Stiller Kolonialismus
Machtspiele: „Expats“ versus „Immigrant*innen“

Auf einer Hotel-Terasse sitzen mehrere weiße Personen, im Hintergrund sieht man einen Garten und Wasser, weiter hinten steht eine schwarze Person
Expats oder Immigrant*innen? Ein Restaurant in Sambia. | Foto (Detail): Sergi Reboredo © picture alliance

Warum gibt es zwei Begriffe für Menschen, die ihr Heimatland verlassen, um woanders zu leben und zu arbeiten? Die Konnotationen der Begriffe „Expat“ und „Immigrant*in“ verraten die kolonialen Machtstrukturen, die die heutige Migration prägen.

Von James Shikwati

Der Begriff „Expat“ feiert die Präsenz von „Weißsein“ in der nichtwestlichen Welt. Der „Immigrant“ konnotiert die nicht-weiße Fachkraft in der westlichen Welt. Bereits im 14. Jahrhundert entfachten Ambitionen, Abenteuerlust und Erfolgsaussichten massive Bevölkerungsbewegungen von Europa nach Afrika, Asien und Nord-, Mittel- und Südamerika. Das Konzept des „Manifest Destiny“, das die Vorstellung verbreitete, Weiße seien von Gott dazu bestimmt, neue Welten zu besiedeln und zu zivilisieren, rechtfertigte solche Bewegungen. Im afrikanischen und vorwiegend nichtwestlichen Kontext äußert sich das Konzept von Manifest Destiny darin, wie Macht und Privileg über die Benutzung von Begriffen wie „Expat“ und „Immigrant*in“ projiziert werden.

Der Ursprung des „Expats“

Ohne Hintergedanken benutzt, leitet sich Expat aus lateinisch „ex“ (aus) und „patria“ (Land, Heimat) ab. Der Expat ist jede Person, die weggeht, um für einen festgelegten Zeitraum in einem fremden Land zu arbeiten. In der Realität bezeichnet der Begriff, man könnte einwenden fälschlicherweise, jede weiße Person, die im Ausland tätig ist, als Expat. Die Vereinnahmung des „Expat“ durch die westliche Welt ist eine Fortsetzung der kolonialen Mentalität. Im Lauf der Geschichte reisten weiße Kolonist*innen überall hin, machten Entdeckungen, predigten, betrieben Wissenschaft, Handel und Diplomatie. Bei ihrer Rückkehr wurden die Reisenden als Held*innen und Erobernde neuer Welten empfangen, ungeachtet der Grausamkeiten, die sie gegen die Gastgemeinschaften verübten. Dass allein der Westen über die nötige Überlegenheit verfügt, um Expats in „minderwertige“ Regionen zu entsenden, blieb tief in seiner Mentalität verwurzelt.

Westliche „Expats“, unterstützt durch die westliche Presse und Entwicklungshilfegelder, haben die afrikanische Landschaft seit ihrer Unabhängigkeit dominiert: als politische Berater*innen für Regierungen, im Privatsektor und für Nichtregierungsorganisationen. Bei einem Besuch in einer beliebigen afrikanischen Stadt lässt sich leicht feststellen, wo die Expats wohnen und sich aufhalten – sie schaffen abgeschottete Inseln des Privilegs und der Opulenz.

Die anderen Expats: „Immigrant*innen“

Auf der anderen Seite haben wir die „Immigrant*innen“. Ohne Hintergedanken benutzt, bezieht sich der Begriff schlicht auf jemanden, der seine Heimat verlässt, um für einen bestimmten Zeitraum und/oder permanent in einem fremden Land zu leben. Der Westen bezeichnet in andere Kontinente ausgewanderte Europäer*innen selten als Migrant*innen. Die Immigrantin ist in Europa insbesondere dann emotional vorbelastet, wenn es um afrikanische und nicht-weiße Siedler*innen geht. Von Interesse für diese Diskussion ist der verbindende Aspekt dessen, was Migration auslöst – Ambitionen, Abenteuer und das Streben nach Erfolg. Nirgendwo wird von Fällen berichtet, in denen Menschen ihre Heimat mit dem erklärten Ziel verlassen, dort zu leiden, jedenfalls sofern dies nicht wie bei der Sklaverei unter Zwang geschieht. 

Afrikanische Fachkräfte, die weggehen, um in Europa zu arbeiten, gelten nicht als Expats. Europa bezeichnet sie lieber als hochqualifizierte Einwander*innen. Afrikanische Menschen, die weggehen, um in Europa auf Baustellen, als Hausangestellte und in der Landwirtschaft zu arbeiten – das, was man als Arbeitskräfte mit geringem sozialen Status bezeichnet –, haben die Europäische Union zur Zuweisung von Mitteln veranlasst, um diese in Afrika zu halten. Alle „Expats“ sind letztlich Immigrant*innen, aber die typische Verwendung des Begriffs Immigrant*in in westlichen Darstellungen konzentriert sich auf nicht-weiße Personen, die in weiß dominierte Länder ziehen. Die beiden Begriffe „Expat“ und „Immigrant*in“ haben den stillen Kolonialismus in Ländern fortgeschrieben, die sich für ihr Florieren seit Jahrzehnten auf das Kapital und die Freigebigkeit des Westens verlassen.


