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Umwege | Passionsspiele
Uralte lokale Tradition in den Bayerischen Alpen

Das Pessachmahl, das letzte Abendmahl, bei den Passionsspielen 2010 in Oberammergau.
Das Pessachmahl, das letzte Abendmahl, bei den Passionsspielen 2010 in Oberammergau. | Foto (Detail): © picture alliance/imageBROKER/Foto Beck

Frauen und ein Muslim in christlichen Passionsspielen – das war lange undenkbar. In Oberammergau ist das heute möglich. Das lokale Spektakel zieht Besucher*innen aus aller Welt an.
 

Von Alina Schwermer

Wenn euch jemand fragt, welches Live-Erlebnis im Jahr 2022 Hunderttausende aus aller Welt angelockt hat, dann fällt euch wahrscheinlich als erstes die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar ein. Aber welches Ereignis außer Sport schafft solche Besucherzahlen heute noch? Hier ist die Antwort: Es sind die Passionsspiele von Oberammergau. Passionsspiele stellen aus christlicher Sicht das Leben, Sterben und die Auferstehung des im Christentum verehrten Jesus von Nazareth nach. Alle zehn Jahre finden die Inszenierungen in dem knapp fünfeinhalbtausend Einwohner*innen umfassenden Ort in den Bayrischen Alpen statt, es ist das größte Laientheater der Welt. Bei der letzten Ausgabe 2022 – von 2020 wegen der Corona-Pandemie um zwei Jahre verschoben – kamen rund 412.000 Gäste zu den über hundert Aufführungen von Mai bis Oktober. Viele reisten dafür sogar aus Übersee an. Seit 2014 gehören die Spiele zum immateriellen Unesco-Kulturerbe.

Was aber interessiert die Menschen so am Musiktheater eines kleinen bayerischen Dorfes? Auch wenn ihr mit Christentum nichts zu tun habt, so könnten die Passionsspiele für euch faszinierend sein: Sie sind auf eine uralte lokale Tradition zurückzuführen, sie sind ein Anlass für echte gesellschaftliche Teilhabe, und sie sind durch erbitterte Kämpfe in der Vergangenheit gekennzeichnet. Die Figuren im Stück werden nicht von Schauspieler*innen dargestellt, sondern von Menschen aus Oberammergau, einer Gemeinde im Naturpark Ammergauer Alpen, die geprägt ist von vielen Häusern mit kunstvoll bemalter Fassade, genannt Lüftlmalerei. Rund ein Drittel der Bewohner Oberammergaus wirkt aktiv bei den Passionsspielen mit. Und wo viele mitreden, wird auch viel ausgehandelt.

Die 1634 gegründeten Passionsspiele waren lange ein ziemlich antisemitisches, sexistisches und rassistisches Schauspiel. Aber viele Gruppen haben dagegen angekämpft und so die Spiele verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg protestierten zum Beispiel jüdische Gruppen gegen die antisemitischen Texte und drohten mit Boykott. Heute sind die fraglichen Stellen gestrichen und jüdische Vertreter*innen werden regelmäßig zum Feedback geladen. Frauen durften lange nur mitspielen, wenn sie jünger als 35 Jahre und unverheiratet waren. 1990 haben sie vor Gericht Gleichberechtigung erkämpft. Auch der renommierte Regisseur Christian Stückl, der seit 1990 inszeniert, hat viel modernisiert. Im Jahr 2000 übernahm erstmals ein Protestant eine Hauptrolle, und 2022 mit Cengiz Görür der erste Muslim.

So könnt ihr bei den Passionsspielen lokale Kultur genießen – und am Beispiel dieser besonderen Theateraufführungen sehen, wie Deutschland sich verändert und woran es weiter fehlt. Geduld ist allerdings gefragt: Die nächsten Spiele stehen erst 2030 auf dem Plan.

Umwege

Was bedeutet Görliwood, warum findet man in Bayern ein Stück Karibik und wo könnt Ihr vor Schaufelradbaggern tanzen? In unserer Serie nehmen wir Euch jeden Monat mit an einen Ort in Deutschland, den Ihr vielleicht noch nicht kennt, aber unbedingt kennenlernen solltet. Wir zeigen Euch Orte, die von der üblichen Touristenroute abweichen. Seid Ihr bereit für einen kleinen Umweg?

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