Interview mit einer deutschen Illustratorin
Julia Friese über das Leben einer Kreativen in Deutschland

 Julia Friese
© Julia Friese. Aus dem Buch „Animales Animados“ von Jorge Lujan

Wie lebt es sich als kreativer Mensch in Deutschland? Wie kommt man als Illustratorin an Aufträge und erreicht finanzielle Stabilität? Was macht den eigenen Stil aus, und wie findet man ihn? Inwiefern unterscheiden sich Illustrationen für Kinder von denen für Erwachsene? Die Berliner Kinderbuch-Illustratorin Julia Friese hat diese und viele andere Fragen vom Magazin des Goethe-Instituts beantwortet.

Von Galiya Muratova

Warum haben Sie sich dazu entschieden, sich auf Kinderbuch-Illustrationen zu konzentrieren?

In Deutschland gibt es sehr wenige Bücher mit Illustrationen für Erwachsene. Wir haben Graphic Novels oder Comics, aber das ist ein etwas anderes Format. Doch die Bücher, die ich illustriere, sind für mich mehr als Kinderbücher – für mich sind es Geschichten, die Bilder und Text in sich vereinen und etwas Interessantes zu erzählen haben. Und überhaupt mag ich diese Unterteilung in Altersgruppen nicht besonders, denn es gibt sehr viele Erwachsene, die Kinderbücher lesen. Deswegen ist mir die Formulierung „Bücher mit Illustrationen“ lieber.

Wie sind Sie zur Illustration gekommen?

Die ersten Bücher mit meinen Illustrationen und Texten wurden veröffentlicht, als ich 19 war. Während des Studiums habe ich dann den Autor Christian Ahmed Duda kennengelernt und wir haben aus einer seiner Ideen ein erstes gemeinsames Buch entwickelt. Die Arbeit mit Duda stellte sich als so interessant und produktiv heraus, dass ich im Buchwesen geblieben bin. Und bis heute arbeite ich mit diesem Autor zusammen. Übrigens gibt es bei unseren Projekten oftmals gar keinen fertigen Ausgangstext: wir erstellen sie Seite für Seite gemeinsam, und im Laufe dieses Arbeitsprozesses werden Text und Bild zu einem gemeinsamen Ganzen.


Wie lange haben Sie Ihren eigenen Stil gesucht?

Ich habe nicht gezielt danach gesucht, sondern er hat sich im Laufe der Zeit selbst entwickelt. Vielleicht zeichnet ihn aus, dass ich sehr ungeduldig bin, sehr gerne schnell arbeite und deshalb hier und da ständig ein paar Striche hinzufüge, immer etwas ausbessere.

Julia Friese © © Julia Friese. Aus dem Buch „Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest“ Julia Friese © Julia Friese. Aus dem Buch „Ein Nilpferd steckt im Leuchtturm fest“

Wie erstellen Sie Ihre Illustrationen? Zeichnen Sie mit der Hand oder auf dem Tablet?

Ich male mit Aquarell und mit Acryl, mische verschiedene Techniken und mache Collagen, arbeite mit Kaltnadelradierung. Danach scanne ich die Bilder, bearbeite sie mit Photoshop und InDesign. Für mich sind die Arbeit mit den Händen und digitale Technologien zwei unterschiedliche Welten. Seit kurzem arbeite ich mit einen Zeichenbildschirm und ich bin überrascht, wie viele Möglichkeiten sich da bieten. Aber ich will meine Erfahrung in der praktischen Arbeit mit den Händen und auf Papier nicht missen – das ist einfach ein ganz anderes Gefühl.

Erzählen Sie bitte, wie die kommerzielle Seite der Arbeit von Kunstschaffenden in Deutschland aussieht.

