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Landwirtschaft | Interview mit Massimo Salvagnin und Anne-Kathrin Kuhlemann
Landwirtschaft im Wandel – Das Essen von Morgen

Tomaten
Foto (Zuschnitt): © Colourbox.de

Anne-Kathrin Kuhlemann züchtet mitten in Berlin dank KI Fisch und Gemüse in einem Gewächshaus. Landwirt Massimo Salvagnin versucht mit KI und computergestützten Systemen auf seinen 550 Hektar umweltfreundlicher zu ernten. Im Februar haben sie sich getroffen zu einem virtuellen Gespräch über die Landwirtschaft im (Klima-)Wandel und darüber, wie wir künftig satt werden. Bei -12 Grad in Berlin und sommerlichen Hagelwetter bei Ferrara.

Von Sabine Oberpriller

Am liebsten stellen wir uns den Bauern vor, der mit den Händen die Früchte aus der Erde holt. Aber natürlich sind schon lang Maschinen im Einsatz. Welchen Bezug haben Sie zu Ihrer Erde, den Erträgen?
 
Massimo Salvagnin: Mit der Erde verbindet uns die tiefe Leidenschaft, mit der wir unsere Arbeit machen. Wir lernen nie aus! Unsere Aufgabe ist es, die Erde zu bewahren, aber unser Betrieb muss auch rentabel sein. Wir benutzen Technologie, um soviel wie möglich über unser Land, unsere Kulturen und das Wetter zu wissen. Wir überlassen nichts dem Zufall!
 
Anne-Kathrin Kuhlemann: Ich glaube, bei jedem Landwirt ist viel Leidenschaft dabei! Der Gedanke hinter unserem Betrieb ist uralt: In China haben in den Reisfeldern früher schon Fische Schädlinge vom Reis ferngehalten. Wir versuchen das wertvolle, alte Wissen mit Technologie zu kombinieren und so einen zukunftsfähigen Weg zu finden und noch ressourcenschonender zu werden. Denn in Europa stellt die Ernährung ein Drittel unseres ökologischen Fußabdrucks!
 
Was erzeugen Sie?
 
M.S.: Gemüse, Erbsen, grüne Bohnen, Getreide, Soja, Tomaten, Mais, vor allem für glutenfreie Produkte. Einen Teil der Felder bewirtschaften wir konventionell, den anderen bio. Vor vier Jahren haben wir Walnussbäume im Bio-Anbau angepflanzt. Das sind 31 Hektar an neuer Herausforderung für uns!
 
A-K.K.: Wir bewirtschaften ein Viertel Hektar und erzeugen pro Jahr 50 Tonnen Fisch, den wir selbst verarbeiten, und 30 Tonnen Gemüse, von alten Tomatensorten über Salate, Kräuter, essbare Blüten bis hin zu Bananen, Papaya. Die unterschiedlichen Pflanzen stützen sich gegenseitig. Ein traditioneller Landwirt bräuchte viel mehr Platz.
 
Was müssen Sie da an Rohstoffen investieren?
 
A-K.K.: Fischfutter und die Menge Wasser, die Pflanzen und Fische verbrauchen. Das ist etwa ein Prozent des Gesamtvolumens am Tag statt bis zu 20 Prozent im konventionellen System. Unser Kreislauf ist komplett geschlossen. Pestizide und ähnliches würden sofort das Gesamtsystem belasten und im Zweifel die Fische töten. Wir haben als einzige weltweit in der Fischzucht kein Abwasser. Nährstoffe kommen von den Ausscheidungen der Fische.

  • Auf dem ersten Blick sieht die Salataufzucht der Stadtfarm aus wie ein normales Gewächshaus. Foto: © Julia Schmidt
    Auf dem ersten Blick sieht die Salataufzucht der Stadtfarm aus wie ein normales Gewächshaus.
  • Die Salate und Kräuter der Stadtfarm werden regional verkauft Foto: © Julia Schmidt
    Die Salate und Kräuter der Stadtfarm werden regional verkauft.
  • African Catfish aus der Stadtfarm Foto: © Julia Schmidt
    African Catfish aus der Stadtfarm
  • Der Fisch wird in der Stadtfarm nicht nur gezüchtet, sondern auch verarbeitet, zum Beispiel zu Räucherfisch-Filet Foto: © privat
    Der Fisch wird in der Stadtfarm nicht nur gezüchtet, sondern auch verarbeitet, zum Beispiel zu Räucherfisch-Filet.
M.S.: Respekt! Die Hydroponik interessiert mich sehr. Es gibt mittlerweile auch einige Betriebe in Italien, die das praktizieren. Man bräuchte wirklich 72-Stunden-Tage, um all das Interessante zu lernen, besonders in unserer Branche!
 
