Buchmessen
Viel Druck im Kessel

Ein Schild mit der Aufschrift „Kein Eingang. No entrance“ steht in der Glashalle des Messegeländes: Die Leipziger Buchmesse wurde 2022 zum dritten Mal in Folge wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Ein Schild mit der Aufschrift „Kein Eingang. No entrance“ steht in der Glashalle des Messegeländes: Die Leipziger Buchmesse wurde 2022 zum dritten Mal in Folge wegen der Corona-Pandemie abgesagt. | Foto (Detail): © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Sebastian Willnow

Die Leipziger Buchmesse - nach der Messe in Frankfurt der wichtigste jährliche Treffpunkt der Branche – wurde 2022 pandemiebedingt kurzfristig abgesagt. Die daraufhin entbrannte Diskussion ist erst der Beginn einer Grundsatzdebatte über die Zukunft der Buchmessen.
 

Es gibt Debatten, bei denen man schnell merkt, dass die Energie, mit der sie geführt werden, gar nicht aus dem Gegenstand der Diskussion selbst herrührt, sondern dass in ihnen etwas lang zuvor Aufgestautes zum Ausbruch kommt. Eine solche Debatte ist um die Leipziger Buchmesse entstanden – oder besser gesagt: um die Absage der Messe und die Schlüsse, die von verschiedener Seite daraus gezogen werden.

Die Ausgangslage: Noch im November 2021 hatten ausreichend viele Verlage ihre Teilnahme bekundet, im Januar lag die Zusage-Quote bei 75 Prozent. Doch nachdem Ende Januar 2022 die sächsische Landesregierung die neuen Corona-Regeln verkündet hatte, die Messe daraufhin ein Hygienekonzept entwickelte und sich am 1. Februar damit an die Aussteller wandte, hagelte es Absagen. Keine zwei Wochen später kam die Bekanntgabe, dass die Messe ausfallen würde. Leider führe, so die offizielle Begründung der Messeleitung, „die volatile pandemische Lage zu personellen Engpässen bei sehr vielen Aussteller*innen“.

„Wir sind fassungslos“

Was darauf folgte, ging weit über den Anlass hinaus. Verleger*innen, Journalist*innen, Autor*innen, Lektor*innen meldeten sich wild durcheinander zu Wort, die Branchenblätter Börsenblatt und Buchreport fragten reihum die Meinungen ab, in den Feuilletons der Republik wurde der Streit fortgesetzt. Denn viele mutmaßten, es seien vor allem die großen Konzernverlage gewesen, die quasi über Nacht ihre Zusage zurückgezogen hätten. Bei manchen entstand so der Eindruck, die Big Player könnten leichthin auf die Messe verzichten und sogar noch Kosten sparen. Sie könnten stattdessen mühelos mit ihren finanziellen Ressourcen die mediale Klaviatur von Instagram über Podcasts und bis hin zu Newsletter-Penetrierung der avisierten Leserschaft bespielen. Andere wollten zeigen, dass für sie die Messe unverzichtbar ist: Kaum war das Aus verkündet, gab das Netzwerk der Literaturhäuser bekannt, dass auch 2022 der Preis der Literaturhäuser in Leipzig verliehen werde und unterstrich die Bedeutung der Messe: „Bücher brauchen Foren. Die Leipziger Buchmesse repräsentiert die Vielfalt, die wir uns wünschen.“

In der von vielen Autor*innen unterzeichneten Petition „Macht die Buchmesse auf! Wir wollen lesen!“ wurden die Branchenriesen direkt attackiert: „Wir sind wütend, traurig, fassungslos. Die Leipziger Buchmesse wurde von den großen westdeutschen Verlagen zur Absage gezwungen. […] Ist Literatur nichts wert? Sind wir nichts wert?“

In dieselbe Kerbe schlug kurz darauf auch die Initiative #VerlageGegenRechts, in der rund 80 unabhängige Verlage vereint sind, darunter Wagenbach, Chr. Links, Büchner, Schöffling. In einem Offenen Brief richteten die Unterzeichner Kritik an die Verlage, die abgesagt hatten, und äußerten zumindest Befremden angesichts einer Grundsatzdiskussion, die unter anderem durch den Vertriebsgeschäftsführer der Oettinger-Gruppe Thilo Schmid angestoßenen worden war. Dieser hatte die Zeitgemäßheit der Messe infrage gestellt und den Wunsch nach mehr digitalen Formaten oder „hybriden Veranstaltungen“ geäußert. Das Bündnis kehrte die Grundsatzfrage um und provozierte: „Sind die Konzernverlage – oder besser, ihre Marketingabteilungen – nicht vielleicht entbehrlich für dieses Fest kultureller Begegnung, für diese Feier von Diversität und Offenheit, für Diskussion und Austausch über Bücher und Bildung, Weltentdeckung und Horizonterweiterung?“

So entstanden in wenigen Tagen diverse Fronten und Allianzen. Die einen sehen, vereinfacht gesagt, das Kulturgut Buch immer auch als Produkt, das verkauft werden muss, und zwar mit zeitgemäßen Angeboten gerade an jüngere, weniger buchaffine Zielgruppen. Die andern befürchten die endgültige Überhandnahme des Ökonomischen, sprechen von „Amazonisierung“ der Branche. Und die Autorin Julia Franck sieht, wie viele andere, eine „Absage nicht nur an die Literatur, sondern auch an den Osten“. Die Buchmesse Leipzig sei ein Ort der Verständigung und über alle Grenzen hinweg ein „Leuchtturm der Aufklärung“.

