Ziviler Protest
Im Zweifel für die Frechheit

Slam Shell
Slam Shell | Foto: © Ruben Neugebauer / jib collective

Ein Schreckgespenst geht um: Eine internationale Aktivistengruppe mit Büro in Berlin bringt jene Cliquen und Konzerne in die Bredouille, die sich bislang vor zivilem Protest in Sicherheit wähnten.

Peng! Ein Knall! Das Publikum schaut sich hektisch um, die Augen weit aufgerissen. Was ist passiert? – Der Schock ist in Bertolt Brechts epischem Theater jener Moment, in dem auf der Bühne die Zeit gefriert und die Zuschauerin gezwungen ist, sich gegenüber dem Dargebotenen zu verhalten. Die Szene hält inne – Tableau! Was sieht man? Das Peng! Collective, eine Gruppe von Politaktivisten und Aktionskünstlerinnen, ist die Inkarnation des Schreckschusses, der sich in ein Lachen auflöst und doch in den Knochen stecken bleibt.

Die Rollen neu verteilen

Vor einigen Jahren stand Paul von Ribbeck nachdenklich vor der müden Masse unserer Zivilgesellschaft. Der politische Betrieb schwappte träge umher, während hoch über den Fluten die Stürme tobten. Obgleich das mediale Spektakel immer schneller und bildreicher Nachrichten über sämtliche Kanäle feuert, wirken Demonstrationen, Kundgebungen und Petitionen zumeist eher gemächlich. Natürlich, es gibt Ausnahmen, auch erfolgreiche Volksabstimmungen. Doch skrupellose Konzerne kriegt man damit nicht zu packen, und die Trägheit der Masse macht den Souverän oft zum Publikum. Die Rollen, so von Ribbecks Einsicht, müssen dringend neu verteilt werden.

Neben Politikwissenschaften hat er auch das Handwerk des Clowns gelernt. Er weiß also, wie man vom Zuschauer zum Darsteller wird. Mit anderen selbsternannten Aufständischen vertauscht er Rollen, indem er fiktive Unternehmen gründet: Die satirische Agentur Horst Köhler Consulting bietet im Sinne einiger Äußerungen des damaligen Bundespräsidenten Beratung zur militärischen Intervention im Interesse des Außenhandels; Agrarprofit verkauft mit gnadenloser Transparenz „garantiert gewerkschaftsfreie Bananen“ zu konkurrenzlosen Preisen.

Die Bühne entern

Als Shell in Berlin zum Science Slam lädt, greifen die um den Aktivisten von Ribbeck entstandenen Verbindungen. In Windeseile entwickelt er mit befreundeten Biologen und Physikerinnen das hanebüchene Konzept eines Motors, der CO2 absorbiert statt es auszustoßen, die Luft also reinigt statt verschmutzt. Tatsächlich werden die vorgeblichen Erfinder daraufhin eingeladen, ihr Wunderwerk bei Shell zu präsentieren. Nur zwei Wochen haben sie Zeit, ihren Auftritt vorzubereiten.
 
  • Paul von Ribbeck bei Vattenfall. © Chris Grodotzki / jib collective
    Paul von Ribbeck bei Vattenfall.
  • Paul von Ribbeck präsentiert die Vattenfall Responsibility Initiative. © Chris Grodotzki / jib collective
    Paul von Ribbeck präsentiert die Vattenfall Responsibility Initiative.
  • Gloria Swindle und Paul von Ribbeck präsentieren Google Nest. © Ruben Neugebauer / jib collective
    Gloria Swindle und Paul von Ribbeck präsentieren Google Nest.
Ohne nennenswerte finanzielle Mittel, dafür mit Einfallsreichtum und Knowhow diverser Beteiligter steht der Wundermotor auf der Bühne: Doch statt sauberer Luft sprudelt eine Fontäne aus der Maschine, die die Show mit einem schmierigen Ölteppich besudelt, bis von Ribbeck den Stecker zieht. „In der Arktis“, wo Shell demnächst bohren will, „geht das nicht“, lässt Paul von Ribbeck das perplexe Publikum wissen. Danach sehen über 100.000 Menschen das Geschehen im Internet. Die Aktion ist ein Erfolg: Die jungen Leute haben die Bühne, die der Weltkonzern selbst aufgebaut hat, geentert und zur Kritikplattform umgewandelt.

