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Lieber Thomas

Die DDR ist noch jung, aber Thomas Brasch passt schon nicht mehr rein. Sein Vater Horst will den neuen deutschen Staat mit aufbauen. Doch Thomas will lieber Schriftsteller werden. Er ist ein Träumer, Besessener, Rebell. Wiederentdeckung eines Künstlers, der die deutsch-deutsche Zerrissenheit wie nur wenige vor und nach ihm verkörperte.

„Lieber Thomas“ ist das filmische Portrait einer der faszinierendsten Künstlerpersönlichkeiten des geteilten Deutschlands und der Nachwendezeit. Thomas Brasch war Schriftsteller, Regisseur, Frauenliebhaber und vor allem: Provokateur. Schon als Kind rebellisch, fühlt er sich in der autoritären DDR fremd. Er sehnt sich nach einem freien Leben als Schriftsteller und Filmemacher. Doch bereits sein erstes Stück wird verboten, er fliegt von der Filmhochschule. Eine Protestaktion in Berlin gegen den Einmarsch in der Tschechoslowakei 1968 bringt das Fass zum Überlaufen: Sein Vater, ein hochrangiger Politiker der DDR, liefert den eigenen Sohn der Stasi aus. Nach kurzer Zeit im Gefängnis wird Brasch zwar auf Bewährung entlassen, doch seine schriftstellerischen Arbeiten dürfen in der DDR nicht publiziert werden. Er übersiedelt nach West-Berlin, und avanciert dort zum Literaturstar, wird aber im anderen Teil Deutschlands nicht heimisch. Dieses Biopic des rebellischen und widersprüchlichen Ausnahmekünstlers Thomas Brasch zeigt auf eindrückliche Weise das künstlerische Ringen mit Ideologien und Wertesystemen des geteilten Deutschlands.

Spieltermine: 21.4. 10:20 Uhr / 22.4. 15:50 Uhr

Regie: Andreas Kleinert
Deutschland, 2021, 157 min, Deutsch mit japanischen Untertiteln

Mit: Albrecht Schuch, Jella Haase, Jörg Schüttauf, Anja Schneider, Iona Jacob, Joel Basman, u.a.

Auszeichnungen:

Grand Prix beim Tallinn Black Nights Filmfestival 2021
Goldene Lola in 9 Kategorien beim Deutschen Filmpreis 2022


Thomas Brasch - Hintergrundinformationen

Thomas Brasch war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Dichter, Drehbuchautor und Regisseur. Nicht nur wegen seiner Sprachgewandtheit, sondern auch aufgrund seiner aufbegehrenden Haltung zur Deutschen Demokratischen Republik wie zur Bundesrepublik Deutschland erhielt er in den 1970ern und frühen 1980ern öffentlich viel Aufmerksamkeit. Darüber hinaus hat die Familie Brasch einen gewissen Bekanntheitsgrad in Deutschland: Während der Vater Horst hoher Parteifunktionär in Ostdeutschland war, haben Thomas Geschwister allesamt im Kulturbetrieb gearbeitet, Peter und Marion Brasch ebenfalls als Schriftsteller und Schriftstellerin, Klaus als Schauspieler.

Thomas Brasch wird 1945 als erster Sohn von zwei Eltern jüdischer Herkunft geboren, die vor dem Nationalsozialismus nach England geflohen waren. 1946 zieht die Familie nach Ostberlin, in die damals sowjetisch besetzte Zone und spätere Deutsche Demokratische Republik. Der Vater macht politische Karriere innerhalb der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und arbeitet sich bis zum stellvertretenden Kulturminister hoch.

In der zweiten Hälfte der 1960er studiert Thomas Brasch zunächst Journalistik in Leipzig, später Dramaturgie in Babelsberg, wird beide mal jedoch wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten“ rausgeworfen. Als Provokateur, der an die Versprechen des Sozialismus für eine gerechtere Gesellschaft glauben will, stößt er sich immer wieder an den realen Bedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik.

Somit steht seine Geschichte exemplarisch für einen Generationskonflikt innerhalb der ostdeutschen Elite. 1968 verteilt Thomas Brasch aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer-Pakts Flugblätter. Nachdem sein Vater ihn bei der Staatssicherheit denunziert, kommt er über zwei Monate ins Gefängnis, bevor er auf Bewährung freigelassen wird und zwei Jahre in einem Transformatorenwerk als Fräser arbeiten muss.

1971 besorgt ihm Helene Weigel, Intendantin des berühmten Berliner Ensembles, eine Stelle im Brecht-Archiv. Die Gedichte, die Thomas Brasch in der Zeit schreibt, werden in Ostdeutschland nicht veröffentlicht, seine Theaterstücke nach kurzer Zeit abgesetzt oder gar nicht erst aufgeführt. 1976 unterschreibt er gemeinsam mit namhaften Persönlichkeiten der ostdeutschen Kunst- und Intellektuellenszene einen öffentlichen Protestbrief gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann. Kurz darauf wird sein zuvor stets abgelehnter Ausreiseantrag genehmigt und er muss seine Heimat ohne Rückreiserecht verlassen. Mit seiner Partnerin Katharina Thalbach lässt er sich in Westberlin nieder. In der Bundesrepublik Deutschland veröffentlicht er 1977 den gefeierten Prosaband „Vor den Vätern sterben die Söhne“. Schnell wird er zum Star und es folgen etliche Theaterstücke und Gedichtbände. 1981 macht er mit „Engel aus Eisen“ sein erfolgreiches Debüt als Filmemacher.

Doch auch im Westen eckt Thomas Brasch an: Für den Film erhält er den bayerischen Filmpreis und sorgt bei der Verleihung für ein Eklat, als er in Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß der „Filmhochschule der DDR“ für seine Ausbildung dankt. „Engel aus Eisen“ ist das erste seiner filmischen Werke, die drei Kinofilme und die Fernsehverfilmung seines Theaterstückes „Mercedes“ umfassen.

Allerdings hat Braschs Karriere in den 1980er-Jahren bereits ihren Höhepunkt überschritten. Er veröffentlicht nur noch sporadisch und zieht sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Übersetzungen von Dramen von William Shakespeare und Anton Tschechow, die bis heute aufgeführt werden. 2001 stirbt er im Alter von 56 Jahren an Herzversagen, was vermutlich auf seinen langjährigen Alkohol- und Drogenkonsum zurückzuführen ist.

Der Film „Lieber Thomas“ von Andreas Kleinert ist eine fulminante Wiederentdeckung des Ausnahme-Künstlers Thomas Brasch, der sich kontinuierlich an den beiden Staatssystemen des geteilten Deutschlands aufrieb und bis zu seinem frühen Tod weder im Osten noch im Westen eine Heimat fand.



 

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