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Ausgesprochen … gesellig
Teil des Teams

Menschen verschiedenen Alters bei der Gartenarbeit
Zu einem Verein gehört Vereinsarbeit | Foto (Detail):Tomas Rodriguez © picture alliance / Westend61

Gemeinschaftsarbeit ist angesagt. Wie kann das funktionieren, wenn es keine Person gibt, die einen Plan hat und Anweisungen erteilt? Maximilian Buddenbohm war dabei und hat es aufgeschrieben.

Von Maximilian Buddenbohm

Wir beginnen mit einem sommerlichen Bild. Nett und harmlos ist das Bild, und von da aus stoßen wir langsam zu den großen Fragen der Menschheit vor, das ist doch einmal ein Plan. Stellen Sie sich bitte eine Gartenanlage im Juni vor, eine große Schrebergartenanlage mit einer Unzahl von Parzellen. In der Mitte steht ein Vereinsheim, davor laufen emsig herumwuselnde Menschen durcheinander. Es ist ein prächtiger Sommertag an einem Wochenende, schönstes Wetter gibt es heute, jedenfalls wenn man es einmal abseits der Klimafrage betrachtet. Es ist früh am Vormittag, es ist noch nicht heiß, es ist nur angenehm warm, das wird sich später am Tag ändern. Der Himmel ist so postkartenblau, wie er es im Juni oder Juli nur sein kann, zwei, drei höchst dekorative Wölkchen ziehen wunderbar weiß, friedlich und ruhig darüber hin. Ringsum liegen die üppig bepflanzten Gärten, wir sehen die reifenden Äpfel in den Bäumen, die Birnen, die Kirschen und was weiß ich noch für Früchte, die Zweige und Äste sind schon schwer davon. Unter den Bäumen die leuchtend blühenden Rosen und Stauden aller Art, auch das wild wuchernde Unkraut unter den Hecken, die allmählich geschnitten werden müssten. Viel von allem gibt es hier zu sehen, das Frühjahr war fruchtbar.

Vereinsarbeit

In einer Schubkarre vor dem Vereinsheim liegt ein Teenager. Die überlangen Beine hängen raus, die Arme auch, er ist in diesem Alter, in dem der Mensch falsch zusammengebaut wirkt. Seine Haltung sieht grotesk aus, aber er wirkt doch entspannt. Er hat sich seine Cap übers Gesicht gezogen und macht das, was man in diesem Alter so hervorragend kann wie sonst vielleicht nie wieder im Leben, und also auch machen muss, er döst. Das macht er lange und gründlich, er macht es den ganzen Text hindurch, bis zur letzten Zeile, vielleicht behalten Sie das im Kopf. Der liegt da einfach herum. Und dieser Teenager, das müssen Sie sich bitte noch eben vorstellen, ist Teil eines Teams, und damit sind wir mitten im Geschehen.

Zu einem Verein gehört nämlich Vereinsarbeit. Ein Verein ist kein Naturereignis, ein Verein ist etwas Ausgedachtes, Geschaffenes, das immer wieder neu geschaffen werden muss, sonst hat er keinen Bestand. Ein Verein ist etwas Abstraktes, das konkretisiert werden muss, etwa durch Gemeinschaftsarbeit. In einem Schrebergartenverein müssen alle ein paar Stunden im Jahr für die Gemeinschaft arbeiten. Sie müssen etwa die öffentlichen Wege pflegen oder in gerade verlassenen Gärten den Rasen mähen, sie müssen kranken Mitgliedern helfen, die nicht mehr gärtnern können, Sturmschäden beseitigen oder Blumenkübel an Zufahrten bepflanzen etc., man muss also etwas abseits der eigenen Hecken und Zäune tun. Es macht sonst einfach niemand, deswegen muss es organisiert werden. Heute ist ein Tag der Gemeinschaftsarbeit, deswegen also sehen wir das Gewusel vor dem Vereinsheim, deswegen kommen da Leute am frühen Morgen und sehen einsatzbereit aus. Um die dreißig Menschen werden es sein. So viele haben sich nach einer Mail vom Vereinsvorstand eingefunden und überlegen jetzt, was zu tun ist. Es soll, so hieß es in der Mail, rund um das Vereinsheim etwas aufgeräumt werden. Es gibt Kaffee und Schokobrötchen, jemand war schon beim Bäcker, das fängt gut an, findet man. Dann stellt sich heraus, es gibt keine genauere Anweisung. Es gibt auch keinen Chef oder keine Chefin, es soll nur irgendwie etwas gemacht werden. Die Mail mit der Einladung ist der Chef, so könnte man es sehen, mehr gibt es nicht. Man sieht sich an, man sieht den Platz an, man überlegt gemeinsam und auch einzeln.