Eine Frage des Kapitals

Ob man „Expat“ oder „Immigrant*in“ ist, hängt stark von der Beziehung zwischen dem Land ab, das man verlässt, und dem, in dem man sich niederlässt. Wenn man ein Land, das sich durch inaktives Kapital auszeichnet – wie das bei Afrika der Fall ist –, für eines mit aktiviertem Kapital wie etwa Europa oder die Vereinigten Staaten verlässt, führt diese Verbesserung zu einer Darstellung, bei der man als Immigrant*in bezeichnet wird. Bei denjenigen, die Länder mit aktiviertem Kapital für ein Ziel mit noch nicht aktiviertem Kapital verlassen, führt die augenscheinliche Verschlechterung zu einer Darstellung, bei der sie als Expats bezeichnet werden.

Eine weiße Person, die nach Afrika kommt, wird ohne Umstände ihren gewünschten Aufenthaltsstatus bekommen und kann sich problemlos ohne Visum auf dem Kontinent bewegen. Die weiße Person mag von einem bestimmten Thema absolut keine Ahnung haben, aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine afrikanische Organisation sie als Expat einstellt, ist bemerkenswert hoch. Das Gegenteil trifft auf afrikanische Fachkräfte zu – die die wahren Expert*innen sein mögen, und die die weißen Expats anleiten, während der stille Kolonialismus sie daran hindert, ihr Selbstvertrauen zu steigern.

Der sich entwickelnde Wettbewerb zwischen China und westlichen Ländern liefert einen Einblick, wie Afrikaner*innen ihr Schicksal unfreiwillig den Expats überlassen haben, während sie ihre Unabhängigkeit und Souveränität kundtun. Beispielsweise ist es in Afrika die Norm, dass politische Parteien den „Kapazitätsaufbau“ durch Expats akzeptieren und Regierungen sich in Fragen der öffentlichen Ordnung von ihnen leiten lassen. Im Westen würde eine chinesische Person, die versucht, sich mit „Kapazitätsaufbau“ und öffentlicher Ordnung zu beschäftigen, als verabscheuungswürdig, als Bedrohung der nationalen Souveränität und als Versuch betrachtet werden, das westliche System zu infiltrieren.

Der Schlüssel zum Ausgleich des Machtspiels zwischen Expats und Immigrant*innen liegt darin, dass jedes Land in die Aktivierung seines inaktiven Kapitals investiert und sehr genau auf die zerstörerische Macht von Darstellungen achtet. Eine kritische Überprüfung dessen, wie Menschen in Afrika die Begriffe Expat und Immigrant*in interpretieren, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach verändern, wie der Kontinent seine Zukunft gestaltet. Afrikaner*innen können sich entsprechende aktuelle globale Trends zu Nutze machen, um für die Menschen auf dem Kontinent Chancen für eine Neupositionierung des Machtspiels zwischen Expats und Immigrant*innen zu aktivieren.

Die im Folgenden aufgeführten aktuellen Trends können bei der Schwächung des Expats versus Immigrant*innen-Machtspiels enorme Hebelwirkung entfalten. Als erstes kann hier die Entwicklung genannt werden, dass Europa mit der Rückgabe von fortgeschafften Artefakten und Schädeln afrikanischer Held*innen die kulturelle Enteignung des Kontinents einzugestehen scheint. Zweitens: historische Zeugnisse müssen umgenutzt werden, wie man es bei Bewegungen gesehen hat, die in den Vereinigten Staaten koloniale Statuen umstürzen. Drittens muss die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA zu einem Umdenken führen, Expats überall auf dem Kontinent in Regierungsministerien sitzen zu haben – Black Expats Matter. Viertens: das Interesse der Europäischen Union daran, ihre Beziehungen mit Afrika neu zu gestalten, die von der Angst vor afrikanischen Migrant*innen und den sich schnell ausbreitenden chinesischen Tentakeln befeuert wird, muss sich weiterentwickeln. Fünftens bietet ein größerer Zugang zu digitalen Plattformen Chancen dafür, Darstellungen entgegenzuwirken und Alternativen zu liefern. Letztlich geht es um die Aktivierung von inaktivem Kapital, durch die der Kontinent in den Bereichen Sicherheit, soft power, Energietechnik und Diplomatie einen eigenen Sinn für Ambitionen, Abenteuer und Erfolg bestärken kann.

 

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