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Das verdrängte koloniale Erbe aus der Sicht junger Menschen
Ungeschriebene Geschichte

La storia non scritta
V.l.n.r.: Zakaria Mohamed Ali, Gianluca Gatta, Juan Pablo Echeverri | © Goethe-Institut Italien | Foto: Lucia Pappalardo

Ziel des Projekts „Transcultural Attentiveness“ ist die Entwicklung einer generationenübergreifenden Bildungsgemeinschaft zum Thema koloniales Erbe. Die vom Goethe-Institut ins Leben gerufene Initiative umfasst eine Reihe von Podcasts und redaktionellen Beiträgen sowie die Ausstellung „Das Unarchivierbare“. Im Rahmen letzterer wird für weiterführende Schulen zudem der Workshop „Die ungeschriebene Geschichte“ angeboten.

Von Giovanni Giusti

„Wir wollten ein so sensibles Thema wie den Kolonialismus nicht als Teil der italienischen Geschichte, sondern als Teil der europäischen Geschichte präsentieren“, erklärt Ferdinand Krings, Beauftragter der Bildungskooperation des Goethe-Instituts. „Dieses Kapitel der Geschichte ist noch nicht abgeschlossen, sondern schreibt sich bis heute fort, wenn es etwa um Immigration oder Rassismus geht.“

DIE VERGANGENHEIT ANERKENNEN

Gianluca Gatta ist Anthropologe und Sekretär des Archivio delle Memorie Migranti. Der Verein sammelt und präsentiert Zeugnisse von Migration und hat die bisher vier Workshops für drei verschiedene Schulen organisiert. Es ist Gianluca, der versucht, uns die Idee hinter dem Projekt „Die ungeschriebene Geschichte“ näherzubringen, die mit der wissenschaftlichen Beratung von Anna Chiara Cimoli realisiert wurden.

„Es gibt ein sogenanntes ‚verdrängtes koloniales Erbe‘. Das bedeutet, es gibt Auswirkungen der Kolonialzeit auf die Gegenwart, die nicht als solche erkannt werden. Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen bemühen sich daher, diese Zusammenhänge zu ergründen, die in einer Vergangenheit wurzeln, die nicht Teil des öffentlichen Gedächtnisses ist. Diese Vergangenheit anzuerkennen, könnte für die Bewältigung der Probleme der Gegenwart, wie Rassismus und Ungleichheit, überaus hilfreich sein. Die Idee des Workshops besteht darin, junge Menschen mit den Lücken in ihren Lehrbüchern zu konfrontieren, und zwar mit den Lücken in Bezug auf die von uns präsentierten ‚Fragmente‘. Das sind etwa Karteikarten mit ähnlichen Inhalten wie die Ausstellung „Das Unarchivierbare“, Fotos, Postkarten, Zeitungsartikel, aber auch Erinnerungen von italienischen Soldaten in Libyen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und Objekte aus Kolonialmuseen. Ziel eines Projekts dieser Art ist nicht, bereits vorstrukturiertes Wissen zu vermitteln, um den Schüler*innen beizubringen, was Kolonialismus ist. Vielmehr geht es darum, die jungen Menschen von heute und alle, die sich die Ausstellung ansehen, zu provozieren, eine Reaktion in ihnen auszulösen, um sie dadurch auf die Lücken in unserem Gedächtnis aufmerksam zu machen – ausgehend von den gezeigten Materialien und deren starker Kritik an den vielen in unserer Kultur verankerten Klischees.“

Diese Fragmente werden auch in dem Video aufgegriffen, das die Schüler*innen im Rahmen des Workshops erstellt haben. „Die Fragmente ergeben jeweils für sich genommen keinen Sinn. Ohne Einbettung in einen größeren, geschichtlichen Kontext, ist es schwierig, sie zu verstehen. Wir erfassen die Gewalt, die Komplexität, aber erhalten keine Erklärung. Wir bitten die Schüler*innen, sich mit diesem Fehlen einer sinngebenden Einbettung auseinanderzusetzen. Daraufhin sind sie frustriert, weil sie in ihren Lehrbüchern keine oder nur unzureichende Informationen finden. Also beginnen sie, ihr bis dahin gesammeltes Wissen, das sie – oft passiv – durch das öffentliche Gedächtnis erworben haben, zu dekonstruieren. Das soll dazu führen, dass sie am Ende nicht nach Hause gehen mit einem Gefühl der Art ‚jetzt weiß ich, was Kolonialismus ist‘, sondern vielmehr mit dem Gefühl ‚jetzt weiß ich, dass es eine problematische Lücke in unserem Gedächtnis gibt‘. Wir haben versucht, den jungen Menschen hier Verantwortung zu übertragen, denn es ist ihre Generation, die diese Lücken füllen und sich mit diesem Mangel auseinandersetzen muss.“

MIT DEN LÜCKEN IN DEN LEHRBÜCHERN ARBEITEN

Das mittels Stop-Motion-Technik erstellte Video wurde unter der Leitung des audiovisuellen Künstlers Juan Pablo Echeverri gedreht. Die Führung durch die Ausstellung, die den Schüler*innen als Inspiration diente, übernahm hingegen der Vizepräsident des Vereins Archivio delle Memorie Migranti, Zakaria Mohamed Ali.
„Ich habe ihnen keine Geschichte erzählt oder ‚die Geschichte‘ erklärt. Ich habe ihnen nur die Ausstellung gezeigt“, hält Zakaria fest. „Erzählt haben die Schüler*innen. Warum hat der Künstler das Gesicht oder die Hände in den Fokus gerückt? Was symbolisiert der Wandteppich? Ich habe versucht, sie zum Nachdenken zu bewegen, denn ich stelle mir ja dieselben Fragen wie sie. Langsam haben sie sich dann geöffnet und erklärt, was das Werk für sie bedeutet.“

„Diese Werke erzählen nichts, sie ‚schreien‘ nach einer Erzählung“, meint Gianluca zum Abschluss. „Du siehst viele Fragmente und diese vielen Bilder lassen dich verwirrt zurück. Die Herausforderung besteht darin, mit den Lücken in den Lehrbüchern zu arbeiten. Das ist auch visuell sehr schwierig und die Stop-Motion-Technik hat uns unter anderem dabei geholfen, diese Lücken zu visualisieren.“

Lucia Pappalardo hat im KunstRaum Goethe ein Video zum Workshop Die ungeschriebene Geschichte gedreht. Die Ausstellung Das Unarchivierbare ist noch im KunstRaum Goethe zu sehen.

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