Zur Bedeutung von Übersetzungs-Netzwerken:
Sie sind das Lebenselixier

Christoph Hassenzahl
Foto: Christoph Hassenzahl

Christoph Hassenzahl ist in der Lizenzabteilung des Suhrkamp Verlages unter anderem zuständig für die Länder Ostasiens. Wir stellten ihm vier Fragen zum Social Translating Projekt, insbesondere hinsichtlich des Diskurses zu „Verzeichnis einiger Verluste“ von Judith Schalansky.

Als Sie 2018 auf der Seoul International Book Fair bei einer Veranstaltung des Goethe-Instituts erstmals von dem Social Translating Projekt erfuhren, welchen Eindruck hatten Sie spontan?

Mir war sofort klar, dass es sich um ein innovatives, spannendes und nachhaltiges Konzept handelt. Es fördert den internationalen Literaturaustausch und hat die Autor*innen und ihre Mittler*innen in die Sprachen anderer Länder im Fokus: die Übersetzer*innen. Es deckt sich also stark mit den Aufgaben und Zielen unserer Arbeit in der Abteilung Rechte und Lizenzen. Sofort habe ich mir gewünscht, eine*r unserer Suhrkamp-Autor*innen könnte einmal in dem Projekt vertreten sein. Die gleichzeitige Übersetzung eines Buches durch renommierte Übersetzer*innen in so viele asiatische Sprachen, mit anschließender Publikation durch hervorragende Verlagspartner in den jeweiligen Ländern, ist ja vor allem für literarische Werke eine Seltenheit.

Kann der Austausch von Übersetzer*innen und Autor*innen auf einer digitalen Arbeitsplattform, wie sie im Rahmen des Social Translating Projekts genutzt wird, Ihrer Einschätzung nach zu einem tieferem Verständnis eines Werkes führen und sich somit auch auf die Qualität einer Übersetzung auswirken?

Ich bin überzeugt, dass dieser Austausch hierzu einen bedeutenden Beitrag leistet und die monatelange konzentrierte, intensive intellektuelle Beschäftigung der Übersetzer*innen mit dem Text harmonisch ergänzt. Übersetzer*innen eröffnet sich die Möglichkeit zum multilateralen Austausch mit der Autor*in und weiteren Übersetzer*innen in einem gemeinsamen Denk- und Diskussionsraum, in dem z.B. erweiterte rezeptionsästhetische und arbeitspraktische Fragen besprochen werden können. Es können neue Anstöße für die eigene kritische Lektüre gegeben werden und die wechselseitige Befragung erweitert das Problembewusstsein für die Feinheiten des Textes und den Transfer in die andere Sprachen, mit ihren jeweils ganz eigenen literarischen und spezifischen kulturellen Konnotationen.

Nach vielen Monate intensivem Austauschs untereinander entstehen Netzwerke von Übersetz*innen die auch nach Abschluss des Projektes in Verbindung bleiben. Wie nützlich sind solche Netzwerke für die Vermittlung und Verbreitung deutscher Literatur?

Sie sind ihr Lebenselixier. Jede Literatur benötigt für die Wahrnehmung in anderen Sprachen passionierte Vermittler und Fürsprecher. Dabei ist das Übersetzer*innen-Netzwerk weder selbstreflexiv noch hermetisch. Es überdeckt sich oder strahlt aus in andere Netzwerke, in Verlage, literaturfördernde Institutionen, die Literaturkritik, den Wissenschaftsbetrieb, die (Literatur)politik, den Buchhandel und in viele andere Bereiche des öffentlichen Lebens. Literaturübersetzer*innen zählen häufig zu den ersten Leser*innen neuer Werke ihrer Autor*innen. Der ständige entdeckungsbereite und zielbewusste Dialog der Übersetzer*innen untereinander, mit den Autor*innen, den Lizenzabteilungen, Lektoraten, Scouts und Subagenturen ist ein eminenter Motor des internationalen Literatur- und Wissenstransfers. Besonders erfreulich an der Zusammenarbeit zu Judith Schalanskys „Verzeichnis einiger Verluste“ war auch die Bereitschaft des Goethe-Institutes zur weitergehenden Kooperation mit dem Europäischen Übersetzerkollegium Straelen in einem mehrtägigen Workshop zum Buch mit auch außerasiatischen Übersetzer*innen.

Die Website des Social Translating Projektes zählt zu den meistbesuchten digitalen Angeboten der Goethe-Institute in Ostasien. Profitieren davon auch die Bücher, die jeweils im Zentrum des Diskurses stehen?

Diese Frage betrifft insofern eher die lizenznehmenden Verlage in den Zielmärkten der Übersetzungen. Im Falle des „Verzeichnis einiger Verluste“ sind dies China Citic Press in China, Locus in Taiwan, Kawade in Japan, Gamme Magie Editions in Thailand, Yayasan Pustaka Obor in Indonesien und Monsudar in der Mongolei. In ihren Vermittlungs- und Verkaufsbemühungen haben sie die Möglichkeit, an die aus dem Projekt hervorgehenden Netzwerke anzuschließen und die hiermit gewonnene Öffentlichkeit auch als Käufer*innen und Weiterempfehlende des Buches zu gewinnen. Darüber hinaus ist der Verweis auf das Projekt auch für Verleger*innen in anderen Ländern interessant und unterstützt unsere Bemühungen um Vermittlung der Lizenzen z.B. nach Korea, Vietnam, Sri Lanka und in die Sprachen Indiens.

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