Es gibt keinen geleiteten Prozess

Einige wissen, wo der Schuppen mit den Gartengeräten im Vereinseigentum ist, da holen sie Harken, Schaufeln, Eimer und was man so braucht. Da stehen auch Rasenmäher, eine ganze Batterie davon. Einige greifen gezielt zu und nehmen sich etwas, andere machen das nach. Jemand findet etwas und sagt: „Das ist doch gut!“, andere sehen nach, was er meint, finden aber anderes Werkzeug einladender. Dann besehen sich alle die Lage noch einmal, jetzt mit Ausrüstung in der Hand, mit Lieblingswerkzeug. Da muss Unkraut weg, das sieht man, das ist leicht, da kann man einfach anfangen. Da muss einmal gefegt werden, hier ist Kraut und Rüben, da drüben muss auch irgendwie Ordnung gemacht werden, das dort muss vermutlich irgendwie freigeschnitten werden, hier muss dringend gemäht werden … wer stellt das eigentlich fest? Die Gruppe stellt das fest, es gibt keinen geleiteten Prozess, und da wird es interessant. Wie das funktioniert, wie das läuft. Eine sagt etwas und zeigt auf etwas, jemand sagt: „Ja, genau.“ Einer sagt: „Okay“ und eine fragt: „Machen wir das eben?“ Nicken. Eine sagt: „Im letzten Jahr haben wir …“ Und dann machen sie das auch in diesem Jahr. Sie überlegen kurz gemeinsam, wie sie das machen, sie machen es dann. Das passiert gleichzeitig in mehreren Kleingrüppchen, und man merkt dabei schon, einige haben hierzu Lust, einige mehr dazu. Es findet sich aber alles, man kann es gar nicht so schnell registrieren, wie es sich alles findet und die Gruppe einfach losarbeitet, als sei alles klar und organisiert. Eine große Gruppe, mehrere Kleingrüppchen, weiter hinten eine Frau, die entschieden lieber allein arbeitet, und das ist auch in Ordnung, zumal sie die Älteste und Fleißigste von allen ist. Wenn man gelegentlich zu ihr hinsieht, wie sie da mit vollem Einsatz unermüdlich arbeitet und über unerfindlich weitreichende Kräfte verfügt, trotz ihrer achtzig Jahre – da braucht man keinen Motivationscoach mehr und verschiebt die Pause doch noch einen Moment.

Es geschieht dann zügig recht viel. Obwohl die Aufgaben nicht eindeutig vorgegeben sind, obwohl es keine Leitung gibt, obwohl auch niemand aufpasst oder etwas kontrolliert. Obwohl diese Menschen höchst unterschiedlich arbeiten, denken Sie an den Teenie, der da die ganze Zeit nur herumliegt. Welche Funktion hat der eigentlich? Vielleicht erinnert er alle an Pausen, an den Feierabend, an die kommende Entspannung, das kann sein. Zwei Frauen reden viel und angeregt miteinander, sie arbeiten nicht viel dabei, aber etwas eben doch. Ein Mann läuft lange und laut dozierend neben seinem Sohn her, den er Rasen mähen lässt, „damit der das endlich mal lernt.“ Dieser Mann arbeitet eher gar nicht, er redet nur endlos auf seinen Sohn ein, der stoisch immer weiter mäht und vermutlich geistig längst abgeschaltet hat. Einige machen kurze Pausen im Schatten, einige machen lange Pausen auf einer Bank neben dem Spielplatz. Da wird geruht, hier wird gearbeitet, nie ist es so, dass gar nichts getan wird. Einige arbeiten schnell, einige langsam, einige gründlich und gewissenhaft, einige eher flüchtig. Einige wissen genau, was zu tun ist, einige gucken sich alles erst ab. In der Gesamtheit ist es überaus verblüffend, wie viel bewegt wird. Die verschiedenen Geschwindigkeiten und Leistungsvermögen scheinen sich seltsam ergiebig zu ergänzen. Drei kleine Kinder machen lachend nach, was die Eltern machen, ein Mann mit akuten Rückenproblemen geht mit kalten Getränken herum, und das ist auch gut und wichtig.

