Internationale Jugendbegegnungen
Weitreichende Lerneffekte

Doppelte Lerneffekte
Doppelte Lerneffekte | Foto (Ausschnitt): © BillionPhotos.com - Fotolia.com

Jugendbegegnungen sind seit langem Bestandteil des schulischen und außerschulischen Bildungsangebotes. Aber haben sie eine nachhaltige Bedeutung für die Entwicklung junger Menschen?

Internationale Jugendbegegnungen können für die Teilnehmenden eine prägende Erfahrung sein – unabhängig davon, ob sie in einem Workcamp mit anderen Jugendlichen aus aller Welt Bäume pflanzen, einen Schüleraustausch machen oder sich in kulturellen oder politischen Projekten engagieren. Welche Lernerfahrungen Jugendliche machen, hänge allerdings von ihrem Alter und von dem Programm ab, meint Alexander Thomas. Der emeritierte Professor für Psychologie hat die Langzeitwirkungen internationaler Jugendbegegnungen untersucht. Ein entscheidender Aspekt sei dabei, ob die Jugendlichen im Ausland als Gruppe in Jugendherbergen oder einzeln bei Gastfamilien untergebracht seien. „In Familien haben sie viel mehr interkulturelle Lernmöglichkeiten“, sagt er. „Und das ist ein wesentliches Element.“

Alexander Thomas nennt ein Beispiel: Ein deutscher Jugendlicher aus einem liberalen Elternhaus ist zu einem Schüleraustausch in Frankreich. Die Eltern der französischen Gastfamilie erlebt er unter Umständen als autoritärer als seine eigenen, was ihn irritiert. Nun sei es wichtig, dass er mit den Programmbegleitern darüber reden könne, sagt Alexander Thomas: „Sie würden ihm erklären, dass die französische Familienkultur von anderen Regeln und Werten geprägt sei“. Ein doppelter Lerneffekt stelle sich ein: Der Schüler lerne etwas über die Wertesysteme einer anderen Kultur und reflektiere zugleich seine eigene Familienkultur.

Jugendbegegnungen und Persönlichkeitsentwicklung

Für die Studie, deren Ergebnisse unter dem Titel Internationale Jugendarbeit wirkt – Forschungsergebnisse im Überblick (2013) veröffentlicht wurden, haben Alexander Thomas und sein Team Erwachsene befragt, die zehn Jahre zuvor an internationalen Jugendbegegnungen teilgenommen hatten. Zum Zeitpunkt der meist dreiwöchigen Programme waren die Teilnehmenden im Durchschnitt 17 Jahre alt. Das Fazit der Studie: Sogar kurze Begegnungen haben einen großen Effekt – vor allem auf die Persönlichkeitsentwicklung. Sie steigern das Selbstbewusstsein, die Fremdsprachenkenntnisse sowie die soziale und interkulturelle Kompetenz. Die Befragten gaben an, danach unbekannte Situationen besser bewältigen zu können und offener gegenüber fremden Menschen zu sein.

Bei jungen Menschen zwischen 13 und 18 Jahren sei allerdings ein anderer Aspekt noch wichtiger, erläutert Alexander Thomas: Die Jugendlichen erleben während der Begegnung, dass sie selbstständig handeln und etwas bewirken können. Auf das bereits erwähnte Beispiel bezogen, bedeute dies: Der Schüler in Frankreich erfährt nicht nur, dass die Familienstrukturen dort anders sind, sondern ergründet selbst die Ursachen dafür. „Solche Erfahrungen sind sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung“, so Thomas. „Der Raum der interkulturellen Begegnungen ist sehr gut dafür geeignet, da es kein Gewohnheitsraum ist.“ Genau das mache den großen Lerneffekt der informellen Bildungsangebote aus.

Einfluss auf die berufliche Entwicklung

Doch internationale Jugendbegegnungen fördern nicht nur die Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch die Bildungs- und Berufsperspektiven der Teilnehmenden. In einer Zwischenevaluierung des EU-Programms Jugend in Aktion gaben im Jahr 2010 rund 66 Prozent der Befragten an, dass sie durch das Programm eine klarere Vorstellung von ihrem weiteren Bildungsweg gewonnen haben. Rund 65 Prozent glauben, dass sie ihre beruflichen Chancen verbessert haben. Auch auf das gesellschaftliche Engagement hatte das Programm einen positiven Einfluss: Rund 63 Prozent bestätigten, sich danach stärker gesellschaftlich und politisch engagiert zu haben, etwa 39 Prozent hatten ein neues Ehrenamt angenommen.

Internationale Jugendbegegnungen in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es viele Möglichkeiten, an internationalen Jugendbegegnungen teilzunehmen. Eine große Auswahl offerieren die Internetangebote von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. und der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd). Klassische Möglichkeiten der Jugendbegegnung sind Sprachkurse, wie sie auch das Goethe-Institut anbietet: als dreiwöchige Jugendkurse in verschiedenen Städten in Deutschland und Österreich. In erster Linie geht es den Teilnehmenden darum, Deutsch zu lernen – doch nicht nur. „Sie sollen natürlich auch Kultur und Menschen erleben, interkulturelle Erfahrungen sammeln und Spaß haben“, sagt Sybille Trapp, Referentin für Jugendprogramme des Goethe-Instituts. Sehr wichtig seien den meisten Jugendlichen in dieser Zeit die Freundschaften, die sie mit Gleichaltrigen aus der ganzen Welt schließen, so Trapp. Auch in den dreiwöchigen Jugendkursen der PASCH-Initiative verbessern junge Stipendiaten aus aller Welt nicht nur ihre Deutschkenntnisse: Die heute 20-jährige Alica Parganlija aus Bosnien und Herzegowina beispielsweise hat beim PASCH-Jugendkurs im Jahr 2009 Jugendliche aus der Türkei, Indonesien, den USA, Mexico, der Mongolei und anderen Ländern kennengelernt. Mit den meisten davon sei sie heute noch in Kontakt, sagt sie. „Wir sind uns durch das gemeinsame Ziel, Deutsch zu sprechen, näher gekommen. So habe ich nicht nur Deutschland besser kennengelernt, sondern auch viel über andere Länder erfahren.“

Internationale Jugendarbeit in Deutschland, das hat Alexander Thomas über die Jahre beobachtet, ist „sehr professionalisiert“. „Die Teamer und Organisatoren sind hier sehr gut ausgebildet“, sagt er. Das bedeutet auch, dass sie nicht den gesamten Alltag der Teilnehmenden durchstrukturieren. Denn um eine nachhaltige Wirkung bei den Jugendlichen zu erreichen, müsse das Programm nicht nur viel Kontakt zu den Bewohnern des Gastlandes bieten, sondern auch frei verfügbare Zeit. Erst solche Freiräume eröffnen den Jugendlichen die Möglichkeit, wertvolle eigene Erfahrungen zu machen.
 

Literatur

IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. und Forscher-Praktiker-Dialog Internationale Jugendarbeit (Hg.), Internationale Jugendarbeit wirkt – Forschungsergebnisse im Überblick, Bonn, 2013