Ofra Rechter
Graphic Art zu Channa Maron

Channa Maron
© Barbara Yelin

Die Einzigartigkeit dieses Projektes liegt bei seinem Feingefühl für die künstlerischen, menschlichen und politischen Aspekte im Leben meiner Mutter, über die es ihren Kampf für reflektierendes, autonomes, vom eigenständigen Denken geprägtes Handeln, ihr Bestreben, dem Realen im Fiktiven nachzugehen und ihrem Engagement für das Ende der israelischen Besatzung zeigt - dies wiederum nicht als Politikerin und nie dogmatisch, sondern als Antriebskraft und Kraft des Lebens. 

Das, was meine Mutter mit deutscher Kultur und ihrer deutschen Herkunft verbindet, hat sich den konventionellen, in Israel üblichen Kategorien schon immer entzogen. Meine Mutter ist keine Jekkette. Sie ist keine Holocaust-Überlebende. Auch hat sie ihre Kindheit - sie hat keine jüdische Erziehung erhalten - nicht in den klaren Strukturen der jüdischen Gemeinde in Berlin verbracht. In Israel ist sie nie mit Israelis deutscher Herkunft assoziiert worden, obwohl sie sich in deutscher Lyrik, Literatur und Dramen genauso ausgekannt hat wie mit englischen, französischen und hebräischen literarischen Werken. 

Mit diesem Projekt wird nun erstmals der Versuch unternommen, das Leben und Wirken meiner Mutter authentisch aus zwei Perspektiven der bildenden Kunst zu beleuchten. Dabei stellen neue Studien über ihr Leben und Wirken den Rahmen beider Projekte, die die kulturelle Bedeutung meiner Mutter frei von schablonenhaften Rastern, Stereotypen oder Vorurteilen präsentieren. 

Doch liegt die eigentliche Bedeutung dieses Projektes meiner Meinung nach bei seinem Potential, ein erneutes Interesse für den einzigartigen Beitrag meiner Mutter zur Welt des Theaters zu wecken und das Augenmerk auf ihr inspirierendes kulturelles, öffentliches und politisches Engagement zu lenken – ob es der ihr eigene, stark sprachbezogene Zugang zum Schauspiel ist, womit die gesprochene Sprache und das geschriebene Wort gemeint ist, ob es ihr Verständnis von Drama als elementare Quelle, als ein sich ständig erneuerndes Reservoir für die Arbeit des Schauspielers ist oder ihre Einstellung zum Lernen, zu Exzellenz, zu Wissen, Humor, politischer Integrität und Zivilcourage, die sich unter anderem in ihrer bemerkenswerten Unabhängigkeit ausdrückt. 

First Lady des israelischen Theaters

In Israel ist meine Mutter als First Lady des israelischen Theaters bekannt. Dabei ist das Interesse für ihre Welt als Mädchen im Berlin vor 1933, einer Zeit des Experimentierens, gering. Ihre bedeutenden Errungenschaften im Theater, Rundfunk und Film der Weimarer Republik sind bisher kaum gewürdigt worden. Vielleicht mit Ausnahme einer kurzen Medienaufmerksamkeit als eines der Opfer beim Münchener Terroranschlag im Februar 1970, ist meine Mutter und ihr Beitrag zu den Bühnenkünsten in Deutschland ganz und gar aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden. Dieses Projekt bringt erstmals zwei Perspektiven – die israelische und die deutsche – miteinander in Berührung, um die vielen fehlenden Steinchen in das Mosaik ihrer öffentlichen Persona einzufügen. 

Die Einzigartigkeit dieses Projektes liegt bei seinem Feingefühl für die künstlerischen, menschlichen und politischen Aspekte im Leben meiner Mutter, über die es ihren Kampf für reflektierendes, autonomes, vom eigenständigen Denken geprägtes Handeln, ihr Bestreben, dem Realen im Fiktiven nachzugehen und ihrem Engagement für das Ende der israelischen Besatzung zeigt - dies wiederum nicht als Politikerin und nie dogmatisch, sondern als Antriebskraft und Kraft des Lebens. 

