Interview mit Roee Canaan
Die Kunst, mein Herr, die Kunst!

Roee Canaan
© privat

Das Goethe-Institut in Jerusalem zeigt eine Ausstellung mit Illustrationen zu den im Efroach-Verlag auf Hebräisch erschienenen Büchern von E.T.A Hoffmann. Die Illustrationen zu Roee Canaans Neu-Übersetzungen der Bücher setzen eine bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Illustrationstradition fort – ein Beweis für den visuellen Reichtum von Hoffmanns Werk. In den Zeichnungen zu „Klein Zaches genannt Zinnober“ von Natalia Kulikova, „Meister Floh“ von Miryam Vilner und „Die Elixiere des Teufels“ von Nekoda Singer finden sich neben traditionellen auch Einflüsse aus neuen Kunstrichtungen wie Theater und Comics.

Von Basmat Hazan

Erzählen Sie mir doch ein wenig über die Person E.T.A. Hoffmann. Wer war er? Was hat Sie an seinem Schreiben so fasziniert?

Vielleicht lässt sich diese Frage am besten mit einem Zitat aus Isaiah Berlins wunderbarer Vorlesungsreihe „Wurzeln der Romantik“ beantworten, hier aus der englischen Ausgabe:
They were a remarkably unworldly body of men. They were poor, they were timid, they were bookish, they were very awkward in society. They were easily snubbed, they had to serve as tutors to great men, they were constantly full of insult and opression. It is clear that they were confined and contracted in their universe.“

Diese Beschreibung trifft auch auf E.T.A. Hoffmann zu. Hoffmann war aber auch ein Mann mit viel Humor und reicher Fantasie, dessen Werk sehr lebendig und von einem „chronischen Dualismus“ geprägt war, wie er in einem seiner berühmten Zitate feststellte. Das Faszinierende an seinen ambivalenten Charakteren ist, dass sie durch ihre innere Zerrissenheit nicht an Aussagekraft verlieren. „Die Lebensansichten des Katers Murr“ – mein Lieblingsbuch – handelt von einem äußerst gebildeten Kater, einem Dichter, Philosophen, der jedoch in allen Dingen, die wir mit Katzen assoziieren, immer eine Katze bleibt. Er lässt sich gern verwöhnen, ist behäbig und eitel. Im Gegensatz zu Hoffmanns Werken, in denen das Zusammentreffen von mythisch-legendenhafter und nüchtern-urbaner Realität schrecklich lustig ist, fehlt es nämlich der romantischen Literatur seiner Zeit meist an Humor.

Was zeichnet Sie als Übersetzer aus?

Die Langsamkeit. Ich arbeite schrecklich langsam.

Die in der Ausstellung gezeigten Illustrationen sind eigens für Ihre Neu-Übersetzungen angefertigt worden, allgemein sind Illustrationen in der Erwachsenenliteratur aber eher selten. Was halten Sie davon?

Ich liebe Illustrationen. Es hat mich schon immer gestört, dass Illustrationen der Kinderliteratur vorbehalten waren. Und wenn es doch einmal Illustrationen in der Erwachsenenliteratur gab, waren diese meist abstrakt. Die Herausgabe meiner Übersetzungen hat es mir erlaubt, diesen Missstand ein wenig zu korrigieren. Und weil es sich um E.T.A. Hoffmann handelt, konnte ich mich auf Höheres berufen. Seine Werke sind von einer Illustrationstradition charakterisiert, die bis ins 19. Jahrhundert, ja bis zu Hoffmann als Illustrator zurückreicht. Als Hobbykünstler zeichnete er beispielsweise die Titelbilder von „Meister Floh“. Im 20. Jahrhundert entstanden vor allem in Deutschland, Russland und neuerdings auch in Israel faszinierende Illustrationen zu seinen Büchern. Abgesehen von meinem Projekt ist in diesem Jahr „Der Nussknacker“ mit Illustrationen von Sergej Gavrilov beim Kadima-Verlag erschienen.

