft
Nathan der Weise (Gotthold Ephraim Lessing)

Nathan der Weise
© Resling

Sollte ein 1779 veröffentlichtes Werk im Rahmen einer Schriftenreihe mit dem Titel „Texte für die Zukunft“ erscheinen? Ist Lessings Bühnenwerk in der Auseinandersetzung mit den globalen Problemen des 21. Jahrhunderts überhaupt noch relevant? Die Antwort ist ein ganz entschiedenes Ja. Die Aktualität dieses vor 250 Jahren erschienenen Klassikers ist erstaunlich. Nathan der Weise ist heute in Israel kaum bekannt, obwohl Lessings deutsches Judentum einst einen ähnlichen Stellenwert besaß wie die Schriften von Moses Mendelssohn.

Als Erneuerer des Theaters gebührt Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) ein Ehrenplatz in der deutschen Literatur. Er hat das deutsche Theater von seinen starren Strukturen befreit und dem Zuschauer mit der Abschaffung der Ständeklausel einen Einblick in die bürgerliche Lebenswelt eröffnet. Lessing ist auch der erste deutsche Dramatiker, dessen Werk bis heute ununterbrochen auf deutschen Bühnen gespielt wird; nur in der Zeit des Nationalismus wurde Nathan der Weise mit Spielverbot belegt. Der Text des Dramas fordert nachdrücklich und unmissverständlich zu Toleranz auf. Der Jude in der Hauptrolle (erstmals in der deutschen Literatur) ist durch sein menschlich vorbildliches Verhalten positiv besetzt. Neben Vernunft und rationalem Denken zelebriert Nathan der Weise die Freiheit der Gedanken und viele andere humanistische Werte der Aufklärung.
 
In der Figur des Nathan setzt Lessing seinem Freund und Kollegen Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal. Im häufig zitierten, berühmten Schlüsseltext der Ringparabel formuliert Lessing pointiert seinen Toleranzgedanken: Keine Religion darf sich über eine andere erheben. Die eine, einzig wahre Religion gibt es nicht. Für Lessing wird der Mensch als bloßer Mensch geboren. Sein religiöser Glaube ist ein kulturelles Phänomen. Diese Prämisse bestimmt die dramatische Gliederung des Stückes, dessen Charaktere in abstruse, komische, nichtige wie zufällige familiäre (und religiöse) Verstrickungen verwickelt sind. Gegen Ende des Dramas muss der erschöpfte Zuschauer dem cleveren Verfasser einfach zustimmen. Wie Lessing wird auch er zur Einsicht gelangen, dass nur das Menschsein wichtig ist. Lessing ist ein Kind der Aufklärung, ein unermüdlicher Prediger von Toleranz, aber kein naiver Optimist. Er weiß, dass Bewusstsein allein noch keine Veränderungen bringt. Das Erkennen des vernunftwidrigem Wunderglaubens, mit dem man groß geworden ist, bedeutet noch lange nicht, dass man sich auch von ihm befreit hat.

Das Buch ist mit Unterstützung des Goethe Instituts erschienen.
 
„Texte für die Zukunft“ – aus der Reihe „Deutsche Gegenwartsphilosophie“