Protestbewegung „Maria 2.0“
Frau, katholisch, zornig

Maria 2.0 in Münster
„Maria 2.0“ stellt die letzte Bastion des katholischen Absolutismus infrage: die Nicht-Weihe für Frauen. Frauen sollen Messen lesen, Abendmahl spenden, trauen dürfen. Zu einer Mahnwache versammelten sich im Mai mehrere Hundert Frauen und Männer vor dem Dom in Münster. | Foto (Ausschnitt): Carsten Linnhoff © picture alliance/dpa

Katholikinnen an der Gemeindebasis sind es leid, für ihre Kirche zu schuften, aber nicht mitreden zu dürfen. Kann die Protestbewegung Maria 2.0 etwas bewegen?

Von Jonas Weyrosta

Der Tag, an dem Ursula Brintrup zu dem kleinen Schreibwarengeschäft um die Ecke lief, etwa auf halber Strecke zur Kirche, um dort nach der Zeitschrift Emma zu fragen, war der Anfang eines Tabubruchs.
Die gläubige Katholikin, 54 Jahre alt, lebt in Münster, im Stadtteil Roxel, viele Klinkerfassaden, noch mehr Gartenzäune. Das Leben in Roxel ist ein Leben mit einem ausgeprägten Sinn für Ordnung.

Brintrup war Hausfrau, 23 Jahre lang, drei Kinder hat sie großgezogen, seit Weihnachten 2018 arbeitet sie wieder in Teilzeit als Steuerfachgehilfin. Ihre Freizeit widmet sie der Gemeindearbeit. Ehrenamt, versteht sich. Seit dem Jahr 2005 organisiert sie das Fest zu St. Martin, vor der Osternacht färbt sie jedes Jahr Hunderte Eier mit der Hand, steckt Blumenkränze, kocht gemeinsam mit geflüchteten Frauen aus Syrien Marmelade. Sie hält die Gemeinschaft am Leben. Sie erwartet dafür keine Gegenleistung, das wäre ihr fremd, aber wenigstens Wertschätzung.

Es war Anfang Mai 2019, als sie sich die Emma gekauft hat, zum ersten Mal in ihrem Leben und dann gleich sieben Exemplare. Auch in den Nachbargemeinden sollten alle den Text über die Frauenbewegung Maria 2.0 unbedingt lesen. Gläubige Katholikinnen kündigten an, eine Woche lang keine Kirche zu betreten und für diese Zeit alle Ehrenämter niederlegen zu wollen. Was sie erreichen wollen, ist eine stärkere Position in der Kirche. Pflichten haben sie schon genug, sie wollen nun auch Rechte.

In seinem Pfarrbrief fragt der Pfarrer die Roxeler Gemeinde: „Was genau sind zum Beispiel die letztlich wirklich not-wendenden Änderungen in der Kirche, damit die Frauen ihre Begabung und ihr Wesen auch in echte, wirksame Leitungsverantwortung einbringen können?“ Mittlerweile stört Ursula Brintrup schon dieser Blick auf Frauen. „Was soll das überhaupt sein, das Wesen der Frau?“, fragt sie verärgert. Auf ihrem Esstisch liegen viele Zeitungsartikel, alles, was sie finden konnte zu Maria 2.0. In den Nächten vor der ersten Mahnwache von Maria 2.0 vor dem Dom in Münster konnte Brintrup kaum einschlafen. „Ich war ja noch nie auf einer Demonstration“, sagt sie.

So wird es vielen Katholikinnen gegangen sein, die Bewegung zieht weite Kreise. Katholikin und Demonstrantin, eine eher seltene Kombination. Zehntausende katholische Frauen in Deutschland betreten dieser Tage keine Kirchen, weil sie sich von ihrer Kirche in so vielen Momenten ausgeschlossen fühlen. Begonnen hat die Bewegung nicht weit von Roxel, im Zentrum von Münster, in einem Lesekreis. Seit Januar 2019 hat sich Elisabeth Kötter mit vier Frauen regelmäßig getroffen, sie lasen Evangelii gaudium, Freude des Evangeliums, die Regierungserklärung von Papst Franziskus.

Elisabeth Kötter, 59, freischaffende Künstlerin, hatte am Abend vor einem Treffen einen Dokumentarfilm gesehen über den Missbrauchsskandal, darüber, wie Täter nicht entlassen, sondern versetzt wurden. Kötter erzählte den Frauen im Lesekreis davon. „Ich kann das nicht mehr vertreten, ich halte das nicht mehr aus“, sagt sie. Die Frauen diskutierten lange, am Ende entschieden sie, ihre Kirche retten zu wollen. "Die frohe Botschaft blieb uns im Hals stecken, weil die Boten teilweise so grauenhafte Dinge getan haben", sagt Kötter. Aus dem Lesekreis wurde die Bewegung Maria 2.0.