Ein kleines Ökosystem! Das klingt so perfekt. Kommt in Zukunft Gemüse aus dem Gewächshaus?
 
A-K.K.: Weizen macht zum Beispiel keinen Sinn. Aber es wäre toll, wenn wir zehn Prozent unserer Lebensmittel in den Städten erzeugen würden. Und wieder viel regionaler! Wir hatten in Deutschland gerade unschöne Momente: Wildschweine brachten die Schweinepest nach Deutschland und China verhängte ein Exportverbot für Schweinefleisch. Aber warum produzieren wir überhaupt für andere Länder und importieren andererseits? Im Durchschnitt hat ein Lebensmittel 1.500 bis 3.000 Kilometer hinter sich!
 
M.S.: Allein darüber könnten wir bis morgen diskutieren. Ein Beispiel: In Italien werden Walnüsse aus Kalifornien importiert zu unglaublich niedrigen Preisen. Aber diese Nüsse sind voller Pestizide und sogar Antibiotika, die so in der EU in der Landwirtschaft nicht zugelassen sind. Das ist eine sehr unfaire Konkurrenz.

Leider geht der Großteil der Marge in der Lebensmittelindustrie nicht ins Rohprodukt.“

Anne-Kathrin Kuhlemann

Frau Kuhlemanns Betrieb hat eine interessante Strategie für den Preisdruck bei Tomaten im Sommer…
 
A-K.K.: Wir haben beschlossen, unsere Tomaten haltbar zu machen, statt unter Selbstkosten zu verkaufen. Wir machen zum Beispiel zuckerfreien Ketchup mit Stevia. Die Produkte sind so beliebt, dass wir sie jetzt herstellen müssen! Leider geht der Großteil der Marge in der Lebensmittelindustrie nicht ins Rohprodukt. Deswegen machen wir vom Saatgut, über die Verarbeitung bis zur Auslieferung alles selbst.
 
Biopreise liegen teils weit über den konventionellen. Ist regionale Ernährung Luxus?
 
A-K.K.: Gar nicht! Unser Fisch liegt ein Drittel überm Discounter-Preis, aber bei maximal der Hälfte vom Bio-Preis, beim Gemüse ungefähr bei bio. Von den Lebensmittelpreisen vor allem der deutschen Discounter können Landwirte nicht leben. Wir wollen damit nicht reich werden, nur faire Gehälter zahlen und die Tiere gut behandeln. Wenn der Kunde das nicht zahlt, dann sind es unsere Enkel, die die Umweltkosten tragen. Lieber wie früher nur einmal pro Woche Fisch und Fleisch in guter Qualität. Anders werden 10 Milliarden Menschen nicht satt werden.
 
M.S.: Stimmt! Der Konsument müsste viel besser über die Produktionsprozesse hinter den Produkten aufgeklärt sein. Er muss wissen, was für Arbeit hinter einem Kilo Äpfel steckt, sowohl konventionellen als auch biologischen. Leider ist das meist nicht so.

Die Blockchain-Technologie verschafft den Konsumenten Einblick in den Produktionsprozess.“

Massimo Salvagnin

Es ist essentiell, dass wir uns darüber informieren, was wir essen.

M.S.: Es gibt schon erste Vorstöße mit der Blockchain-Technologie, die bereits sehr dabei hilft, den Konsumenten Einblick in den Produktionsprozess zu geben – das ist im Grunde ein Protokoll das Daten transparent und zentral erfasst und allen zugänglich macht. Mit diesen Techniken wäre es den Konsumenten möglich, dem, was wir tun, einen neuen Wert beizumessen!

