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Ausgesprochen ... gesellig
Auf einer gewöhnlichen Bank

Frau mit einer Maske
Sie trägt eine Papiermaske | Foto (Detail): serjan midili / Unsplash

Eine Frau und ein Mann sitzen auf einer Bank – filmreif bahnt sich ein Kuss an. Doch dann passiert etwas Überraschendes.

Von Maximilian Buddenbohm

Die folgende Szene spielt auf einer Bank in einem Park, an einem Tag im Spätsommer. Es ist ein gewöhnlicher Park, kein städtebauliches Highlight. Es ist eher ein Park, der bei der Planung des Viertels nebenbei anfiel: „Da fehlt ja noch etwas Grün“, hat da einer in der Baubehörde gesagt, und dann hat jemand eine Fläche grün schraffiert, mehr Fantasie wurde nicht eingesetzt. Es ist auch eine gewöhnliche Bank. Schmucklos und robust ist sie, niemand hat sich, nachdem er diese Bank designt hat, zurückgelehnt und gesagt: „Himmel, ist die jetzt aber schön geworden.“ Im Hintergrund des Bildes ein schlichtes Bürogebäude aus Glas und Beton, das zu einer Hochschule gehört, deswegen können wir raten, dass die beiden jungen Menschen, die auf dieser Bank sitzen, während ich daran vorbeigehe, Studierende sind. Das kann falsch sein, aber Annahmen sind praktisch, wenn man ein Bild erzählen möchte.
 
Mit diesen beiden jungen Menschen jedenfalls, eine Frau und ein Mann sind es, verlassen wir alles, was gewöhnlich, sachlich, schmucklos, schlicht und beliebig ist, wir lassen es weit hinter uns, denn diese beiden sind, das sieht man sofort, schwer verliebt. Es ist also alles ganz besonders und einzigartig, wie es in diesem Kontext nicht anders sein kann. Niemand ist so speziell, wie es die beiden da sind, also zumindest für diese beiden, der Rest der Welt darf das weiterhin anders sehen. Ihre Beine liegen quer auf seinen, ihre Füße wippen, seine Hände liegen auf ihren Knien. Die Oberkörper haben sie einander zugewandt und ihre Köpfe sind recht dicht beieinander.

Sie sehen sich an …

Niemand versteht etwas, wenn sie leise reden. Sie sehen sich an und man erkennt selbst beim flüchtigen Hinsehen, dass sie sich nicht irgendwie ansehen, sondern so, wie man eben guckt, wenn eine Liebesgeschichte gerade richtig losgeht und Fahrt aufnimmt. In einem Kinofilm wären das die Sekunden vor dem Kuss, und was für ein Kuss das wäre, womöglich würde man ihn auf Filmplakaten sehen und der Soundtrack zu diesem Moment, ach, alle würden ihn summen. In einem Roman wiederum wäre dieses Kapitel bald zu Ende, nur etwa eine halbe Seite noch, bis die Lippen sich endlich berühren, und im nächsten Abschnitt wäre man mitten in der Beziehung und sie hätten vielleicht schon ein Kind. 
 
Insbesondere dem jungen Mann steht, ohne ihn unnötig beleidigen zu wollen, eine gewisse Liebesblödigkeit gut lesbar ins Gesicht geschrieben, ihr Kichern und Lachen wiederum hört man schon auf etliche Schritte Entfernung. Sie freut sich, das bekommt man mit. Geküsst wird aber noch nicht, denn zumindest sie trägt eine Papiermaske. Seine dagegen baumelt nur noch an einem Ohr. Vermutlich hat er sie gerade halb abgenommen, denn wenn man sich auf diese Art so nahekommt, dann stört sie am Ende doch etwas. Das wird er sich gedacht haben, man möchte darauf wetten.

Ihre Lippen spitzen sich …

Sie lehnt sich etwas zurück, sie zieht ihre Maske mit zwei Fingern etwas herunter. Ihr Mund ist jetzt zu sehen, endlich ist er zu sehen, wird er denken. Aus seiner Sicht werden diverse Superlative auf diesen Mund zutreffen und alle Songs, in denen jemals rote Lippen vorkamen, sie hatten doch einen Sinn. Ihre Lippen spitzen sich zum Kuss, in seinem Blick ist jetzt ein restloses Dahinschmelzen zu erkennen. Sein Kopf rückt ihr etwas entgegen, sie strahlt, ihr Kopf bewegt sich ebenfalls auf ihn zu – da lässt sie die Maske zurückschnellen, dass die Lippen wieder dahinter verschwinden. Sie wirft den Kopf zurück und lacht laut auf, als sie sieht, wie er guckt. Und sie lacht noch, als ich längst an den beiden vorbei bin.
 
Wir können alles in unser Repertoire einbauen, es ist vielleicht sogar das, was den Menschen entscheidend auszeichnet. Wir verhalten uns einfach darum herum und nehmen alles nebenbei mit, wir können das. Wir kamen schon mit Eiszeiten zurecht, mit Völkerwanderungen, mit der Pest, mit der Industrialisierung und neulich erst mit der Digitalisierung, da sind Masken sicher kein großes Problem für uns.
 
Die Kulissen und die Requisiten wechseln vielleicht, die Stücke aber bleiben immer gleich. Und sie werden morgen wieder gespielt.
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Aya Jaff, Dominic Otiang’a und Margarita Tsomou. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen.

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