Die Fülle der illustrierten Werke haben ganz eindeutig mit Hoffmanns blühender Fantasie zu tun. Ich stelle es mir faszinierend vor, eine Linse zu illustrieren, die Gedanken sichtbar macht. Oder eine Hand, die aus dem Boden wächst. Oder einen Zaubermeister, der sein Buch mit dem Zauberstab berührt und Dämonen und Geister erscheinen lässt (übrigens eine Metapher für Illustrationen). Wer E.T.A. Hoffmann illustriert findet nicht nur eine reiche Auswahl an Motiven, sondern genießt auch eine seltene kreative Freiheit, die es beispielsweise Miryam Vilner ermöglichte, in ihre Illustrationen Punk-Motive einfließen zu lassen, und Nekoda Singer bei seinen Illustrationen zu „Die Elixiere des Teufels“ auf Marionetten zurückgreifen ließ.

Dabei geht die Verknüpfung von Illustration und Hoffmann’scher Erzählung keineswegs nur in eine Richtung. Hoffmann selbst thematisiert die Kunst und die Person des Künstlers. Seine Protagonisten sind oft junge Männer, junge Künstler – Musiker, Maler oder Dichter –, die ihren Weg suchen, sich verlieben, um ihre Geliebte kämpfen. „Die Lebensgeschichte des Katers Murr“ enthält sogar eine theoretische (leider etwas langweilige) Debatte über Kunst, in der u.a. die Frage aufkommt, ob man Heilige und deren Wundertaten eher als Menschen aus Fleisch und Blut oder als Sagengestalten darstellen sollte. Mir scheint, dass sich dieser metapoetische Diskurs in den Illustrationen seiner Werke fortsetzt.

Wie hat sich die Arbeit mit den Illustrator*innen auf Ihren Übersetzungsprozess ausgewirkt?

Ich habe den Illustrator*innen freie Hand gelassen. Sie konnten illustrieren, wie sie es für richtig hielten. Im Grunde habe ich Ihnen die kreative Freiheit gegeben, die mir als Übersetzer versagt ist. Alle hatten die Werke, die sie illustriert haben, zuvor in der hebräischen oder russischen Übersetzung gelesen und dann selbst entschieden, welche Szenen sie wie illustrieren wollen. Die einzige Einschränkung meinerseits lag bei der Anzahl der Illustrationen – wir haben uns meist auf eine Illustration pro Kapitel geeinigt.

Weshalb haben Sie sich für die Veröffentlichung im Selbstverlag entschieden?

Ich übersetze sehr gerne. Allerdings hasse ich es, mich und meine Arbeit zu vermarkten. Ich habe Angst vor Kritik. Deshalb habe ich schon früh entschieden, dass dieses Projekt kein wirtschaftliches Unterfangen, sondern etwas sein soll, das ich für mich selbst tue, quasi unter dem Radar. Während der Arbeit an der ersten Übersetzung von „Klein Zaches genannt Zinnober“ beschloss ich, das fertige Werk an Freunde, Bekannte und jeden, der es haben möchte, zu verteilen. So mache ich es bis heute und stelle damit meine Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit sicher. Ich konnte die Bücher, die mir gefallen, übersetzen und illustrieren lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob sich ein kommerzieller Verlag darauf eingelassen hätte. Neben finanziellen Implikationen hat das natürlich zur Folge, dass die Bücher nur eine begrenzte Leserschaft haben. Aber das habe ich ganz bewusst in Kauf genommen und hoffe einfach, dass die Bücher im Laufe der Zeit bei den Menschen landen, die sie erreichen sollen. Von Ausgabe zu Ausgabe ist die Qualität der Bücher besser geworden. In diesem Zusammenhang möchte ich Dr. Miri Cohen-Ahdut erwähnen, die ab dem zweiten Band sämtliche Bücher lektoriert hat. Man könnte sagen, dass sie dem Projekt seinen Laiencharakter genommen hat.
 
