​Literaturhaus Berlin
Mein Schwerpunkt ist die Lyrik

Die Wandmalereien im Eingangsbereich des Literaturhauses
Die Wandmalereien im Eingangsbereich des Literaturhauses. | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

Uljana Wolf ist Lyrikerin, Übersetzerin, Essayistin und Universitätsdozentin. Ihre Art, Literatur zu machen, ist geprägt von ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit, vielseitig zu arbeiten und Grenzen aufzulösen. Zehn Jahre lang lebte sie in New York, heute arbeitet und lebt sie mit ihrer Familie in Europa, in Berlin. Wenige Tage vor dem Teil-Lockdown haben wir uns zum gemeinsamen Frühstück im Literaturhaus getroffen.

Von Giulia Mirandola

Was isst Uljana Wolf gewöhnlich zum Frühstück?

Zwei Eier im Glas, ohne Butter, so wie ich sie gerade bestellt habe, aber auch Joghurt und Müsli. Ich stehe gewöhnlich um 6 Uhr auf und frühstücke dann gemeinsam mit meinen Töchtern. Meine Kleine isst immer Schokobrei, die Ältere weiß nie, was sie essen will.
 
In den 60er Jahren lud die Choreografin Manja Chmièl immer wieder Autoren und Autorinnen der Gruppe 47 in dieses Haus ein. Welche Erfahrungen haben Sie mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen?

Ich bin nicht sehr interdisziplinär aufgestellt, hatte aber im Rahmen von Künstlerresidenzen öfter Mal Gelegenheit, mit anderen zusammenzuarbeiten. Meine wichtigste Erfahrung in diesem Zusammenhang war 2010 der Aufenthalt in der Villa Aurora in Los Angeles. Dort habe ich den kanadischen Komponisten Marc Sabat kennengelernt und wir stellten fest, dass wir ein ähnliches Interesse für die Zusammenführung von experimentellen Verfahren haben. Vor einiger Zeit haben wir angefangen, eine Kantate zu schreiben, die auf einer homophonen Übersetzung des Anfangs von Ovids Metamorphosen beruht.
 
Was ist ein Buch?

Ein Buch ist eine Einladung zum Gespräch, ein wunderschönes Objekt, ein Geheimnis, ein Geschenk an die Zukunft desjenigen, der es liest.
 
Und was sind Wörter?

Wörter nehme ich als Dinge wahr. Wenn ich Gedichte schreibe, ist die wichtigste Funktion des Wortes, dass es einen Körper und einen Klang oder mehrere Klänge hat. Viel von meinem Schreiben ist Spielen. Sprachspiel löst in unseren Gedanken eine winzige Drehung aus, die unmittelbar neue Verbindungen und Sichtweisen möglich macht. So erleben ja auch Kinder die Sprache und die Welt: durch Sprachspiel. Das hält die Sprache lebendig.

  • Ich begrüße Uljana Wolf mit einem Foto © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    Ich begrüße Uljana Wolf mit einem Foto.

  • Ein Porträt des niederländischen Schriftstellers Menno ter Braak im Wintercafé. Künstler: El Bocho © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    Ein Porträt des niederländischen Schriftstellers Menno ter Braak im Wintercafé. Künstler: El Bocho.

  • Im Garten des Li-Be wächst eine wunderschöne Buche © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    Im Garten des Li-Be wächst eine wunderschöne Buche.

  • In der Buchhandlung finde ich eine Ansichtskarte, die das Literaturhaus von außen zeigt © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    In der Buchhandlung finde ich eine Ansichtskarte, die das Literaturhaus von außen zeigt.

  • Gewisse Ecken im Li-Be wirken wie Bühnenbilder aus einem Theaterstück © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    Gewisse Ecken im Li-Be wirken wie Bühnenbilder aus einem Theaterstück.

  • Wenige Tage vor dem Teil-Lockdown wurde im Li-Be eine Ausstellung der Fotografin Barbara Klemm eröffnet © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola

    Wenige Tage vor dem Teil-Lockdown wurde im Li-Be eine Ausstellung der Fotografin Barbara Klemm eröffnet.

In Ihren Texten stehen Deutsch und Englisch oft nebeneinander. Außerdem übersetzen Sie auch. Vergangenes Jahr haben Sie am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin Poetik der Übersetzung unterrichtet. Was bedeuten Sprache und Übersetzung für Sie?

Eine Sprache ist nicht nur eine Sprache, sie ist viele Sprachen. Einige von ihnen kennen wir, andere kennen wir noch nicht. Jeder von uns benutzt niemals nur eine und niemals nur seine eigene Sprache. Eine Übersetzung ist für mich eine weitere Station auf dem Weg des Gedichts. Sie ist ein neuer Text, der ein neues Leben und eine neue Form hat, sie ist in jeder Hinsicht eine Neuschöpfung.
 