A-K.K.: Oh ja! Verbraucher können sich nicht in allen Details der Lebensmittelindustrie auskennen. Diverse Organisationen werden die Daten-Infos durch Labels nachvollziehbar machen, zum Beispiel wie viel CO2, wie viele Kilometer und was wirklich im Produkt steckt. Das wird zu einer Demokratisierung führen, die allen zugutekommt, die versuchen, etwas besser zu machen.

Welche Technologien verwenden Sie?
 

M.S.: GPS-Speicher-Systeme in den Ernte-Fahrzeugen und Traktoren, sowie eine zentimetergenaue autonome Steuerung, außerdem Satellitensysteme und Drohnen. Wir nehmen Bodenproben und verwenden auch Sonden. Dank all dieser Technologie können wir die Besonderheiten, die Fruchtbarkeit und die Bedürfnisse von jedem Quadratmeter Feld bestimmen und speichern. Seit Jahren passen wir auf Basis dieser Daten die Dichte an Saatgut und die Menge an Dünger und Pflanzenschutzmittel auf jeden Quadratmeter an. Und die Algorithmen unserer Programme für Wettervorhersagen liefern uns eine immer genauere Kenntnis des Klimas zu jeder Zeit, dank der wir unsere nächsten Schritte noch genauer auch an die Wetterbedingungen anpassen können.
  • Drohnenansicht der Walnussbäume © Società Agricola Porto Felloni
    Mit Walnussbäumen will Familie Salvagnin sich eine neue Marktnische erschließen.
  • Auf den 550 Hektar der Familie Salvagnin überwacht KI die Felder, Pflanzen und sogar die Traktoren. © Società Agricola Porto Felloni
    Auf den 550 Hektar der Familie Salvagnin überwacht KI die Felder, Pflanzen und sogar die Traktoren.
  • Bewässerungsanlage © Società Agricola Porto Felloni
    Die Sommer in Italien sind mittlerweile so heiß und trocken, dass große Bewässerungsanlagen nötig sind.
  • Eine der Drohnen des Unternehmens im Betrieb © Società Agricola Porto Felloni
    Mit Drohnen wird der Zustand der Felder und Pflanzen überwacht.
  • KI-Infos für das Präzisionsfarming © Società Agricola Porto Felloni
    Alle Daten, die über die Felder durch Roboter, Sonden und Satelliten gesammelt werden, werden im System des Betriebs gespeichert und ausgewertet.
A-K.K.: Wie viel Pestizide sparen Sie? Wie erhöhen sich die Erträge?
 
M.S.: Sowohl im Verbrauch als auch in den Arbeitsprozessen sparen wir mittlerweile je gut 10 Prozent ein. Auch unser Ertrag steigt dank der zunehmenden Kenntnisse über die Wetterdaten von Jahr zu Jahr um ein paar Prozent. Gegen Wetterphänomene wie Hagelschauer, Dürre oder Wasserstürze sind wir aber leider immer noch machtlos.
 
Frau Kuhlemann, die Technologien kommen Ihnen bekannt vor?
 
A-K.K.: Klar. Technologie ist für uns essentiell. Roboter kontrollieren 24/7 und stellen mit Infrarot schneller fest, ob eine Pflanze gestresst und anfälliger ist. Wir nutzen viel Sensorik und unsere KI sammelt Daten, um auf Klimaphänomene vorbereitet zu sein. Die spüren die Pflanzen auch unter Glas.
 
Wie viel verlieren Sie an Ernte?
 
A-K.K.: Im einstelligen Prozentbereich. Bioanbau verliert dagegen etwa 20 Prozent an Schädlinge. Im Gegensatz zur Industrie verlieren wir auch fast nichts beim Transport und durch falsche Lagerung, da wir nah am Verbraucher sind, mehr gezielt das ernten, was er nachfragt, und Überschuss verarbeiten.
 
Wie macht sich die Klimakrise bei Ihnen bemerkbar?
 
M.S.: Gestern hatte es ein sommerliches Hagelgewitter – im Februar! Anderes Beispiel: Wir wollten Mandelbäume kultivieren, aber mit den Spätfrösten, die es seit einigen Jahren gibt, ist das zu riskant. Der Klimawandel beunruhigt uns sehr. Wir müssen die Anbaumethoden verändern, einrechnen, dass die Blüte früher ist und beachten, nicht zu sehr in die schrecklichen Trockenperioden zu geraten, die jeden Sommer länger werden. Vor ein paar Jahren konnte man sogar noch ohne Bewässerungsanlagen Anbau betreiben!
 