Als Übersetzer der Werke von E.T.A. Hoffmann übersetzen Sie nicht nur Worte und Literatur, sondern vermitteln eine ganze Kultur…

Ich denke, jeder Übersetzer ist mit dieser Verantwortung konfrontiert. In meinem Fall kam hinzu, dass die Welt, die ich vermitteln will, zeitlich und räumlich recht weit von unserer Realität entfernt ist. Deshalb benötige ich für die kulturelle Mediation zahlreiche Vermittlungsmechanismen. Einer dieser Mechanismen sind Fußnoten – ein Thema, das mich bei der Übersetzung der „Lebensgeschichten des Katers Murr“ stark beschäftigt hat. Ich habe sogar einen kurzen Artikel darüber für die Zeitschrift "Nekudatayim" geschrieben. Die Fußnoten bilden die Diskrepanzen zwischen unserer und E.T.A. Hoffmanns Welt ab, die im Grunde so etwas wie eine Totenmaske sind, die diese Diskrepanzen als Positiv darstellt. Manchmal übertreibe ich es mit den Anmerkungen, weil ich während des Übersetzens sehr viel recherchiere. Dann finde ich Dinge so faszinierend, dass ich sie unbedingt mit den Leser*innen teilen möchte. Dabei vergesse ich mitunter, dass zu lange Exkurse das Leseerlebnis beeinträchtigen und die Geschichten ein wenig entzaubern.
 
Wie interagiert die zeitgenössische israelische Kultur mit der Realität über die E.T.A. Hoffmann schreibt? Welche Relevanz hat E.T.A. Hoffmann für israelische Leser*innen im Jahr 2021?

E.T.A. Hoffmann ist immer relevant. Nehmen wir zum Beispiel seine Beschreibung eines verwirrten jungen Mannes, der vor Scham umkommt, als ihn das Mädchen, in das er sich verliebt hat, auslacht. So etwas bleibt relevant. Oder Parodien auf tumbe Prinzen und wilde Studenten, für die sich unschwer zeitgenössische Parallelen finden lassen, sofern man das möchte. Mit seiner fatalen Kritik an Wissenschaft und Aufklärung bin ich nicht einverstanden, aber ich verstehe, woher sie kommt. Solche Stimmen hören wir selbst zweihundert Jahre später noch. Andere Parodien beziehen sich explizit auf die Hoffmann’sche Gegenwart. In seinem täglichen Schreibpensum kommt er immer wieder auf archetypische Grundlagen zurück, weshalb etwas Grundlegendes in seiner Literatur immer relevant bleiben wird. „Meister Floh“ spielt zum Beispiel in Frankfurt, mehr oder weniger in der Zeit, in der die Geschichte geschrieben wurde, also zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sämtliche Figuren der Geschichte sind irgendwann in einen abscheulichen Vorfall involviert gewesen, der sich in einer mythischen Vergangenheit an einem mythischen Ort ereignet hat. Es handelt sich um das schreckliche Schicksal einer jungen Frau, die entführt und ermordet wurde. Während ich an dem Buch arbeitete, wurde gerade eine neue Staffel von „Twin Peaks“ ausgestrahlt. Ich war schockiert, als ich die Ähnlichkeiten zwischen beiden Werken sah. Nicht nur in Bezug auf die Handlung, sondern auch hinsichtlich der Erzähltechnik, ein und dieselbe Geschichte aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Der Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren, um sie zu ändern, nur um festzustellen, dass sie sich in der Gegenwart wiederholt.
 

Roee Canaan wurde 1970 in Jerusalem geboren, wo er mit einer Miriam und zwei Katzen lebt. Er lernte Deutsch zunächst an der Hebräischen Universität und vertiefte seine Sprachkenntnisse später am Goethe-Institut in Jerusalem.

 

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