Das Fermentations-Manifest

Fermentations-Manifest
© Goethe-Institut Tokyo / mit Material von PNG Tree

Fermentierte Lebensmittel schmecken gut. Aber warum sollten wir uns über unseren Gaumen hinaus mit ihnen beschäftigen? Wir haben ein paar Ideen notiert, was wir mit und durch Fermentation lernen können - denn Fermentation ist nachhaltig, global, lokal, ein Experiment, eine Metapher…

Von Hannah Janz, Online-Redaktion Goethe-Institut Tokyo

1. Fermentation ist überall.

Immerzu sind Bakterien, Pilze und Enzyme am Werk und verstoffwechseln organische Materie. Fermentation ist auch nicht mit der Generation unserer Großeltern ausgestorben. Hast du heute schon Brot, Soja-Sauce oder Schokolade gegessen? Eine Miso-Suppe, Bier oder Wein getrunken? Fermentation lebt!

2. Fermentation ist Selbstermächtigung.

Fermentation ist eine ganz einfache Möglichkeit, etwas von Grund auf selbst herzustellen. Du kannst jeden Arbeitsschritt sehen und kontrollieren und das Ergebnis wortwörtlich genießen. Du musst nur den ersten Schritt wagen!

3. Fermentation ist für alle da.

Es kostet fast nichts und jede*r kann es machen. Für den Anfang brauchst du lediglich Salz, Einmachgläser, Gemüse (warum nicht auf der Fensterbank Gurken züchten?) und Geduld. Freund*innen, die mitmachen oder sich über ein Glas saure Gurken freuen, machen das Fermentieren noch schöner. Du willst Starthilfe? Hier findest du unsere Tutorials für Kombucha und Sauerkraut.

4. Fermentation ist global.

Überall auf der Welt sind Menschen verbunden durch Kulturpraktiken der Fermentation. Und was haltbar gemacht wurde, kann auch gut an weiter entfernte Orte transportiert werden. Keine Menschheitsbewegungen ohne Fermentation!

5. Fermentation ist lokal.

Heute weiß man, dass beim Weinanbau nicht nur die chemische Zusammensetzung des Bodens Geschmack und Qualität bestimmt - sondern vor allem das sogenannte mikrobiale Terroir. Apfelwein gärt wegen der Umgebungshefe in der Frankfurter Senke besonders gut - und so weiter. Fermentation hat immer einen lokalen Fingerabdruck!

6. Fermentation ist Vielfalt.

Der Blick über den Tellerrand, wie an anderen Orten auf der Welt fermentiert wird, ist interessant und lehrreich. Außerdem eröffnet Fermentation einen großen neuen Genuss-Kosmos: Fermentation intensiviert den geschmacklichen Ausdruck, Aromen werden vom Ausgangsmaterial vererbt und nuanciert. Aber auch die Textur lässt sich durch die enzymatischen Prozesse der Fermentation verändern: Wie luftig wäre zum Beispiel ein Brot ohne Hefe?

7. Fermentation ist nachhaltig.

Ein Zweck von Fermentation ist es, Lebensmittel haltbar zu machen. Das ist schon an sich nachhaltig. Darüber hinaus macht Fermentation bestimmte Zutaten wie Schalen aber auch erst genießbar, die sonst zum Beispiel entsorgt worden wären.

8. Fermentation ist ein Reminder.

Wir gehören uns nicht selbst: Nur etwa die Hälfte der Zellen unserer Körper sind menschlich, die anderen sind mikrobiale Gäste, zum Beispiel aus Fermenten. Fermentation ist ein gut sichtbarer Verweis in die Vergangenheit, dass die Kooperation von Mikroorganismen die Evolution bestimmt hat, und der Verweis in die Zukunft, dass die Menschheit ihr Eingebundensein in die großen Umweltzusammenhänge kooperativer denken muss. Wir sind keine autarken Entitäten.

9. Fermentation ist Persönlichkeitsentwicklung.

Je mehr du über Fermentation lernst, umso genauer kannst du das erschaffen, was dir am besten schmeckt und gut tut. Du kannst darüber reflektieren - vielleicht bei einem Gespräch mit Freund*innen überm Pickle-Tasting? Und natürlich verändert der Verzehr von Fermentiertem die Darmflora zum Besseren. Mit dieser Energie kannst du deine Ideen besser in die Tat umsetzen.

10. Fermentation ist Mut zum Missgeschick.

Wie kam die Menschheit überhaupt auf die Idee, Lebensmittel zu fermentieren? Wir sind uns ziemlich sicher, dass jemand aus Versehen Salz über Gemüse veschüttet hat und dann zu faul war, um sofort aufzuräumen…

11. Fermentation ist ein kreatives Experiment.

Wenn alles immerzu fermentiert, dann ja vielleicht auch Pinienkerne / Tannenzapfen / rote Beete / Tee / Heuschrecken…?! Wenn du einmal angefangen hast, wird dich plötzlich alles inspirieren. Vielleicht ja auch dazu, deine Geschmackserfahrungen für jedes Ferment in einem Haiku zu versprachlichen: Heuschrecken-Garum / fast wie eine Zigarre / rauchig und zirpend…

12. Fermentation ist ein Aufruf.

Mach langsam, die Zeit arbeitet für dich! Lass dich von der Fermentation entschleunigen und schau deinem Kombucha beim Blubbern zu.

13. Fermentation ist eine Metapher.

Fermentation ist eine besondere Form des Stoff-Wechsels. Ein Stoff wird in einen anderen überführt, der langlebig ist und in seinen Eigenschaften verbessert wurde. In Gesellschaftsformen, die auf Konsum ausgerichtet sind, kann diese Idee zum Beispiel auf einen bewussteren Umgang mit Ressourcen verweisen. Oder vielleicht ist Umami, der intensivierte Geschmack durch Fermentation, auch das Schlagwort für unsere künftige Kulturpraxis? Wir wollen uns gerne zu Gemüte führen, was im kooperativen Austausch ohne willkürlich gezogene Grenzen zu besonderer Inhaltsdichte geführt wurde… und so weiter.

14. Fermentation ist ein Mindset.

Plötzlich hängt alles holistisch zusammen und du schreibst ein Manifest über Fermentation.

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