Bei kommerziellen Aufträgen, etwa dem Entwurf von Plakaten und Illustrationen für Zeitschriften, wird das Honorar bei Abgabe des Projekts gezahlt. Viele freie Kunstschaffende beklagen, dass sie nur mit Verzögerung bezahlt werden, aber ich habe in dieser Hinsicht mit meinen Kund*innen bis jetzt immer Glück gehabt. Bei Buchillustrationen wird ein Vorschuss gezahlt, und später kommt dann eine Abrechnung der Tantiemen – wenn viele Exemplare des Buches verkauft wurden, wird zum Beispiel noch etwas nachgezahlt. Wird nur ganz wenig verkauft, behält der/die Illustrator*in aber dennoch den Vorschuss. Prozentual gesehen gehen in Europa zwischen vier und fünf Prozent des Verkaufspreises pro Exemplar an den/die Illustrator*in. Wenn das Buch kein Bestseller wird, ist das unter dem Strich nicht viel. Manchmal gibt es aber später noch zusätzliches Geld, wenn die Geschichte aus dem Buch im Theater inszeniert wird oder damit Workshops oder Lesungen gemacht werden. 

Und wie überlebt man da als Kreative*r? 
Ich persönlich habe mich von Beginn an entschieden, parallel kommerzielle Aufträge anzunehmen, wenn ich Bücher machen will. So habe ich die Freiheit, Projekte eben auch abzulehnen. Und die meisten Bücher machen wir auch gar nicht im Auftrag von Verlagen, sondern arbeiten einfach im Team mit dem/der Autor*in. Allerdings hat die Mischung von kommerziellen und freien Projekten den Nachteil, dass die freien Arbeiten immer hinten anstehen und ich damit oft sehr lange für das Zeichnen eines Buches brauche.
 
  ©

Wie arbeiten Sie: als Freelancerin, oder arbeiten Sie mit einem/r Agent*in oder irgendeiner Firma zusammen?

Ich habe praktisch eine Firma, die aus einem einzigen Menschen besteht: nämlich mir selbst. Mit einem Agenten oder einer Agentin habe ich nie versucht, zu arbeiten, aber vielleicht wäre das ganz interessant. Die Leute stoßen oft über meine Website oder über Empfehlungen auf mich.

Benutzen Sie auch andere Marketing-Methoden des Marketings, zum Beispiel soziale Netzwerke oder gemeinsame Projekte mit anderen Kunstschaffenden?

Was die Zusammenarbeit mit anderen betrifft, werden solche Angebote üblicherweise von außen an mich herangetragen, ich schreibe da niemanden direkt an. Instagram habe ich erst vor kurzem entdeckt und kenne mich noch nicht so richtig damit aus, aber ich finde die Idee schön, damit ein kleines Archiv der eigenen Arbeiten anzulegen. Im Unterschied zu einer Website, auf der ja in der Regel die großen Projekte vorgestellt werden, kann man hier Arbeiten ganz unterschiedlichen Maßstabs unterbringen.

Sie arbeiten mit Buchautor*innen aus verschiedenen Ländern zusammen. Was können Sie Illustrator*innen raten, die nach Aufträgen auf dem internationalen Markt suchen?

Ein Universalrezept gibt es da nicht. Jedes Land hat seine eigenen Gesetze. Wenn man in einem anderen Land arbeiten möchte, muss man diese in Erfahrung bringen und sich auf dem Markt orientieren.

Mit welchen Problemen mussten Sie sich als Illustratorin schon auseinandersetzen?

Unsere Ausbildung war sehr kunstorientiert, aber wenig auf die geschäftlichen Themen und Fähigkeiten ausgelegt. Man hat uns nicht nahegebracht, wie man Rechnungen schreibt, Verhandlungen führt, Verträge abschliesst und so weiter. Das sind als Selbstständige*r aber sehr wichtige Aufgaben. Ich hatte in der Beziehung Glück, aber ich habe Freunde, die zum Beispiel für ein Projekt nicht bezahlt wurden, oder die Rechte an ihren Werken wurden ungefragt an einen anderen Verlag verkauft. Ich selbst habe auch Fehler gemacht: zum Beispiel habe ich mich am Anfang auf Projekte eingelassen, die mir eigentlich nicht gefallen haben. Um solche Fehler zu vermeiden, sollte man am besten mit Leuten reden, die schon im Bereich Illustration beschäftigt sind. Und die sich auch nicht scheuen, den finanziellen Teil anzusprechen. Manchmal wenden sich Studierende mit ihren Fragen an mich, und ich bin dann sehr froh, wenn ich ihnen helfen kann.  
Julia Friese © © Julia Friese Julia Friese © Julia Friese


Inwieweit muss man den Druckprozess kontrollieren?