Yelins graphischer Roman

Barbara Yelins Arbeit erinnert an die Übergangsphase, in der sich meine Mutter vom Radio, wo sie sich allein mit Hilfe ihrer Stimme ausgedrückt hat, hin zum sprechenden Kino bewegt. Auch in Israel hat meine Mutter, deren Rundfunkkarriere bereits in den späten Zwanziger Jahren in Berlin begann, an vielen Rundfunkdramen mitgewirkt und im Radio Gedichte schauspielerisch verlesen. Studien zum Übergang vom Stumm- zum Tonfilm betonen oftmals den Einfluß des Theaters. Ausschnitt v. Graphic Art zu Channa Maron_Barbara Yellin_c_Goethe-InstitutAusschnitt v. Graphic Art zu Channa Maron_Barbara Yellin_c_Goethe-InstitutObwohl meine Mutter Theaterschauspielerin gewesen ist, hat sie ihre Stimme von Anbeginn, weit über den theatralischen Rahmen von Rundfunkdramen hinaus, als künstlerisches Instrument eingesetzt. Hannele Meierzaks Stimme ist die erste Stimme gewesen, die je in einem Fritz Lang Film ( „M“, 1931) zu hören war. Yelins Arbeit bewegt sich auf zwei Ebenen entlang von drei Achsen. Sie präsentiert die von ihr interviewten Menschen (die Erzähler der unterschiedlichen Kapitel) als fiktive Charaktere, denen sie auf einer zweiten Ebene fiktive Charaktere, die der Biographie meiner Mutter entstammen, hinzufügt, die die Geschichte vorantreiben. Die Persona meiner Mutter gehört zu den Erzählern, wobei sie gleichzeitig die Protagonistin der Geschichte ist. Trotz der Verwendung von Texten und obwohl Yelins graphischer Roman vom Ansatz her der Funktion von Stimmen nachgeht, ist das Projekt stumm. Ich halte das künstlerisch für extrem wirkungsmächtig, nicht zuletzt weil es den Betrachter davon befreit, sich den Frohlockungen und Grenzen des Narrativs zu beugen, aber auch weil Yelins Projekt auf diese Weise Neugierde weckt, Fragen aufwirft und dauerhaftes Interesse schafft. 

David Polonsky und das Portrait einer Schauspielpersona

Polonskys Arbeit plaziert sich zwischen zwei Genres, zwischen Poster und Wandgemälde. Beide sind für die Geschichte von Kunst und Graphikdesigns sowie für die Geschichte von Theater und Film von großer Signifikanz, was insbesondere für die spezifischen historischen Perioden gilt, die die Biographie meiner Mutter ausmachen. So gesehen, sind die künstlerischen Mittel, die Polonsky in seiner Arbeit entwickelt und die Akzente, die er setzt, nicht weniger expressiv als die Yelins. Polonsky, und da liegen die wesentlichen Unterschiede, versucht mit einer Reihe von zehn chronologisch angeordneten Rollen, die meine Mutter spielte, das Portrait einer Schauspielpersona zu zeichnen, wobei jedes Portrait mit Hilfe von klaren, für seine historische Epoche eindeutigen Symbolen in seinen Kontext gesetzt wird. Anders als Yelin vermeidet Polonsky es, Zeit als einenden Referenzpunkt zu nutzen, der Narrativ und Handlung verknüpft. Vielmehr bemüht er sich um einen reflektiven Zusammenhalt, der sich wie Porträtierungen und Personifizierungen einer Rolle selbst hinterfragt. Ausgerechnet diese grobe, nicht greifbare Verwendung von konturhaften Portraits mit klaren Grenzen verleiht der Persona meiner Mutter ihre Tiefe. Aus einem eher literarischen Blickwinkel und dem Versuch, die individuelle Persönlichkeit meiner Mutter durch die Annäherung an ihre theatralische Gestalt zu berühren, unterstreicht Polonsky das Engagement dieser Schauspielerin für das Leben Anderer. Sein Ansatz ermöglicht ihm den reflektiven, künstlerisch erweiterten Dialog mit meiner Mutter. 

Ich hoffe, dass dieses Projekt dazu beiträgt, bei Studenten der darstellenden Künste das Interesse an Dramen zu stärken und bei den jugendlichen Besuchern mehr Verständnis dafür weckt, wie Lyrik zum Puls des Lebens eines Menschen wie meiner Mutter wird und sie in der Auseinandersetzung mit ihrem Glauben an Sophokles Worte inspiriert: „Der Wunder gibt es viele, der Wunder größtes jedoch ist der Mensch.... der Götter höchste dann, die unermüdliche Erde.“ Angesichts der Schönheit dieser Welt, der Macht von Liebe und Weisheit, angesichts von der Schlichtheit des Lebens und guter Vorsätze innerhalb der Grenzen des Machbaren sollten wir nach Kräften nach neuen Wegen suchen, um Mißstände, Gewalt, Brutalität und Unwissen zu bekämpfen.

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