Ausgesprochen ... integriert
Eine Ideologie aus dem Westen

Eine Person mit zwei Protestplakaten mit Botschaften der Unterstützung für Erzieher*innen und Feminismus.
Menschen nehmen an einem Warnstreik am internationalen Frauentag 2022 teil. In zahlreichen Bundesländern Deutschlands fanden Warnstreiks an Kitas statt, mit dem Ziel, in anstehenden Tarifverhandlungen für soziale Dienste Druck zu erhöhen. | Foto (Detail): Rolf Vennenbernd © picture alliance / dpa

Der Feminismus erlebt einen erneuten Aufschwung in Deutschland, aber nicht in jedem Kulturkreis. Muslimische Gemeinden stehen dem Thema weiterhin skeptisch gegenüber, so Sineb El Masrar.

Von Sineb El Masrar

Der Feminismus ist in seiner Geschichte noch nie so stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt, wie in unserer heutigen Zeit. Noch weit in die 2000er Jahre hinein distanzierten sich hierzulande junge und ältere konfessionslose wie auch religiöse Frauen mit und ohne Migrationshintergrund vom Feminismus. Schlichtweg, weil dieser ihnen zu altbacken und überholt erschien. Der Feminismus galt lange als Nischenthema.

Heute verorten sich eine Vielzahl von Frauen, Mädchen und queere Personen als Feminist*innen. Wo Mensch Feminismus in der Vergangenheit vergeblich gesucht hat, ist er heute allgegenwärtig. Von der Mode- und Pornobranche über religiöse Gruppen bis hin zur Politik, wo der Frage nachgegangen wird, ob die Außenpolitik eine feministische Ausrichtung einnehmen sollte.

Der Feminismus ist hip geworden in Deutschland. Nicht, dass der Feminismus in seinen Hochzeiten, wie zum Beispiel in den 1960er und 1970er Jahren nicht stets für Schlagzeilen sorgte, weil er für die Ewigkeit geglaubten Werte und Normen ins Wanken brachte. Wie zum Beispiel der vermeintlich gottgewollte Platz der Frau im Heim und am Herd inklusiver ehrenamtlicher Freiwilligenarbeit in der Kirch- oder Moscheegemeinde.

Nicht zu vergessen: Kinder neun monatelang austragen, gebären und aufziehen. Hier waren sich zahlreiche eingewanderte muslimische Männer insgeheim einig mit der deutschen konservativen Gesellschaft damals. Mit Schlachtrufen à la „Mein Körper gehört mir“ oder „Frauenrechte sind Menschenrechte“ brachten so manche Bürgerinnen rund um den Globus ihre Gesellschaften ins Grübeln.

Feminismus in muslimischen Regionen

Zwar ist der Feminismus vor allem ein europäisches und nordamerikanisches Projekt, doch die Ideen landeten überall auf fruchtbarem und begeistertem Boden, wo Frauen unter der Ungleichbehandlung litten. So ist es nicht verwunderlich, dass auch in muslimischen Regionen sich feministische Frauenbewegungen entwickelten.

Die Hoffnung auf Selbstbestimmung und Freiheit wurde und wird sogar noch heute meist im Keim erstickt. Nicht selten von Frauen selbst, die sich entweder bewusst oder unbewusst zu Komplizinnen reaktionärer Politik machen. In islamisch geprägten Staaten wird der Feminismus als Gefährdung der inneren Sicherheit wahrgenommen. Dieser zerstöre erst die Familie und fördere dann eine vermeintliche Unmoral, die traditionelle Werte von Ehre, Nationalstolz und uneingeschränkter Zugehörigkeit zum Islam infrage stellt und somit die herrschende Ordnung samt ihrer Machthaber in Gefahr bringt.

Denn der Feminismus wird als eine Ideologie aus dem Westen verstanden und mit dem Westen haben zahlreiche Staaten südlich von Europa und Nordamerika aufgrund von Kolonialismus in der Vergangenheit und einer als imperialistisch empfundenen Außenpolitik nicht nur gute Erfahrung gemacht. Erwartungen von mehr Demokratie und Freiheit wurden enttäuscht. Die Rolle der Eigenverantwortung der jeweiligen Länder wird hierbei bewusst unter den Teppich gekehrt.

Patriarchale Religionen

Reaktionäre und islamistische Muslime verteufeln den Feminismus, wie die westlichen Rechten, da sie ihre patriarchalen und moralischen Werte bedroht sehen. Konservative und liberale Muslim*innen sind hin und her gerissen, weil beide mit der Frage konfrontiert sind, was vom Islam übrigbleibt, wenn Muslime feministische Werte verinnerlichen. Denn der Islam ist wie das Christentum mitsamt seiner Traditionen und Binarität eine patriarchale Religion. So ist es bei muslimischen Frauen in Deutschland, wie bei allen anderen Frauen weltweit: sie profitieren von bereits bestehenden feministischen Errungenschaften, wie selbstbestimmter Bildung und einem Erwerbsleben, da diese für den geringsten Widerstand innerhalb der Familie hierzulande sorgen. Alles, was mit Sexualität zu tun hat, wie Liebe, Sex und körperliche und geschlechtliche Selbstbestimmung bleiben auch im Jahr 2022 ein Kampf, der mehr im Verborgenen als im öffentlichen Raum verhandelt wird. Schlicht deswegen, weil auch heute noch in zahlreichen muslimischen Gemeinden in Deutschland wie oben genannt, der Feminismus als Zerstörer der Familie und des Islams wahrgenommen wird.
 

„Ausgesprochen …“

In unserer Kolumnenreihe „Ausgesprochen …“ schreiben im wöchentlichen Wechsel Sineb El Masrar, Susi Bumms, Maximilian Buddenbohm und Marie Leão. Sineb El Masrar schreibt über Einwanderung und die Multi‑Kulti‑Gesellschaft in Deutschland: Was fällt ihr auf, was ist fremd, wo ergeben sich interessante Einsichten?

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