Maskerade, Schlagkraft, Ungehorsam

Das war im Dezember 2013. „Rückblickend“, sagt die Philosophin Lia Rea, die nach einiger Zeit im Umfeld nun zum Kern der Gruppe gestoßen ist, „war dies das Gründungsereignis, in dem sich das Peng!-Kollektiv formiert hat.“ Es entstand der Plan, derartige Aktionen regelmäßiger zu initiieren. Der Name Peng! Collective wurde gefunden, unter dem sich das Netzwerk weiter verzweigte. Rea: „Wir wissen nicht, wie viele wir sind, und wenn wir es wüssten, würden wir es nicht sagen.“ Denn wären sie eine klar auszumachende Gruppe, verwirkten sie mit jedem Auftritt ein wenig ihrer Kraft. Wären die Gesichter erst einmal bekannt, ließe sich niemand mehr täuschen, und der Auftritt wäre beendet, bevor die Aktivisten die Bühne erreicht hätten. Auch in dieser Geschichte sind die Namen Maskerade und Piotr, Lia, Paul und Gloria konspirative Kunstfiguren. Doch so viel darf man wissen: Um einen Kern von zehn Personen ziehen sich Kreise von assoziierten Mitgliedern, die Wissen und Erfahrungen aus Mediendesign, Journalismus, Umweltaktivismus, Bühnenarbeit oder Technik einbringen. Je nach Anlass rekrutiert sich ein schlagkräftiges Team.

„Wir sind eine Forschungsplattform für Protestbewegungen“, fasst Rea das Selbstverständnis zusammen. Die subversiven Elemente, mit denen Peng! experimentiert, sind nicht völlig neu: Culture Jamming, Guerilla-Kommunikation und Co. sind als Formen des zivilen Ungehorsams erprobt. Werbung und Medienformate werden umgedeutet, karikiert und in ihrer exponierten Stellung gegen sich selbst gewendet. Das Vorbild, diese Mittel performativ zu nutzen, ist die US-amerikanische Yes-Men-Gruppe, die mittlerweile international bekannt ist.

Der Geist real existierender Konzerne

Das Peng! Collective und The Yes Men sind Verbündete, seit man sich 2014 auf der Re:publica-Konferenz über den Weg lief. Peng!-Mitglieder stellten dort das fiktive Projekt Google Nest vor. Ein konsterniertes Publikum von Netzaktivisten wurde mit Programmen konfrontiert, die - angeblich von Google entwickelt - unverrückbare moralische Grenzen zu verschieben schienen. Da war er wieder: der Schock! Indem der real existierende Konzern anschließend die Webseite zur Aktion von seinem Suchindex löschte, ließ er die Hosen runter und demonstrierte, dass er sehr wohl bereit ist, seine Macht für eigene Zwecke einzusetzen.

In der jüngsten Aktion rief Peng! die Presse in die Berliner Vattenfall-Zentrale, um in der Rolle des Konzernsprechers zu verkünden, dass Vattenfall im Rahmen einer „Responsibility-Initiative“ die Verantwortung für die Braunkohlegruben in der Lausitz übernehme und diese ab sofort renaturieren werde. Arbeitsplätze in der Region blieben so erhalten. Nach der gefälschten Pressekonferenz musste Vattenfall mit hohem kommunikativen Aufwand den guten Geist, der in den Konzern gefahren zu sein schien, wieder austreiben und sich von der besseren Zukunft distanzieren.

„Wir möchten der Zivilgesellschaft die Zähne schärfen“, sagt Lia Rea und meint damit, dass ihre Truppe kritische Diskurse anstoßen will. Das ist mit den bisherigen Interventionen durchaus gelungen. Und die Peng!-Aktionen sind stets auch Crashkurse darin, den falschen Respekt vor vermeintlich übermächtigen Strukturen abzulegen und sich der Frechheit zu bemächtigen. Das knallt!