Wie Kunst die Geschlechtergleichstellung in von Konflikt geprägten Gebieten stärken kann

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Goethe-Institut Irak / Hella Mewis

Viele Menschen, die unter totalitären Regimen aufgewachsen sind, brauchen keine langen Erklärungen um zu verstehen, wie Kunst als Propagandawerkzeug, um die Massen in intra- und interstaatlichen Konflikten zu manipulieren und mobilisieren, benutzt werden kann. Sehr viel mächtiger ist Kunst jedoch dann, wenn sie eingesetzt wird um derlei Manipulationen entgegenzuwirken. Kulturelle Produktionen aus Film, Theater, Musik, Literatur und Dichtung sind machtvolle Instrumente, um Gemeinschaften, die nach Jahrzehnten der Ausbeutung kraftlos und geschwächt sind, aufzubauen und zu verwandeln. Kunst kann neue Räume für Ideen, Produktivität und Kreativität schaffen und ist essenziell bei der Bewusstseinsbildung und Emanzipation von jahrhundertealten Gesellschaftsnormen, wie sie unter anderem die Geschlechter und ihren Rollen beherrschen.

Von Houzan Mahmoud

Wenngleich Kunst an sich keine magische Formel zur Konfliktbewältigung und Friedensstiftung ist, dient sie doch als bedeutende Plattform um Dialog und Verstehen zu fördern, Realitäten neuzugestalten und Bewusstsein für gesellschaftliche Problematiken zu schaffen. Auch kann sie zur Harmonisierung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern beitragen, indem sie den Status Quo infragestellt. Der kurdisch-deutsche Künstler Sawat Ghalib beleuchtet in seinem von Aktionsbühne Irak geförderten Kurzfilm Ein Kuss in Bagdad die Freiheit im Kontext einer traditionalistischen Gesellschaft. Indem er Themen wie Liebe, Leben und persönliche Freiheiten aufgreift, erzählt er die Geschichte zweier junger Menschen, denen es einfach nicht gelingen will, einen Moment der Freiheit miteinander zu genießen.

Es ist relevanter denn je, die Aufmerksamkeit auf Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft zu lenken und dazu Fragen zu ermutigen. Besonders sogenannte „Ehrenmorde“ sind ein tödliches Phänomen im Irak. Der Weg nach Mossul, ein Spielfilm des in Bagdad ansässigen Filmemachers Yahya Allaq, unterstützt von Aktionsbühne Irak, handelt von einem Jungen, der plant seine eigene Mutter zu töten, da Gerüchte behaupten, sie habe einen ISIS-Kämpfer geheiratet. Yahya glaubt, dass Film die Macht habe, Leben zu verändern. Mit seiner Arbeit möchte er die Wahrnehmungen von Ehre und Schande herausfordern.

Als Kunstschaffende sind Selbst-Erkenntnis und der Sinn für Verantwortung, zugeschriebene Rollen zu hinterfragen, wichtige Eigenschaften um antiquierten und menschenfeindlichen Gesellschaftsnormen Widerstand zu leisten und ein neues gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen. Door of the East, Haram, eine Dokumentation von Huda Al Kadhimi aus Bagdad, erzählt die Geschichte von drei arabischen Frauen, darunter eine Irakerin, die von ihren Familien weglaufen und in Frankreich auf Freiheit und ein besseres Leben hoffen. Doch nicht einmal dort können sie sich ihre Träume erfüllen und stehen stattdessen vor neuen Hürden. Angesichts der Komplexität von Erfahrungen geschlechtsspezifischer Gewalt bleiben Frauen oft in einem Kreislauf der Misshandlungen gefangen, aus dem auch der Ortswechsel nicht immer ein Ausweg ist. Hier wird vor dem Hintergrund einer weltweiten Unterdrückung der Frau zur Diskussion über deren Ursachen aufgerufen.

Überall im Irak sind die Rollen von Frauen in der Gesellschaft starr festgelegt und in solchem Maße normalisiert, dass sie zum unentrinnbaren Schicksal werden. Daher ist es von großer Bedeutung, wenn Kunstschaffende, insbesondere Männer, das Patriarchat und Maskulinität infrage stellen und stereotypische Gendernormen und -beziehungen aufzubrechen versuchen.
 