Ihr jüngstes Buch, Etymologischer Gossip. Essays und Reden erscheint demnächst bei Kookbooks, einem unabhängigen Verlag mit Liebe zum Experimentellen. Wie sind Sie zu diesem Verlag gekommen und wie hat sich diese Beziehung entwickelt?

Kookbooks begann Ende der 90er Jahre, Anfang 2000 als kulturelles Projekt, Musiklabel und Netzwerk für Künstler und Musiker. Das Kollektiv bestand unter anderem aus der Lyrikerin und späteren Verlegerin Daniela Seel, dem Grafiker und Illustrator Andreas Töpfer, den Autoren Alexander Gumz, Karla Reimert und Jan Böttcher, Autor und Sänger der Band „Herr Nilsson“. Mein erster Gedichtband mit dem Titel kochanie ich habe brot gekauft ist 2005 bei Kookbooks erschienen. Seither ist Daniela Seel meine Verlegerin, wobei ich sie auch als Freundin, Gesprächspartnerin, Leserin und Lyrikerin sehr schätze.
 
Unweit des Li-Be befand sich einst das legendäre Romanische Café, das Anfang des 20. Jahrhunderts ein beliebter Treffpunkt für Künstler war. Wo treffen sich die Dichter und Dichterinnen Berlins heute?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe zehn Jahre in New York gelebt, dann bin ich nach Berlin zurückgekehrt und seit meine zwei Töchter zur Welt gekommen sind, hat sich mein Leben natürlich verändert. Ich habe weniger Zeit als früher, um zu Abendveranstaltungen und Werkstätten zu gehen. Außerdem sind durch Corona gewisse Formen des Zusammentreffens faktisch unmöglich geworden. Ich persönlich habe auch nicht das Bedürfnis nach Zusammenkünften mit vielen Menschen. Ich merke immer mehr, dass ich lieber wenige gute Beziehungen pflege.
 
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Ich war noch jung. Eine Lehrerin schlug mir vor, eine Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche zu besuchen, die im FEZ, dem ehemaligen Pionierpalast, unter der Leitung der Lyrikerin Eva Schönewerk angeboten wurde. Jahrelang ging ich da jeden Mittwoch hin, um mit Eva und anderen jungen Autor*innen zu schreiben. Diese Erfahrung hat mich nachhaltig geprägt. Ich habe sehr viel gelernt: zu schreiben, einen Text zu kommentieren, zu lesen, zu sprechen, offen und aufmerksam zu sein, meine poetische Wahrnehmung zu entwickeln.
 
Was verbindet die Lyrik, den Essay, die Übersetzung, die akademische Lehre und die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern?

Als ich angefangen habe zu schreiben, zunächst Prosa, dann Lyrik, war mir relativ schnell klar, dass mein Schwerpunkt, das Objekt meiner Neugier, meine Lust die Lyrik ist. Von dieser Konzentration beginnt dann die Öffnung und die „Streuung“ ins Übersetzen, ins Essayistische, ins Unterrichten. Die Grenzen zwischen diesen Bereichen werden von mir immer wieder hinterfragt, erweitert, durchbrochen. Mein Aktionsbereich ist die Sprache in allen ihren Formen.
 
Welcher Ort in New York kommt dem Literaturhaus Berlin am nächsten?

Die New Yorker Literaturszene ist ganz anders aufgestellt als die in Berlin. Ein bedeutender Ort für die Lyrik ist das Poetry Project in der St Mark’s Church, wo Lesungen experimenteller Lyrik stattfinden. Ein anderer wichtiger Ort ist das Poets House, das man mit dem Haus für Poesie in Berlin vergleichen könnte. Aber es gibt keine „Literaturhäuser“, wie wir sie hier kennen. Im Gegenzug gibt es dort winzige Buchläden und Galerien, die ein entsprechendes Kulturprogramm anbieten.
 
In der Fasanenstraße und rund um das Li-Be haben im Laufe des 20. Jahrhunderts viele Schriftsteller und Schriftstellerinnen gelebt. Wen würden Sie nach diesem Interview gerne treffen?

Ich würde sehr gern Else Lasker-Schüler treffen. Ich würde sie einladen, mit mir im Romanischen Café ganz lange Kaffee zu trinken und ihr vorschlagen, Mein Herz: Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen heute noch einmal neu zu schreiben. Das ist eines meiner Lieblingsbücher dieser Autorin.

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