Gegenwartskunst
Schaffen wir unsere Freiheit ab?

Flo Kasearu: Startup 25 (2018) und (De)Fence (2014). Ausstellungsansicht <i>Freiheit zur Freiheit II</i>, 2018.
Flo Kasearu: Startup 25 (2018) und (De)Fence (2014). Ausstellungsansicht Freiheit zur Freiheit II, 2018. | Foto (Zuschnitt): © David Brandt/Kunsthaus Dresden

Christiane Mennicke-Schwarz ist Leiterin des Kunsthauses (Haus für internationale Gegenwartskunst) in Dresden. Wir trafen sie für ein Interview am Rande der Veranstaltung „Demokratie und Freiheit, ein geteiltes Europa?“ und sprachen mit ihr über Europa, die Einschränkung der Freiheiten und die Kunst als wichtigen Katalysator.

Von Christina Hasenau

Frau Mennicke-Schwarz, sind wir gerade auf dem Weg, unsere Freiheit in Europa einzubüßen?

Es geht in erster Linie darum, die Freiheiten heute in Europa zu verteidigen. Wir befinden uns in einer nicht ganz leichten Situation. In einigen Ländern in Europa werden bereits die Freiheitsrechte in Bezug auf die Kunst, in Bezug auf die freie Meinungsäußerung und in Bezug auf die Art und Weise wie wir leben wollen, eingeschränkt. In Deutschland haben wir mit der Einschränkung von Freiheit sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Es ist eine Einschränkung, die uns letztendlich davon abhält, uns zu entfalten, die Diversität, die wir in Europa haben, auch zu leben. Diese Diversität ist aber unser größter Reichtum, unser größtes Kapital. Europa ist die Heimat, in die wir hinein geboren sind. Ein unglaublich vielfältiger Kontext, den wir als selbstverständlich kennen und lieben gelernt haben. Diese Vielfalt steht heute wieder zur Verhandlung.


Ist es an der Zeit, dass die Kunst hier noch eindeutigere Beiträge liefert?

Ich glaube, dass die Kunst schon immer sehr wichtige Beiträge geleistet hat, weil sie zwischen sehr unterschiedlichen Situationen in Europa doch eine Kommunikation herstellt. Sie schafft es unsere Zeit zu spiegeln, uns zu ermöglichen, das zu reflektieren, was wir gerade erleben. Ich denke, dass uns tatsächlich Freiheiten auf dem Weg verlorengegangenen sind, aber das hat viel damit zu tun, wie wir Europa zu unterschiedlichen Zeitpunkten definieren. Viel zu lange haben wir Europa vor allem wirtschaftlich definiert. Viel zu spät wurde der dringende Handlungsbedarf erkannt. Europäische Kunst und Kultur, der lebendige Austausch zwischen den Menschen muss auch in der Fläche erlebbar werden. Die Kunst kann helfen die Situation zu spiegeln und sie kann vor allen Dingen Zugänge schaffen:  Zu einer gemeinsamen Kommunikation, der gegenseitigen Inspiration und letztendlich auch dem Erleben und Aushalten von Freiheit. Ich glaube, über die Kunst – und jenseits der Filterblasen – wieder mit einander zu kommunizieren, ist etwas, was wir auch üben müssen, sozusagen. Wir müssen das praktizieren. Kaum ein Bereich in der Gesellschaft kann die Vielfalt und die vielen Besonderheiten Europas so gut widerspiegeln und ist gleichzeitig so vernetzt. Die Kunst und die Kultur spiegeln viele Facetten von Europa in die Welt und in unsere eigene Welt, in unseren eigenen Alltag. Es ist ein extrem wichtiges Kapital, von dem wir zehren.


Die Kunst schafft es aber nicht immer, dass wir Zeitfragen innerhalb unseres eigenen Alltags auch wirklich reflektieren. Muss sie hier noch andere Wege finden?

Absolut. Der zentrale Aspekt ist, dass die Kunst dahin gehen muss, wo die Menschen sind. Sie muss den Austausch und die gegenseitige Befruchtung suchen. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, in die öffentlichen Räume zu gehen, und auch in die Schulen zu gehen und mit den Jugendlichen zu arbeiten. Wir tun das in Dresden seit einigen Jahren sehr intensiv und die Erfahrungen sind sehr positiv. Im Bildungsbereich ist es erschütternd, wie wenig Raum den wichtigen Lehrinhalten der Kultur eigentlich gegeben wird – maximal 1 oder 2 Stunden in der Woche. Doch wenn man den Kontakt zu den jungen Menschen sucht, und in die Schulen geht (und wir sind in Dresden und auch der Region in den letzten Jahren aktiv unterwegs gewesen), kommt unglaublich viel zurück. Man merkt, da ist eine junge Generation, die mit den europäischen Perspektiven und den vielfältigen Methoden junger Kunst ganz viel anfangen kann. Sobald die Zugänge geschaffen sind, können Jugendliche wunderbar damit weiter arbeiten. In den Reaktionen zeigt sich, dass es Anlass zur Hoffnung gibt, weil die junge Generation sobald sie Zugänge zur lebendigen europäischen Kultur erhält, diese auch nutzt.
 