Muhamed Sherwani, ein Filmemacher aus Erbil hat seinen von Aktionsbühne Irak unterstützten Kurzfilm der schwierigen Lage jener Frauen, die ihre Ehemänner im Kampf gegen sogenannten Islamischen Staat (ISIS) verloren haben, gewidmet. Seine Arbeit mit dem Titel Ich werde auf dich warten dreht sich um das Leben einer jungen Witwe, der es schwerfällt Kindererziehung und Berufsleben zu balancieren. Sie wartet noch immer auf die Rückkehr ihres Mannes, den sie nicht so einfach loslassen kann.
 
Sherko Abbas und Hemin Hamids Projekt zu den Transformationen der Zitadelle von Erbil und des Amna Suraka Gefängnisses in Sulaymaniyah hinterfragt gleichsam jene Unterfangen, die bestimmten Interessen dienen und andere ignorieren. Dabei ist Sherkos Projekt besonders relevant um das Verschwinden weiblicher Insassen in der Saddam-Ära zu beleuchten. Er hat für seine Dokumentation Papierfigurenaussage Zeugenaussagen zusammengetragen und Erinnerungen dokumentiert und zeigt sich kritisch gegenüber jenen Parteien, die hinter der Restauration und Transformation dieses Gefängnisses in ein Museum stehen. Er glaubt, dass der Umbau die Geschichte dieser Frauen auslöschen werde und möglicherweise, so spekuliert er, spielten dabei Motive wie Ehre und Schande eine Rolle. Hemin hat mit 800 Familien zusammengearbeitet, die aus der Zitadelle aufgrund des Umbaus umgesiedelt wurden. Dies sei kein fairer Prozess gewesen, denn die Erinnerungen der ehemaligen BewohnerInnen seien unberücksichtigt geblieben.

Auch Ameen Muqdad beschäftigt sich kritisch mit dem Verschwinden von Frauen – nämlich aus dem öffentlichen Raum. Ursprünglich aus Bagdad stammend leitet Ameen nun Musikworkshops in Mossul. Als der sogenannte Islamische Staat (ISIS) Mossul angriff, konnte er nicht aus der Stadt entkommen und sein einziger Trost war die Musik. Nachdem die Stadt befreit worden war, begann er gemischte Musikworkshops für Frauen und Männer zu veranstalten. Sein Ziel ist es, ein öffentliches Konzert abzuhalten und eine deutliche Botschaft zu senden: Die Geschlechter-Apartheid, die der sogenannte Islamische Staat (ISIS) der Stadt aufgezwungen und hinterlassen hat, muss bekämpft werden.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Geschlechtergleichstellung und der Status der Frau den Kunstschaffenden und Aktivistinnen und Aktivisten der Region wichtiger denn je sind. Die langwierige Abwesenheit von Frauen in der Öffentlichkeit und Kunst ist deutlich zu spüren. Künstler und Künstlerinnen arbeiten voller Eifer an einer positiven Transformation gesellschaftlicher Wahrnehmungen, indem sie Frauen stärker in ihre Arbeit einbinden oder ihre Kunst Frauen widmen.

In der Folgezeit von Konflikten geht es nicht immer nur um menschliche Verluste und die Anzahl der Todesopfer, sondern auch um neue Probleme und entstandene Gewaltmuster. Davon sind vor allem Frauen betroffen, die oft die ersten Opfer von Konflikten sind. Die Unterstützung jener Kunst, die Gleichberechtigung fördert, Stereotypen, Sexismus und überholte Normen bekämpft und Hindernisse für harmonische Geschlechterbeziehung niederreißt, ist daher wesentlich.

Diese Unterstützung wird unter anderem vom Projekt Aktionsbühne Irak gewährleistet. Der Irak muss sich von Jahrzehnten der Gewalt, Diktatur und des Terrors erholen. Dabei können Kunst und Kultur helfen. Sie bringen die Menschen in einem kreativen, sinnstiftenden Rahmen zusammen und können auf lange Sicht zu einem positiven gesellschaftsweiten Wandel hin zu Frieden, Gleichberechtigung und Verständnis beitragen.

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