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Interview mit Stefanie Hetze
Wie gerne würde ich zur Kinderbuchmesse nach Bologna fahren!

Bologna, Children’s Book Fair 2019
Bologna, Children’s Book Fair 2019 | © Goethe-Institut Italien | Foto (Zuschnitt): Giulia Mirandola

Stefanie Hetze ist Inhaberin der Berliner Buchhandlung Dante Connection und derzeit Mitglied der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises, dem wichtigsten Preis für Jugendliteratur in Deutschland. Zusammen mit Christiane Benthin ist sie für die Sparte „Bilderbücher“ zuständig. Im Laufe eines Jahres gehen Tausende von Büchern durch ihre Hände, die für den renommierten Preis nominiert sind oder ihn gar gewinnen. In diesem Interview erzählt sie uns von ihrer Arbeit als Jurorin und hilft uns, mehr über die Besonderheiten des deutschen Verlagsmarktes zu erfahren.

Von Giulia Mirandola

Sie sind Mitglied der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises. Wie ist es dazu gekommen, und können Sie ihre Rolle dabei beschreiben?

Die Kinderliteratur hat sich im Laufe der Zeit zu einem wichtigen Schwerpunkt, ja Herzensprojekt, bei uns in der Buchhandlung Dante Connection entwickelt. So wie bei der Erwachsenenliteratur achten wir bei den Büchern für jüngere Leser*innen akribisch auf Qualität und Originalität. Wir arbeiten viel im Bereich der Leseförderung, kooperieren mit Schulen und Kitas. In dem Zusammenhang hatte Bettina Braun, die Leiterin des Best-Practice-Lesekellers an der Adolf-Glaßbrenner-Grundschule in Berlin-Kreuzberg, die 2019 und 2020 Jurymitglied gewesen war, mir vorgeschlagen, mich beim AKJ (Arbeitskreis Jugendliteratur) zu bewerben. Meine Bewerbung wurde angenommen, und so bin ich eine der Juror*innen für 2021 und 2022 geworden. Meine Sparte ist das Bilderbuch zusammen mit meiner Co-Jurorin Christiane Benthin, die als Dozentin für u.a. Kinder-und Jugendliteratur an der Pädagogischen Akademie Elisabethenstift in Darmstadt tätig ist.
Schaufenster der von Stefanie Hetze geleitete Buchhandlung Dante Connection in Berlin. Schaufenster der von Stefanie Hetze geleitete Buchhandlung Dante Connection in Berlin. | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola Sie sind auch unabhängige Buchhändlerin in der Berliner Buchhandlungsszene. Wie stark wirkt sich der Deutsche Jugendliteraturpreis auf den Jugendliteraturmarkt und die Leseförderung aus?

Der Preis, ja auch die Nominierungen, die im Frühjahr zur Leipziger Buchmesse veröffentlicht werden, leider auch dieses Jahr wieder nur digital, hat in der Öffentlichkeit eine große Reichweite und, vor allem in der Kinderliteraturszene, viel Renommee. Auf der Seite des AKJ gibt es zu den Titeln Materialien zum Download (Preisverdächtig Praxistipps), in der Fachzeitschrift JuLit gibt es Artikel zu den Siegern, zu allen nominierten Büchern werden im Sommer jeweils Tagesseminare veranstaltet, da passiert also eine Menge. Die Verlage profitieren natürlich auch davon. Und den Buchhandlungen helfen die Etiketten, silbern für die Nominierten und golden für die Siegertitel.

In Anbetracht dieser Erfahrung in der Kritikerjury, wie geht es dem Jugendliteratur in Deutschland? Welches sind heute die wichtigsten Themen und wer sind die wichtigsten Autor*innen, Illustrator*innen und Verlage?

Das ist eine sehr große Frage, die viel Raum beanspruchen würde, und Sie da unbedingt ein weiteres Interview daraus machen müssen, weil da gibt es doch so viele Aspekte. Die Jugendliteratur hat in Deutschland mittlerweile einen hohen, auch ökonomischen, Stellenwert, das bedeutet, viele Verlage haben Kinder als Zielgruppe entdeckt, ja selbst Verlage, die bislang überwiegend Erwachsenenliteratur verlegten, sind jetzt in diesen Zweig eingestiegen. Besonders ist da der Insel Verlag, der zum Beispiel äußerst erfolgreich die biografische Little People-Reihe auf dem hiesigen Markt vertreibt. Diese Verlage arbeiten vor allem mit übersetzten Lizenztiteln, während die kleineren, unabhängigeren Verlage wie Klett Kinderbuch, Jacoby&Stuart oder der Peter Hammer Verlag und die klassischen deutschen Kinderbuchverlage wie Beltz oder Oetinger sowohl Übersetzungen als auch Eigenproduktionen herausbringen. Gerade aber die Indieverlage gehen, wenn sie neue Autor*innen, Illustrator*innen und Themen in die Welt bringen möchten, oft auch große Wagnisse ein.
Einige Bücher, die beim DJLP 2021 nominiert und ausgezeichnet wurden Einige Bücher, die beim DJLP 2021 nominiert und ausgezeichnet wurden. | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola So sehr freue ich mich als Buchhändlerin dann, wenn ein auch in der Herstellung sehr aufwendiges Buch wie Hunde im Futur, ein Grammatikbuch der deutschen Sprache, erschienen im kleinen Susanna Rieder Verlag, auf richtige Resonanz stößt. Es bietet übrigens auch im DaF-Unterricht einen ganz anderen spielerischen Zugang zur deutschen Grammatik. Hunde im Futur ist ein Beispiel für die, wie ich finde, begrüßenswerte Tendenz, Kinderbücher mit besonderer Ausstattung zu verlegen, sozusagen als Familien- oder Hausbücher zum Mitwachsen. Das ist oft eine Kombination verschiedener Genres aus Illustration, Erzähltext und Sachelemente wie zum Beispiel Die kleine Waldfibel von Linda Wolfsgruber, bei Kunstanstifter erschienen, die Lust machen, sich auf vielerlei Weise einem Thema zu nähern.