… Und das ist auch ein Problem für die Algorithmen.
 
M.S.: Zum Teil. Krankheiten entwickeln sich zum Beispiel aus der Summe aus Stunden mit Feuchtigkeit und niedrigen Temperaturen. Darüber können uns die Algorithmen gute Prognosen abgeben.
 
A-K.K.: In den letzten Sommern hat sich das Gewächshaus wochenlang auf über 50 Grad aufgeheizt. Trotzdem müssen wir nicht kühlen, so robust ist unser System. Ich hoffe, dass die Landwirtschaft nicht nur technische Lösungen sucht, sondern auch umdenkt. Landwirte sind ja eigentlich die, die in Generationen denken.
 
M.S.: Ja, das ist uns bewusst. Und auch, dass wir deswegen mit möglichst schonenden Methoden anbauen müssen. Das Problem ist, dass der Markt die Preise diktiert. Wir müssen also die Bedürfnisse der Umwelt mit denen unserer Firma vereinen. Leider klappt das nicht immer im Einklang.
 
A-K.K.: Wir haben alte Methoden, unsere Felder wieder resilient zu machen. Wir müssen weg von Monokulturen, hin zu Agro-Forst-Systemen mit mehr Hecken und natürlichem Schatten, durch den wieder viel mehr Wasser im Boden gehalten werden kann. Da gibt's viele Themen, die seit Jahrzehnten erforscht sind.

Herr Salvagnin, Ihre Firma produziert biologisch und konventionell. Welche Methode hat Zukunft?

M.S.: Beide. Ich glaube auch fest an die rückstandsfreie Methode. Die bedeutet für die konservative Landwirtschaft, dass man nur gewisse Pflanzenschutzmittel verwenden darf, die sich später im Ertrag nicht mehr wiederfinden, weil die Pflanze sie komplett abgebaut hat. Unser Hauptabnehmer glaubt nicht an bio, aber ab 2022 werden Sie auch Tomatenkonserven mit dem Label “a residuo zero“, also „rückstandsfrei“, im Regal finden.

A-K.K.: Ich glaube auch nicht, dass wir alles über Nacht umstellen können. Aber einen großen Schritt in Richtung mehr Nachhaltigkeit, waste free, zero emission in der Landwirtschaft müssen wir gehen. Schön zu hören, dass auch große Abnehmer das schon vorgeben, nur so wird sich was bewegen.
 

Massimo Salvagnin

Als ich Precision Farming in den USA zum ersten Mal sah, war ich begeistert!“

Massimo Salvagnin Massimo Salvagnin | Foto: © privat Massimo Salvagnin, 53, bewirtschaftet in Lagosanto, in der Provinz von Ferrara, gemeinsam mit Bruder und Neffen den Familienbetrieb. Das Unternehmen ist einer der Hauptlieferanten eines namhaften Herstellers von Tomatenkonserven mit Sitz in der Emilia-Romagna. Seit drei Jahren erhält die Familie die Auszeichnung „Pomodorino d’oro“ des Herstellers für Qualität und zukunftsweisendes Wirtschaften. Seit 1997 optimiert der Betrieb seinen Ertrag durch das hochtechnologische Precision Farming.
www.portofelloni.com

Anne-Kathrin Kuhlemann

Das kenne ich aus meiner Kindheit: Erst die Tiere füttern. Dann erst selber frühstücken.“

Anne-Kathrin Kuhlemann Anne-Kathrin Kuhlemann | Foto: © privat Anne-Kathrin Kuhlemann, 41, engagiert sich für nachhaltige Wirtschaft und neue Methoden wie Crowdfarming und solidarische Landwirtschaft. 2017 eröffnete sie mit Geschäftspartnern Europas größte gläserne AquaTerraPonik-Stadtfarm. Mit nachhaltigen Methoden produzieren sie biologisch und sparen 80% des Wassers und der Fläche und 90% des CO2-Ausstoßes konventioneller Erzeugnisse. Die Idee wurde 2014 mit dem Generation D-Award ausgezeichnet. Die nächste Stadtfarm entsteht bereits.
www.topfarmers.de

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