Film Spuren – Die Opfer des NSU

SPUREN, von Aysun Bademsoy © Salzgeber & Co. Medien GmbH (Fotoausschnitt) © Salzgeber & Co. Medien GmbH (Fotoausschnitt)

Fr, 12.11.2021

21:00 Uhr

Turin, Cinema Massimo

Italienische Voraufführung des Films Spuren – Die Opfer des NSU (2019, Deutschland, 81 Min.) und Gespräch mit der Regisseurin Aysun Bademsoy, moderiert von Murat Cinar. Im Rahmen des Festivals Crocevia di sguardi und des von der Stadt Turin und dem Museo nazionale del Cinema geförderten Projekts Culture alla Mole.

Der Film wird zudem für 400 virtuelle Zuschauerplätze online zu sehen sein: von Mittwoch, 10. November, 21 Uhr bis Freitag, 12. November, 24 Uhr auf Festivalscope.
 

Der Film

Zwischen September 2000 und April 2007 wurden acht Männer mit türkischen Wurzeln, ein griechischstämmiger Mann sowie eine deutsche Polizistin ermordet. Die Ermittlungen wurden zunächst ausschließlich im Umfeld der nicht-deutschen Opfer mit Verdacht auf Drogenhandel und organisierte Kriminalität geführt. Die Familien der Ermordeten wurden so ein weiteres Mal zu Opfern, diesmal von vorurteilsvoller Stigmatisierung. Nach einem gescheiterten Bankraub führte die Spur schließlich zu der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Nach dem Suizid der beiden Haupttäter begann 2013 der Prozess gegen die einzige Überlebende des NSU-Trios, Beate Zschäpe, sowie vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer und endete 2018. Die zu milden Strafen für die Mitangeklagten und die zahlreichen ungeklärten Fragen ließen die Angehörigen der Opfer enttäuscht und desillusioniert zurück. Ihr Glaube an den Rechtsstaat ist grundlegend erschüttert.

SPUREN, von Aysun Bademsoy (Standbildausschnitt) © Salzgeber & Co. Medien GmbH © Salzgeber & Co. Medien GmbH Spuren – das sind nicht nur die Hinweise, die Verbrecher am Tatort hinterlassen, sondern auch die Verletzungen und Narben, die ihre Taten bei den Angehörigen der Opfer, in den migrantischen Gemeinschaften und in der gesamten deutschen Gesellschaft verursachen. In ihrem Dokumentarfilm begibt sich die türkischstämmige Regisseurin Aysun Bademsoy auf die Suche nach diesen Spuren und stellt sich dabei die Frage, welcher Prozess diese Verletzungen überhaupt heilen könnte. Spuren ist ein vielschichtiger Dokumentarfilm, der das Scheitern von Ermittlern und Justiz beleuchtet – und den Angehörigen der Opfer endlich eine Stimme gibt.
 

Statement der Regisseurin

„Nach den Enthüllungen der NSU-Morde an acht Menschen mit türkischen Wurzeln war dies nicht nur eine Tragödie für die betroffenen türkischen Familien, sondern auch für die Generation türkischer Migranten in Deutschland, zu denen auch ich gehöre. Die, die sich für Deutschland als Heimat entschieden hatten. Nicht wie unsere Eltern, die heute noch von ihrer verlassenen Heimat träumen, in die sie irgendwann einmal zurückkehren wollten. Wir waren Deutsche und hatten Vertrauen in diesen Staat. Das mühsam erarbeitete Vertrauen bekam nach den Enthüllungen der NSU-Morde einen Riss.
Denn der Hass, der das NSU-Trio bei der Auswahl ihrer Opfer leitete, richtete sich gegen genau uns, diese zweite und dritte Generation der Deutschtürken. Eine Generation, die sich darauf verlassen hatte, dass der Staat Rassismus nicht duldet und sie davor schützen würde. Stattdessen versagten die Institutionen: Die Ermittlungen in den Mordfällen selbst waren geleitet von Misstrauen, Ressentiments und rassistischen Motiven. Die NSU-Morde sind mehr als menschliche Schicksale, sie sind für die zweite und dritte Generation ein dramatischer Wendepunkt in ihrem Verhältnis zu Deutschland und ihrer Sehnsucht nach einer Heimat, die Deutschland vielleicht einmal war.
Diese Wunden, die bei uns entstanden sind: Werden oder können sie überhaupt heilen? Und wie gewinnt man ein Vertrauen zurück, das tief erschüttert wurde?“
 

Die Regisseurin

Aysun Bademsoy © Salzgeber & Co. Medien GmbH © Salzgeber & Co. Medien GmbH Aysun Bademsoy wurde 1960 im türkischen Mersin geboren. Neun Jahre später zog sie mit ihrer Familie nach Berlin. Nach Abschluss ihres Journalismus- und Theater-Studiums an der Freien Universität Berlin begann sie 1989, Dokumentarfilme zu drehen. In ihrem ersten Independent-Film Mädchen am Ball (1995) porträtierte sie ein türkisches Frauenfußballteam, mit dessen Karriere sie sich auch in Nach dem Spiel (1997) und in Ich gehe jetzt rein… (2008) befasste. Als Regieassistentin und Produktionsmanagerin arbeitete sie mit Harun Farocki und Christian Petzold zusammen; zudem war sie als Filmeditorin und Schauspielerin tätig. Aysun Bademsoy lebt und arbeitet in Berlin.
 

Trailer

 
  Für eine weitergehende Beschäftigung empfehlen wir aus der breiten in Deutschland erschienenen Literatur zum NSU einige Publikationen, die das Thema unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der Opfer behandeln:

Semiya Şimşek, Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater, Rowohlt, 2013
Mehmet Daimagüler, Empörung reicht nicht!: Unser Staat hat versagt. Jetzt sind wir dran. Mein Plädoyer im NSU-Prozess, Lübbe Verlag, 2017
Orhan Mangitay u. a. (Hg.), Die haben gedacht, wir waren das. MigrantInnen über rechten Terror und Rassismus, PapyRossa Verlag, 2016
Antonia von der Behrens (Hrsg.), Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess, VSA Verlag, 2018
NSU-Watch, Aufklären und Einmischen. Der NSU-Komplex und der Münchener Prozess, Verbrecher Verlag, 2020
Kemal Bozay u.a. (Hg.), Damit wir atmen können. Migrantische Stimmen zu Rassismus, rassistischer Gewalt und Gegenwehr, PapyRossa Verlag, 2021
Aktionsbündnis “NSU-Komplex auflösen”, Tribunale NSU-Komplex auflösen, Assoziation A Verlag, 2021
   
Mit freundlicher Unterstützung durch die Stadt Turin

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