Spanien
Milagros del Corral

Milagros del Corral
Foto: Fundación Biblioteca de Literatura Universal (BLU)

Was bedeutet für Sie der Begriff Flüchtling?

Ein Mensch, der sich auf der Flucht vor einem Krieg, politischer Verfolgung oder einer Naturkatastrophe in ein anderes Land bewegt.

Ist Flucht vor Armut für Sie weniger legitim als Flucht vor Krieg oder politischer Unterdrückung?

Die Flucht vor Armut ist sehr verständlich, aber man kann sie meiner Meinung nach nicht mit der Flucht vor einem Krieg oder vor politischer Unterdrückung gleichsetzen. Wer vor der Armut flieht, passt für meine Begriffe eher in die Kategorie des Migranten, man sollte das nicht mit dem Status eines Flüchtlings verwechseln.

Und Flucht vor ökologischen Problemen?

Das hängt von der Beschaffenheit des Problems ab. Ich denke, eine solche Flucht ist genauso legitim, wenn es sich etwa um eine Naturkatastrophe von erheblichem Ausmaß handelt.

Wann hört man auf, Flüchtling zu sein?

Wenn der Anlass der Flucht nicht mehr gegeben ist.

Gibt es für Sie ein Recht auf Asyl?

Das ist ein ethisches Gebot der Menschlichkeit.

Wenn ja: ist es bedingungslos, oder kann man es verwirken?

Man kann es verwirken, wenn der Geflüchtete die Gesetze des aufnehmenden Landes verletzt oder kriminelle Handlungen dort verübt.

Glauben Sie, dass eine Gesellschaft begrenzt oder unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann?

Unbegrenzt, wenn die Asylsuchenden die eben beschriebenen Voraussetzungen erfüllen.

Gibt es in Ihrem Land privilegierte Flüchtlinge, d.h. solche, die Ihr Land eher aufzunehmen bereit ist als andere? Wenn ja, warum?

Menschen aus Lateinamerika sind am ehesten willkommen, das hängt mit unserer gemeinsamen Vergangenheit zusammen und mit dem nachgewiesenen Umstand, dass sie sich schnell an die Verhältnisse in meinem Land anpassen.

Werden Flüchtlinge in Ihrem Land aus Ihrer Sicht gerecht behandelt?

In einem angemessenen Rahmen gerecht, auch wenn die massenhaften Ankünfte der letzten Zeit ziemliche Schwierigkeiten bereiten.

Wären für Sie Einschnitte im Sozialsystem Ihres Landes akzeptabel, wenn dies helfen würde, mehr Flüchtlinge aufzunehmen?

Ja, sobald es sich um Menschen handelt, denen ihr Status als Flüchtlinge in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen zuerkannt wurde.

Was sind für Sie Voraussetzungen für erfolgreiche Integration? Gibt es Mindestanforderungen

- an die Ankommenden?

Ich würde eine Haltung der Dankbarkeit auf Seiten der Flüchtlinge erwarten sowie ein Bemühen, sich in die aufnahmebereite Gesellschaft zu integrieren, was die Sprache und die Sitten betrifft, und in keiner Weise zu versuchen, ihre eigenen Gewohnheiten durchzusetzen.

- an die Aufnehmenden?

Die Bürger des aufnehmenden Landes sollten den Flüchtlingen gegenüber solidarische Unterstützung aufbringen und ihre Integration befördern, auch indem sie ihren Kindern eindringlich vermitteln, wie wichtig die Solidarität mit Menschen ist, die so viel erleiden mussten, dabei aber Menschen sind wie wir. Wir alle können eines Tages zu Flüchtlingen werden, das hat uns die Geschichte bewiesen.

Kennen Sie persönlich Flüchtlinge?

Ja.

Unterstützen Sie aktiv Flüchtlinge?