Von den Großen an den Rand gedrängt

Hieran zeigt sich, dass die Diskussion um den erneuten Ausfall der Messe ein grundsätzliches Problem der Branche spiegelt: Seit vielen Jahren schon hat die Konzentration sowohl auf Seiten der Produzenten (Random House, Bonnier, Holtzbrinck) als auch im Handel (vor allem Amazon, aber, weit dahinter, auch Hugendubel, Thalia) bei den kleineren Playern das Gefühl ausgelöst, von der schieren Marktmacht der Giganten an den Rand und, im schlimmsten Fall, ins wirtschaftliche Aus gedrängt zu werden. Diese Ohnmachtsgefühle, seien sie berechtigt oder nicht, führen schnell zu einem Grundmisstrauen und einer großen Bereitschaft, die Macht der Konzerne für noch größer zu halten, als sie gewiss ohnehin ist. Dementsprechend ließen die vermeintlich Mächtigen den Vorwurf nicht auf sich sitzen.

Thomas Rathnow, CEO der Verlagsgruppe Penguin Random House, begründete die Messeabsage vor allem mit der Verantwortung gegenüber den Mitarbeiter*innen angesichts der pandemischen Lage. Darüber hinaus bekannte er sich zu „Leipzig“: „Wir sind überzeugt von der Zukunft der Leipziger Buchmesse als Fest des Lesens, als Feier des Buches, als Ort der Begegnung […]. Wir werden daher auch weiterhin als Aussteller und Mitveranstalter ein aktiver und engagierter Partner der Leipziger Buchmesse sein.“ Ähnlich äußerten sich Vertreter der Verlagsgruppen Holtzbrinck und Bonnier. Alle wiesen darauf hin, dass auch für sie ist der Werbeeffekt einer Messe sehr groß sei. Schließlich werde das Buch ein paar Tage lang ins Schaufenster einer breiten Öffentlichkeit gestellt, kein Verlag könne diese geballte Info- und Werbeschau mit noch so ausgebuffter und mit Geld bezahlter Promotion in den sozialen und anderen Medien kompensieren.

Die Diskussion wird weitergehen

Braucht es überhaupt eine Buchmesse, oder reichen auch digitale und hybride Formate? Obwohl die Hauptveranstaltung abgesagt wurde, organisierte die Leipziger Messe 2021 eine Sonderausgabe des Literaturfests „Leipzig liest“. Der Großteil der Lesungen wurde online gestreamt. Braucht es überhaupt eine Buchmesse, oder reichen auch digitale und hybride Formate? Obwohl die Hauptveranstaltung abgesagt wurde, organisierte die Leipziger Messe 2021 eine Sonderausgabe des Literaturfests „Leipzig liest“. Der Großteil der Lesungen wurde online gestreamt. | Foto (Detail): © Leipziger Messe GmbH / Tom Schulze Nach dem Sturm im Branchenwasserglas ist erstmal ein wenig Ruhe eingekehrt. In Leipzig wird es trotz der Messe-Absage viele Lesungen geben, Preise werden verliehen, zahlreiche Autor*innen werden erwartet. „Es finden wahnsinnig viele Veranstaltungen statt, die geplant waren und nicht abgesagt wurden“, sagt der Leiter des Literaturhauses Leipzig Thorsten Ahrend, der allein mehr als 30 Autor*innen präsentieren wird. Und einige unabhängige Verlage bieten für die Tage vom 18. bis zum 20. März eine Pop-Up-Buchmesse an, darunter auch größere, mittelständische Häuser wie Hanser, Klett-Cotta, C.H. Beck, Suhrkamp oder Aufbau.

Doch die Diskussion über die Zukunft der Buchmessen in Leipzig und auch Frankfurt wird weitergehen. Primat des Ökonomischen versus Primat der Kultur? Welche Werte vertritt die Messe – etwa: Wo endet die Toleranz gegen rechtsextreme Verlage? Das war die zentrale Frage, die die Frankfurter Buchmesse 2021 umtrieb. Welche Zielgruppen spricht sie an, wie viel Präsenz braucht sie, wie viele Online-Formate? Die so heftig aufgeflammte Diskussion hat gezeigt: Da ist viel Druck im Kessel, und es wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren auch ohne Corona einiges an Veränderungen geben. Immerhin ist gewiss: Die nächste Ausgabe der Leipziger Buchmesse ist für 23. bis 26. März 2023 geplant.