„Es ist auch unsere Kirche“

Doch der Missbrauchsskandal war nur der letzte Anstoß für die Frauen, endlich öffentlich Kritik an ihrer Kirche zu üben. „Wir wollen in unserer Kirche mitentscheiden, es ist auch unsere Kirche.“ Kötter erzählt von vielen Diskussionen mit ihren erwachsenen Töchtern. „Ich konnte ihnen irgendwann nicht mehr erklären, warum am Altar nur Männer rumstehen, ich kenne auch kein Argument dafür.“

Nun malt sie jeden Tag ein Frauenporträt mit verklebtem Mund und veröffentlicht es im Internet. „Weil die katholische Kirche für Frauen bislang hauptsächlich einen Platz vorgesehen hat: die schweigende Empfängerin. Das ist das katholische Frauenbild.“ Immer wieder hat sie mit ihrer Kirche gehadert. „Der Gedanke, einfach auszutreten, erscheint manchmal verlockend. Vielleicht wäre manches leichter, aber ich würde mich dabei auch sehr verletzen.“

Wie nah Kötter und vielen anderen Frauen dieses Thema geht, ist bei der Auftaktveranstaltung in Münster zu sehen. Rund 150 Menschen haben sich vor der kleinen Heilig-Kreuz-Kirche versammelt, die Frauen singen, beten. „Es ist uns ernst mit unserer Kirche“, sagt Kötter ins Mikrofon. „Wer Frauen missachtet, missachtet die Hälfte der Kinder Gottes.“ Zum Schluss nehmen sich alle in den Arm, einige von ihnen weinen. Nach fast zwei Stunden stehen Dutzende Frauen noch immer zusammen vor der Kirche, als wollten sie nicht mehr alleine sein.

Die Frauen von Maria 2.0 hätten auch in ihr etwas verändert, sagt Ursula Brintrup, weil sie die Kirche nicht ablehnten oder für überflüssig erklärten, im Gegenteil, sie sind ernsthaft besorgt. Weil Kirche nicht mehr ins Leben der Menschen passt, das zeigt sich auch an der unzeitgemäßen Behandlung der Frauen. „Wenn ich einfach so weitermache, helfe ich auch noch mit, die Kirche immer leerer zu machen.“

Maria 2.0 stellt die letzte Bastion des katholischen Absolutismus infrage: die Nicht-Weihe für Frauen. Frauen sollen Messen lesen, Abendmahl spenden, trauen dürfen. Einfach gleichberechtigt sein mit den männlichen Katholiken. Bislang dürfen Mädchen Messdienerinnen sein und Theologinnen als Pastoralreferentinnen arbeiten. Weibliche Laien dürfen die Kommunion austeilen und die Lesung vortragen. Sie sind dem Altar schon etwas näher gerückt.

Mitte März 2019 stellte die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Vollversammlung eine Studie vor. Daraus geht hervor, dass sich selbst in den traditionell frauenarmen Führungsetagen der katholischen Kirche ein bisschen was tut. Von 2013 bis 2019 ist der Anteil der Frauen in oberen Leitungsfunktionen um mehr als sechs Prozentpunkte gestiegen, auf knapp 19 Prozent. Eine verpflichtende Frauenquote gibt es bislang nicht.

Das Diakonat für Frauen

Seit 2012 ist der Gleichstellungsbeauftragte an den Bewerbungsverfahren beteiligt, seit 2016 gibt es eine Kommission für Geschlechtergerechtigkeit. Die Frauenkommission der Deutschen Bischofskonferenz wird – wie sollte es anders sein? – von einem Mann geleitet, Franz-Josef Bode, Bischof von Osnabrück, eine sehr progressive Stimme unter den deutschen Bischöfen. Bode regte schon an, den Zölibat vom Priesterberuf zu trennen, und befürwortet das Diakonat für Frauen.

Mehr als die Hälfte der 1,28 Milliarden Katholiken auf der Welt sind Frauen. Ihr Anteil an den Entscheidungsprozessen ist nach wie vor verschwindend gering. Annette Schavan, die ehemalige Vatikan-Botschafterin und Bundesministerin, hält das für das falsche Zeichen: „Die Kirche geht durch ein tiefes Tal. Es braucht eine Weiterentwicklung der Theologie des Amtes. Die Öffnung für Frauen gehört dazu“, schreibt sie auf Nachfrage von Christ&Welt. „Es war zu erwarten, dass den Frauen irgendwann der Geduldsfaden reißt. Das wird die Kirche verändern.“

Auch Annegret Kramp-Karrenbauer, Parteivorsitzende der CDU, sagte 2018 im Interview mit Christ&Welt: „Ich wünsche mir, dass die Priesterinnenweihe kommt.“ Die mächtigste Katholikin in der deutschen Politik ist auch der Meinung, dass sich etwas ändern muss. Die Frauen an der Basis machen nun den Anfang.
An einem Sonntag im Mai 2019 versammeln sich rund 700 Gleichgesinnte auf dem Domplatz Münster, in ihrem Rücken der Dom. Maria 2.0 bleibt draußen. Die Frauen singen, sie halten ihren eigenen Gottesdienst ab, ohne den Segen der Männer.

Ursula Brintrup ist gemeinsam mit ihren Freundinnen zur Mahnwache vor dem Dom gekommen. Die Mahnwache sollte 30 Minuten dauern, nach über einer Stunde stehen noch immer Hunderte Frauen zusammen und singen. Nach dem letzten Lied klatscht Ursula Brintrup mit beiden Händen über ihrem Kopf. Sie strahlt.

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