Ich beschäftige seit 2010 eine Frau, die aus Ecuador geflüchtet ist, ich bin auch die Patentante ihrer Tochter, die hier zur Welt gekommen ist. Ihre gesamte Familie ist hier bestens integriert.

Wie wird sich die Flüchtlingssituation in Ihrem Land entwickeln?

a) in den nächsten zwei Jahren?
b) in den nächsten zwei Jahrzehnten?

Mit Sicherheit wird die Zahl der Flüchtlinge ansteigen, berücksichtigt man die kriegerischen Situationen in einer wachsenden Zahl von Ländern auf mehreren Kontinenten und innerhalb verschiedener Kulturen, deren Einwohner mit Recht fliehen und Zuflucht suchen werden. Wir leben in einem Zeitalter der Migration und müssen damit umgehen. Die Länder, in denen es ruhig ist, müssen denjenigen, die sich vollkommen gerechtfertigt aufmachen, um ihr Leben zu retten, Asyl gewähren. Aus genau diesem Grund bin ich der Meinung, dass es die UNO sein sollte, die diese Migrationsprozesse managt. Mit Blick auf das Altern der Bevölkerung in unserem alten Europa kommt die geregelte Ankunft von Flüchtlingen und Migranten, die in der Regel jung sind und Kinder haben, dem Kontinent gelegen. Allerdings wird er allein nicht in der Lage sein, diese zugespitzte Situation befriedigend zu bewältigen, die, wenn sie eskaliert, seine Stabilität gefährden könnte.

Können Sie sich eine Welt ohne Flüchtlinge vorstellen?

Nein. Unsere Welt bringt gewaltige Ungleichgewichte hervor, große Verheerungen der natürlichen Umwelt und eine Vielzahl von Kriegen, die dazu führen werden, dass Menschen in großer Zahl darauf setzen werden, sich in friedliche Länder zu begeben, um ihr Leben zu retten. Wir leben in einer globalisierten Welt, und dieses gewaltige Problem muss auf globaler Ebene administriert werden, um zu verhindern, dass die potentiellen Flüchtlinge es sind, die sich ihren Fluchtort aussuchen, denn das würde zu einem Desaster mit unabsehbaren Folgen führen.

Wenn ja: was braucht es dazu?

Zieht man den historischen Moment in Betracht, in dem wir leben, erscheint mir gegenwärtig eine Welt ohne Flüchtlinge wie eine Utopie.

Haben Sie oder Ihre Familie in der Vergangenheit Erfahrung mit Flucht gemacht?

Nein.

Glauben Sie, dass Sie in Ihrem Leben jemals zum Flüchtling werden?

- Wenn ja: warum?

Ich hoffe nicht, aber man kann es nicht ausschließen.

- Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Ich verfolge also mit großer Wachsamkeit  die Entwicklung dieses massenhaften Phänomens und die Lösungen, die diskutiert werden.

- In welches Land würden Sie fliehen?

Wenn ich durch unselige Umstände eines Tages in so eine Situation geraten würde und mir dann aussuchen könnte, in welches Land ich gehe, würde ich vielleicht Kolumbien wählen, weil ich dort viele Freunde habe.

Wie viel Heimat brauchen Sie?*

Die Frage meiner Wurzeln beschäftigt mich nicht sonderlich. Das mag eine Angelegenheit für Bäume sein, ich meine aber, wenn die Natur mich mit Gliedmaßen ausgestattet hat, die mir Beweglichkeit verleihen, dann wird darin schon ein Sinn liegen. Ich empfinde mich als Bürger dieser Welt. Ich habe in mehreren Ländern gelebt, durch meine Arbeit bei der UNESCO habe ich viele weitere bereist und halte mich für fähig, mich in jedem Land mit warmem Klima und ausreichend Tageslicht anzupassen. Ich würde immer versuchen, mich mit all meinen Möglichkeiten zu integrieren.

*Diese Frage ist Max Frischs Fragebogen zu „Heimat“ entnommen.