Die Arbeit gewinnt an Kontur


Es wird im Laufe der Stunden immer klarer, was genau zu tun ist, die Arbeit gewinnt an Kontur, das Ergebnis auch. Die Erfahrenen geben vieles vor. Es geht auf ihre Art einfach am besten, man sieht das. Manches wird aber auch mal eben erfunden.

„Was meinst du, wenn ich das hier so wegschneide? Ob das richtig ist?“

„Wenn du das da jetzt wegschneidest, dann ist das eben so.“

Drei Männer arbeiten abseits von den anderen, die machen etwas Spezielles, da kann der Rest nicht mithalten. Die drei sind Experten für Metallarbeiten und reparieren geneinsam einen Zaun. Davon verstehen die anderen nichts. Drei mit Spezialwissen, denke ich, das ist keine schlechte Quote bei einer Zufallsauswahl. Wer weiß, welches Spezialwissen noch in dieser Gruppe verfügbar wäre, bei etwa dreißig Leuten. Wer weiß, was man alles machen könnte. War das nicht auch in etwa die Größe der steinzeitlichen Horden, als wir mit allem angefangen haben? Vielleicht ist es immer noch die richtige Größe, um manches gut hinzubekommen, wenn nicht sogar fast alles. Ob wir mit dieser Gruppe ein Haus bauen könnten? Ich wäre vorsichtig optimistisch. Es ist jedenfalls beeindruckend, was wir an diesem Vormittag alles schaffen. Es ist ein bedeutender Effekt, nach drei, vier Stunden sieht hier alles anders aus, wesentlich besser als vorher. Eine Gruppe von dreißig Menschen kann in drei Stunden einen nennenswerten Unterschied machen, das kann man so festhalten. 

Wenn Sie jetzt also mit dreißig Menschen bei Ihnen vor der Haustür anfangen würden - gleich würde es dort besser aussehen, das gehört auch dazu. Warum machen Sie es dann nicht, warum machen wir alle es nicht, es ist doch notwendig? Sie sehen doch, wie es da schon wieder aussieht, bei Ihnen vor der Tür, in Ihrem Viertel, in ihrem Dorf, in der Welt, in der Gesellschaft, es gibt doch eindeutig etwas zu tun? Aber nein, wir machen es nicht, selbstverständlich nicht. Wir machen es nur im Verein, in dem wir dazu aufgefordert werden – und wir würden es ohne diese Aufforderung vermutlich auch dort nicht machen. Wir müssten länger darüber nachdenken, warum das eigentlich ein sinnloses Gedankenexperiment ist. Und zwar viel länger. Wir könnten nämlich alles verändern, erstaunlich schnell sogar, wir müssten nur in kleinen Gruppen einfach hier vorne anfangen – wirklich, es würde gehen, das ist keine allzu wilde Theorie, das ist so. Es geht aber doch nicht, ich weiß. 

Ich habe vor längerer Zeit eine Kolumne geschrieben, da ging es darum, dass der Mensch an sich gerecht teilt, man kann auch das leicht beobachten, man muss nur eine Weile hinsehen. In dieser Kolumne stelle ich jetzt fest, dass der Mensch an sich gut und verblüffend effektiv mit anderen Menschen zusammenarbeitet. Der Mensch an sich hat einige Eigenschaften, die sind gar nicht so unsympathisch.
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Er hat nur dummerweise auch noch andere, die sich viel leichter beobachten lassen.
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Maximilian Buddenbohm, Susi Bumms, Sineb El Masrar und Marie Leão. Maximilian Buddenbohm berichtet in „Ausgesprochen … gesellig“ über das große Ganze, die Gesellschaft, und ihre kleinsten Einheiten: Familie, Freundschaften, Beziehungen. 

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