Ein aktueller Trend ist auch das besondere erzählende Sachbuch, so verlegen Gerstenberg, Moritz, Kleine Gestalten und viele andere prachtvolle Sachbilderbände zu einem breiten Themenspektrum. Am besten Sie schauen sie sich auf den jeweiligen Verlagsseiten an oder noch besser direkt in einer unabhängigen Buchhandlung. Denn auch die Haptik spielt eine wichtige Rolle. Da wird sehr viel mit Papier, Pappe und Farbe experimentiert…
Ein Buch, das den DJLP 2021 gewonnen hat Ein Buch, das den DJLP 2021 gewonnen hat | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola Noch etwas Wichtiges: Zum Glück ist bei der Mehrheit der deutschen Verlage der Vielfaltsaspekt endlich angekommen. Es werden immer mehr Bücher verlegt, in denen sich Kinder in ihren unterschiedlichsten Lebensrealitäten wiederfinden können.

Wie wirkte es sich auf Ihre Arbeit aus, dass wir zurzeit keine richtigen Buchmessen haben?

Das ist einfach schade, dass diese wichtigen Orte der nicht verabredeten Begegnungen für den Austausch fehlen. Die Online-Veranstaltungen können den direkten Austausch einfach nicht ersetzen, aber hoffen wir einmal auf das Frühjahr und den Sommer. Wie gerne würde ich nach Bologna zur Kinderbuchmesse fahren…
 
Wie wird sich der Deutsche Jugendliteraturpreis Ihrer Meinung nach in Zukunft entwickeln?

Der DJLP ist seit jeher kein statisches Gebilde, alle in der Jury können nur maximal 4 Jahre tätig sein, das sorgt für immer wieder neue Impulse. Ich persönlich würde mir wünschen, dass sich die Jury mehr diversifiziert.
Manno! Hoffentlich bald auch in italienischer Übersetzung zur Verfügung Manno! - hoffentlich bald auch in italienischer Übersetzung zur Verfügung | © Goethe-Institut Italien | Foto: Giulia Mirandola Gibt es ein, zwei aktuelle deutsche Jugendbuchtitel, die Ihrer Meinung nach unbedingt ins Italienische übersetzt werden sollten, und warum?

Ach, da gibt es so viele! Auf jeden Fall Anke Kuhls vielfach ausgezeichnete(*) autobiografische Comic- Erzählungen Manno! Alles genau so in echt passiert, erschienen im Klett Kinderbuchverlag, über Kindheit und Familienleben in der westdeutschen Provinz der Achtziger Jahre. Sehr witzig, sehr flott, aber auch sehr berührend und mit wunderbar leichtem Strich erzählt Anke Kuhl vom damaligen Alltag in ihrer Familie, von Geschwisterstress und -freuden, von familiären Ritualen, aber auch den Problemen und Brüchen. Einfach genial. Genaueren Einblick in eine andere Provinz gibt das Kinderbuch Nuschki von Martin Muser und Tina Schulz (Illustr.), Carlsen Verlag, in dem es um einen dreibeinigen kleinen Hund aus Polen geht, den es über die Oder nach Deutschland verschlagen hat und der wieder zurück nach Polen möchte und so den Grenzfluss überqueren muss. Neben der lustigen Abenteuergeschichte zeichnet sich das Buch durch die Gestaltung aus, die mit Collagen aus Fotos und Zeichnungen sowie kleinen Comicelementen die Geschichte anreichert und dabei auch geografisch in der deutsch-polnischen Grenzregion verortet. So könnte ich noch lange weitermachen, am besten, Sie besuchen uns einmal in der Buchhandlung. Dann zeige ich Ihnen gerne mehr.

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(*) Comicbuchpreis 2019 der Berthold-Leibinger-Stiftung; Beste 7 im März 2020; Luchs des Monats im Juni 2020; Max und Moritz-Preis 2020 (Kategorie: „Bester Comic für Kinder“); White Ravens 2020; Leselotse der Zeitschrift Buchjournal; Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2021 (Sparte: Kinderbuch).
 

Stefanie Hetze © Foto: Vittorio Struppek Wiedemann Stefanie Hetze studierte Publizistik, italienische und amerikanische Literatur. Seit 1994 führt sie die unabhängige literarische Buchhandlung Dante Connection in Berlin, die vier Mal mit dem Deutschen Buchhandlungspreis und vielfach für ihre Aktivitäten im Bereich Kinderliteratur ausgezeichnet wurde. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind ein ausgesuchtes Sortiment an Kinder- und Jugendliteratur, enge Kooperationen mit Kitas, Schulbibliotheken und pädagogischen Fachkräften im Bereich Leseförderung und die Veranstaltung von Kinderbuchlesungen. Sie ist im Vorstand des gemeinnützigen Vereins Viel & Mehr zur Förderung von Vielfalt und Mehrsprachigkeit in illustrierten Büchern.

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