Auf den Verlag, mit dem ich zusammenarbeite, kann ich mich verlassen, aber wenn ein Buch in einem anderen Land verkauft wird, kann ich die Druckqualität und den Vertrieb gar nicht kontrollieren. Einmal wurde zum Beispiel bei einem Druck im Ausland eine Illustration von einer Innenseite für das Cover verwendet. Ich habe aber eine kleine Allergie dagegen, dasselbe Bild zwei Mal in einem Buch zu verwenden. Auch Druckfehler kommen vor. Genauso schwierig kann es sein, genaue Informationen dazu zu bekommen, wie viele Bücher im Ausland verkauft werden und wie hoch die Ausschüttung der Tantiemen sein sollte.


Welche Trends gibt es Ihrer Auffassung nach gerade in der Kinderbuch-Illustration?

Ich finde es schwierig, da irgendwelche Trendrichtungen auszumachen, denn es kommen jede Saison so viele neue Kinderbücher auf den Markt. Aber ich habe den Eindruck, dass die Kinderbuch-Illustration offener wird und die Grenzen zwischen Bildern für Kinder und für Erwachsene immer stärker verschwimmen.

Helfen Ihnen Ihre eigenen Kinder bei ihrer kreativen Arbeit?

Meine große Tochter ist fünf Jahre alt, sie malt die ganze Zeit, und das freut mich sehr. Ich habe immer davon geträumt, ein Kind zu haben, dass sich für Kreativität interessiert, damit ich beobachten kann, wie Kinder denken. Meine Tochter bringt stapelweise ihre Arbeiten aus dem Kindergarten mit nach Hause, man könnte schon eine Ausstellung daraus machen.

Kreative Berufe gehören nicht zu den leichtesten. Wie stand Ihre Familie Ihrer Berufswahl gegenüber?

Mein Vater ist Ingenieur und meine Mutter Fotografin. Anfangs wollte ich gerne Ärztin werden. Und meine Zensuren hätten es auch zugelassen, dass ich mich für Medizin einschreibe. An der Kunsthochschule habe ich mich einfach nur aus Interesse beworben, ich hätte nicht gedacht, dass man mich dort nehmen würde. Im Endeffekt hatte ich dann einen inneren Konflikt zu bewältigen, weil ich eben nicht erwartet hatte, dass ich es schaffen würde. Außerdem hatte ich am Beispiel meiner Mutter gesehen, dass man als kreativer Mensch nicht so leicht Geld verdienen kann. Die Meinung meiner Eltern ging ebenfalls auseinander. Mein Vater fand, dass ich, wenn ich mich für die Medizin entscheide, trotzdem in meiner Freizeit etwas für mich malen könnte. Meine Mutter meinte, dass man die Dinge realistisch betrachten müsse: ein Studium an der medizinischen Fakultät würde es nicht erlauben, nebenbei kreativ zu sein, und so sei es besser, sich für eine Sache zu entscheiden. Ich habe mich dann für die Kunsthochschule entschieden.  Ich glaube nach wie vor, dass die Medizin sehr interessante Berufsmöglichkeiten bietet. Aber ich empfinde es als großes Glück und einen großes Luxus, dass ich mit dem, was ich am liebsten mache – also dem Zeichnen und dazu gehört auch das viele Reisen – meinen Lebensunterhalt verdienen kann.

Mit was raten Sie einem/r angehenden Buchillustrator*in, anzufangen?

Ich glaube, dass es guttut, im Team zu arbeiten. Findet, während ihr studiert, jemanden, der/die schreibt – das kann genauso jemand im Studium sein – und arbeitet zusammen. Und schaut euch weniger fertige Arbeiten im Internet an. Ich bin sehr froh, dass wir nur die Bibliothek mit einer Auswahl an Arbeiten von anderen zur Verfügung hatten, als ich studiert habe. Ich denke, dass die sozialen Medien uns da sehr beeinflussen: um die eigene Stimme zu hören, muss man sich eben auf sich selbst konzentrieren und eine Art innere Isolation herstellen. Heutzutage strömt eine unfassbare große Flut an Bildern auf uns ein, und das hinterlässt Spuren: wenn wir immerzu die Arbeiten anderer konsumieren, ist es schwieriger eine eigene visuelle Sprache zu entwickeln.

Top