  • <i>Freiheit zur Freiheit I</i>: Ausstellungsansicht Marian Bogusz – The Joy of New Constructions, 2018 Foto: © David Brandt/Kunsthaus Dresden

    Freiheit zur Freiheit I: Ausstellungsansicht Marian Bogusz – The Joy of New Constructions, 2018

  • Ausstellungsansicht <i>Freiheit zur Freiheit II</i>, 2018, Schloss Albrechtsberg, Heizhaus Foto: © David Brandt/Kunsthaus Dresden

    Ausstellungsansicht Freiheit zur Freiheit II, 2018, Schloss Albrechtsberg, Heizhaus

  • Ausstellungsansicht <i>Freiheit zur Freiheit II</i>, 2018, Schloss Albrechtsberg, Heizhaus Foto: © David Brandt/Kunsthaus Dresden

    Ausstellungsansicht Freiheit zur Freiheit II, 2018, Schloss Albrechtsberg, Heizhaus

  • Flo Kasearu: Startup 25 (2018) und (De)Fence (2014). Ausstellungsansicht <i>Freiheit zur Freiheit II</i>, 2018. Foto: © David Brandt/Kunsthaus Dresden

    Flo Kasearu: Startup 25 (2018) und (De)Fence (2014). Ausstellungsansicht Freiheit zur Freiheit II, 2018.

  • Transfer Stadt X Land. Gesellschaft für Schönes und Nützliches Wissen, <i>Nachbarschaften 2025</i>, 2019. © Anja Schneider /Kunsthaus Dresden

    Transfer Stadt X Land. Gesellschaft für Schönes und Nützliches Wissen, Nachbarschaften 2025, 2019.

Das Kunsthaus in Dresden, das Sie leiten, existiert bereits seit 1991. Eventuell steht schon bald ein Umzug an. Würden Sie sagen, dass es auch bei Ihnen darum geht, immer neue Freiräume zu schaffen?

Freiräume sind ein entscheidendes Stichwort: Das Projekt des Goethe-Instituts Freiraum, an dem wir beteiligt waren, war beispielsweise ein spannender Prozess, der letztendlich auch wieder nach Dresden zurück spiegelt. Ich sah, an wie vielen differenzierten lokalen Situationen gearbeitet wird, wie sie sich untereinander vernetzen und in Europa Resonanzräume bilden. Die Raum-Frage ist da in der Tat eine ganz entscheidende Frage. Wer sieht die Projekte eigentlich? An welchen Orten und in welchen Räumen finden sie statt? Wer kann die erarbeiteten Dinge, Inhalte und Atmosphären und die künstlerischen Ergebnisse teilen? Solange wir in Nischen arbeiten, sind wir zwangsläufig ein bisschen begrenzt und deshalb ist es so wichtig, Fragen auch zum Thema Freiheit in den Stadtraum hinein zu tragen. Das ist auch der Hintergrund unserer Konzeption für die ehemalige Betriebskantine des VEB-Werkes Robotron (der größte Computerhersteller der ehemaligen DDR). In den Informationstechnologien und in der Programmiersprache stecken ja schon das selbstverständliche Verknüpft-Sein, in der Welt sein, drin. Es ist ein schöner Kontext mit einem Zukunftsaspekt, nämlich die Welt zu revolutionieren, damals über die Informatik. Die Robotron-Betriebskantine ist sehr zentral in der Stadt gelegen. Sie ist sehr sichtbar und ein wunderbares Gebäude der 70er Jahre mit einer großen Transparenz und Großzügigkeit, wie wir sie heute kaum noch finden. Es ist unser Wunsch, dort mit der Kunst und auch noch mit einer ganzen Reihe von anderen Projekten, einzuziehen. Es wäre eine wichtige Anregung für die Stadt, damit wir in Zukunft den Zugang zur lebendigen europäischen Kultur verbreitern können und die Sichtbarkeit erhöhen.
 

Vor ein paar Tagen eröffnete die aktuelle Kunst-Biennale in Venedig. Schaffen es große Kunst-Events noch in unseren Alltag hinein zu wirken?

Ich glaube, wir brauchen beides, die großen Events und die Arbeit in der Fläche. Venedig und auch Veranstaltungen wie die Documenta sind ganz wichtige Plattformen, weil es dadurch, vergleichbar vielleicht mit einem wichtigen Fußballspiel, Momente gibt, in denen ganz viele Menschen auf der Welt gemeinsam etwas erleben und sich darüber austauschen. Und das gibt es in der Kultur nicht so häufig. Aber es reicht in der Tat absolut nicht aus. Wir brauchen die Übersetzung in die „kleineren“ Strukturen in der Fläche. Wir brauchen ganz dringend wieder die Verbindung mit den Menschen, die nicht nach Venedig fahren können, die aber viel zur Kultur und Gesellschaft beitragen. Wir haben in der letzten Woche im Kunsthaus eine Ausstellung eröffnet – Nachbarschaften 2025 – in denen Visionen für die Bewerbung Dresdens um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 vorgestellt werden. Damit gehen wir raus in der Stadt. Wir arbeiten auf dem Friedhof, wir gehen in eine Kleingartenanlage und eröffnen dort eine Museumsfiliale und wir haben angefangen mit der Sportgemeinschaft Dynamo zusammen zu arbeiten. Da entstehen ganz neue, interdisziplinäre Wege.

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